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Bekannt ist Königs Wusterhausen für sein Schloss. Und nun auch für seine turbulente Kommunalpolitik.

© Kitty Kleist-Heinrich TSP

Bürger entscheiden über Abwahl des Bürgermeisters: Wie in Königs Wusterhausen die Politik aus den Fugen geriet

Dem Bürgermeister der Brandenburgischen Stadt droht die Abwahl. Mehrere Parteien hatten gegen ihn mobilisiert, Kritiker verglichen ihn mit Trump.

An diesem Sonntag sollen die Bürgerinnen und Bürger von Königs Wusterhausen über die Abwahl des parteilosen Bürgermeisters Swen Ennullat entscheiden. Gerade jetzt. Dank des Elektroautobauers Tesla steht KW, wie sie die Stadt südöstlich von Berlin nennen, mit ihren 37.000 Einwohnern ein neuer Aufschwung bevor, der Hafen, Brandenburgs größter, könnte ausgebaut und zum Drehkreuz werden. Neue Schienen sollen verlegt werden, ein Containerterminal wird geplant.

KW, wo in der DDR die Nationale Volksarmee stationiert war, wächst, braucht neue Schulen und Kitas, doch in der Stadtpolitik herrschen Blockade und Misstrauen. Ein Bündnis aus SPD, CDU, Linke, Grünen, einer Wählergruppe und Fraktionslosen will einen Neustart und hat mit ihrer Zweidrittelmehrheit den Bürgerentscheid in der Stadtverordnetenversammlung durchgesetzt. Auf der andere Seite sind Ennullats Unterstützer, die Freien Wähler und eine Bürgerliste, aber auch die AfD.

Ennullats Gegner werfen ihm vor, mit der AfD zu paktieren – und Beschlüsse der Verordneten zu blockieren. Dass sie dabei selbst Anträge des Bürgermeisters blockieren, ist die andere Seite. Ennullat sagt, er paktiere nicht mit einer Partei wie der AfD, die vom Verfassungsschutz in Brandenburg wegen rechtsextremistischer Umtriebe beobachtet wird. Und doch erlebt er, dass die AfD für ihn demonstriert, dass die AfD ihn unterstützt.

Der 44-Jährige war einst Staatsschutzbeamter bei der Polizei in Sachsen-Anhalt, ermittelte gegen Neonazis. Weil er der Weisung, doch nicht so genau hinzusehen, nicht folgte, und weil er sich kritisch über die Rolle der Polizei im Fall Oury Jalloh äußerte, der in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte, musste er gehen.

Ennullat war schon einmal im Rathaus von Königs Wusterhausen. Als Jugendamtsleiter deckte er 2014 einen Betrugsskandal auf, es ging um Elternbeiträge in einer Kita und mehrere 100.000 Euro Schaden für die Stadt. Verwickelt war auch Stefan Ludwig (Linke), bis 2009 Bürgermeister und ab 2016 drei Jahre lang Justizminister. Ennullat verlor 2014 seinen Job. Sieben Jahre später, im Mai, beginnt der Prozess gegen den Kita-Betreiber, Ludwig ist als Zeuge geladen, die Vorwürfe gegen ihn sind ohnehin verjährt.

Kritiker warfen dem Rückkehrer Rachegelüste vor

Über Jahre haben sich SPD und Linke im Rathaus abgewechselt, gemeinsam mit der CDU hatten sie bei den Stadtverordneten satte zwei Drittel der Sitze. Dann kam Ennullat 2017 zurück. Er präsentierte sich als Aufräumer gegen den Filz. Im zweiten Wahlgang holte er 70 Prozent der Stimmen, so viel wie keiner der anderen Bürgermeister vor ihm. Wegen seiner Vorgeschichte in der Stadt werfen ihm einige Rachegelüste vor. Ennullat bestreitet das. Er wolle nur keine Klüngel mehr.

Kurz nach der Wahl durchsuchte die Polizei Ennullats Haus. Er wurde gezielt falsch verdächtigt, Aktenordner aus dem Rathaus mitgenommen zu haben, die es noch gar nicht gab, es er Jugendamtsleiter war. Die, die Ennullat verdächtigt haben, sind noch heute seine Gegner. Ein SPD-Politiker versprach schon 2017, Ennullat etwas anhängen zu wollen und damit die Abwahl vorzubereiten.

