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Berühmte Station auf Fontanes Irrfahrt nach der Verhaftung: Die Zitadelle von Besançon.

© Archiv Robert Rauh

Ein verhängnisvoller Abstecher und kein Pardon: Wie Theodor Fontane in Frankreich dem Tod entging

Im Deutsch-Französischen Krieg geriet Fontane als Journalist vor genau 150 Jahren in Gefangenschaft. Ein neues Buch folgt ihm und seinen Befreiern.

Wer nach dem Fontane-Jahr 2019 glaubte, alles über den Dichter, seine Wanderungen, Werke und Lebensgeschichte zu wissen, wird im Jahr 2020 eines Besseren belehrt - und zwar auf höchst unterhaltsame Art. Denn es gibt, tatsächlich, schon wieder ein neues Buch über den umtriebigen Berliner. Es kreist um den Herbst 1870, als Theodor Fontane als Kriegsberichterstatter in Gefangenschaft geriet und – Dank vieler Helfer – dem Tod entging.

Ans Werk gemacht haben sich zwei, die prädestiniert sind für eine solche Spurensuche, die durch Archive ebenso führt wie zu alten Mauern und über staubige Landstraßen: Die Literaturwissenschaftlerin Gabriele Radecke ist Fontane-Herausgeberin und hat an der Universität Göttingen in den vergangenen fünf Jahren seine Notizenbücher digital zugänglich gemacht.

Mit Robert Rauh, dem Berliner Historiker, Lehrer und Fontanekenner, hat Radecke bereits die „Wundersamen Frauen“ herausgegeben, eine Annäherung an die „weiblichen Lebensbilder“ aus Fontanes Wanderungen. Nun haben die Beiden den Sprung nach Frankreich unternommen, haben Neuruppin, Potsdam und Köpernitz mit Domrémy, Besançon und Oléron vertauscht.

Dabei ging es nicht ohne eine große Portion Detektivarbeit, denn zentrale Aspekte der Fontaneschen Kriegsgefangenschaft sind bis heute strittig, darunter auch die Frage, welchen Anteil Otto von Bismarck an der Rettung des 50-jährigen Journalisten und Theaterkritikers hatte, der Dank der „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ ein bekannter Mann war, der sich einiger Bekanntheit in Berlin erfreute.In der preußischen Hauptstadt wurde seine Gefangenschaft mit großem Interesse verfolgt.

Die beiden geübten Spurensucher fügen alle vorhandenen Puzzleteile zusammen – die Bemühungen seiner Ehefrau Emilie und Schwester Elise ebenso wie die Interventionen der Salonière Julie von Massow sowie diverser Militärs und Verleger bis hin zu der berühmten „Fontane-Note“, die Bismarck an den US-Botschafter in Paris schrieb, um die Befreiung des Gefangenen zu erwirken – nicht ohne mit der Geiselnahme „einer gewissen Anzahl von Personen in ähnlicher Lebensstellung“ zu drohen.

Kurz vor dem Aufbruch nach Frankreich und seiner Gefangennahme: Fontane 1869 mit 50 Jahren.
Kurz vor dem Aufbruch nach Frankreich und seiner Gefangennahme: Fontane 1869 mit 50 Jahren.

© Repro: Andreas Klaer

Was den Charme des Buches ausmacht – über die akribische Recherchearbeit hinaus –, ist die Idee, Fontanes Verhaftung, seine Irrfahrt von Festung zu Festung und die Rettungsaktion aus zwei Perspektiven zu erzählen: aus der Sicht des Gefangenen sowie der seiner Helferinnen und Helfer. Wobei die Autoren aus dem Vollen schöpfen können: Aus den vielen erhaltenen Briefen ebenso wie aus Fontanes Notizen und seinem Buch „Kriegsgefangen“, das 1871 erschien.

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Auch Fontanes Gewohnheit, in seinen Notizbüchern durch Zeichnungen das Gesehene festzuhalten , kommt dem Buch zugute. So enthält es die Skizze des Geburtshauses der Jeanne d’Arc – eine Skizze, die er direkt vor seiner Gefangennahme anfertigte.

Denn Fontane war verwegen genug, um mitten im Deutsch-Französischen Krieg einen Abstecher nach Domrémy zu wagen, dem Heimatdorf der französischen Nationalheiligen. Und das, obwohl die Gegend nicht von Deutschen besetzt und somit keineswegs sicher für einen deutschen Reisenden war.

Ich notiere, also bin ich: Theodor Fontane hielt alles fest, was ihm auf Reisen begegnete.
Ich notiere, also bin ich: Theodor Fontane hielt alles fest, was ihm auf Reisen begegnete.

© Digitale Notizbuchedition

Radecke und Rauh sind in diesem Sommer zu den Schauplätzen der Fontaneschen Schicksalsreise gefahren, fanden das verschlafene Domrémy ähnlich vor wie einst der Berliner Journalist, was ihr Buch aufs Anschaulichste zeigt: Es stellt Fontanes Skizzen neben die Fotos vom Sommer 2020.

Durch ihr akribisches Studium der vielen Quellen können die beiden Fontane-Forscher auch rekonstruieren, wie sich seine Verhaftung als angeblicher deutscher „Spion“ zugetragen hat – und an welchen Stellen seiner Schilderungen er selbst ein bisschen nachgeholfen hat, um die Inhaftierung noch ein bisschen dramatischer erscheinen zu lassen, und welche Rolle dabei ein Revolver spielte.

Und der Leser erfährt, wie es dem Schriftsteller nach seiner Freilassung erging: Seine ängstliche Rückfahrt durch das noch immer im Krieg befindliche Frankreich, seine glückliche Rückkehr nach Berlin, wo er begeistert begrüßt und durch unzählige Artikel gewürdigt wurde.

"Das kömt davon, wenn man nach Jungfrauen geht", witzelten Zeitgenossen über die Gefangennahme Fontanes beim Besuch des Geburtshauses der Jeanne D'Arc.
"Das kömt davon, wenn man nach Jungfrauen geht", witzelten Zeitgenossen über die Gefangennahme Fontanes beim Besuch des Geburtshauses der Jeanne D'Arc.

© Karikatur: "Theodor-Fontane-Archiv"

Selbst Karikaturen fehlten nicht. Unter der bekanntesten, die ebenfalls im Buch abgebildet ist, steht – in Anspielung auf den Ort seiner Gefangennahme – „Das kommt davon, wenn man nach Jungfrauen geht“.

Neben den Fotos und Skizzen enthält das Buch auch einigen Service wie eine Karte mit Fontanes Routen, eine Chronik mit den wichtigsten Daten sowie ein Personenverzeichnis und ein Schaubild mit den verschiedenen Rettungsinitiativen.

Wer Fontanes Aufzeichnungen und Skizzen rund um sein französisches Abenteuer selbst studieren möchte, kann das inzwischen auch - Dank des Digitalisierungsprojektes Gabriele Radeckes.

Der Link zum Notizbuch findet sich HIER.

Das Buch erschien 2020 wenige Tage vor dem 150. Jahrestag der Gefangennahme Fontanes.
Das Buch erschien 2020 wenige Tage vor dem 150. Jahrestag der Gefangennahme Fontanes.

© Abbildung: BebraVerlag

Gabriele Radecke/Robert Rauh: Fontanes Kriegsgefangenschaft. Wie der Dichter in Frankreich dem Tod entging. Bebra Verlag, 190 Seiten, 40 Abb., 22 €

Die Schauspielerin Carmen-Maja Antoni liest am 18. Oktober in der Kulturkirche in Neuruppin um 17 Uhr aus dem neuen Buch, Neuruppin, Virchowstraße 41.

Tickets für 15 Euro am Sonnabend bis 13 Uhr über die Fontane Buchhandlung ( 03391/22 97) sowie am Sonntag an der Tageskasse für 20 Euro.

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