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Dann die Kommunalwahl 2019 – SPD, CDU und Linke verloren massiv. Wenige Monate danach loteten Verordnete aus dem Lager von Ennullats Gegnern bei der Leiterin der Kommunalaufsicht aus, wie Ennullat mit einem Disziplinarverfahren überzogen werden kann. Dass die Mitarbeiterin, die über die Einhaltung des Rechts in den Gemeinden wachen soll, privat mit CDU-Verordneten verkehrt, stört offenbar niemanden.

Beschlüsse werden gestoppt, Politik blockiert

Beide Seiten lieferten sich einen Machtkampf, 2020 eskalierte die Lage. Mehr als 20 von insgesamt rund 650 Beschlüssen der Stadtverordneten sind von Ennullat, dem Kämmerer und einer Amtsleiterin beanstandet worden – so viel wie in keiner anderen Kommune, beklagt der Landrat von Dahme-Spreewald, Stephan Loge (SPD). Er ist der Chef der Leiterin der Kommunalaufsicht.

Mal ging es um Pläne für einen Schulneubau und die Frage, was rechtlich oder wirtschaftlich zulässig ist. Oder um 300.000 Euro für einen Kunstrasenplatz eines Sportvereins, die das Mehrheitsbündnis in den Haushalt schrieb, obwohl das nötige Förderprogramm fehlte. Ennullat beanstandete den Beschluss, wie auch andere.

In KW liegt Brandenburgs größter Hafen. Er könnte zum Drehkreuz für die gesamte Region werden.
In KW liegt Brandenburgs größter Hafen. Er könnte zum Drehkreuz für die gesamte Region werden.

© Kitty Kleist-Heinrich TSP

Nicht selten reichte das Mehrheitsbündnis kurzfristig Tischvorlagen ein, die von der Verwaltung vorher nicht geprüft werden konnten, ob sie zulässig oder rechtmäßig sind. Ennullat sah sich gezwungen, die Anträge zu beanstanden. Die Fälle landeten bei der Leiterin der Kommunalaufsicht. Manche Blockade kam auch durch die Behörde zustande, wie das Verwaltungsgericht feststellte.

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Es gab und gibt Klagen, Gegenklagen, Gerichtstermine, Urteile – KW beschäftigt die Gerichte. Darunter dieser Fall: Ennullats Vize-Bürgermeister hatte 2017 seinem Amtsvorgänger vorgeworfen, bereits 2015 Flüchtlinge als „Bimbos“ bezeichnet zu haben. Der Amtsinhaber wurde wegen übler Nachrede verurteilt, es gibt keine weiteren Zeugen für den Vorfall. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Schließlich suspendierten die Stadtverordneten Ennullat per Mehrheitsbeschluss im Sommer 2020. Das Verwaltungsgericht entschied später, die Gründe reichten weder für eine Suspendierung, noch für ein Disziplinarverfahren oder gar eine Abwahl. Wegen des Vertrauensverlustes – ob gewollt oder nicht – hat die Mehrheit der Verordneten dennoch den Bürgerbescheid zur Abwahl durchgesetzt.

Der „Trump“ von Königs Wusterhausen?

8000 Wähler müssen zustimmen und eine Mehrheit haben. Ennullats Gegner bezeichnen ihn als Trump von KW oder Populisten, sie werfen ihm Arroganz vor. Seine Anhänger dagegen nennen des Gegnerbündnis „Einheitsfront“, auch die AfD macht das. Auch verbal ist in KW einiges aus den Fugen geraten.

Einer von Ennullats Wegbegleitern sieht in ihm einen, der stur sein kann, einen, der noch zu sehr Beamter ist, immer überkorrekt sein will, wo doch in der Kommunalpolitik auch manches vertraulich ausgehandelt werden muss.

Bis zum Schluss wurde mit harten Bandagen gekämpft. Ein angeblich offener Brief von einigen der fast 500 Mitarbeiter der Stadtverwaltung tauchte auf – Ennullat wurde Machtmissbrauch und ein diktatorischer Führungsstil vorgeworfen.

Inzwischen liegt bei der Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige vor, es gibt Hinweise, dass zwei Stadtverordneten den Brief selbst erstellt haben. In einer anderen Anzeige wurde Ennullat wiederum wenige Wochen vor der Wahl Korruption vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft sieht keinen hinreichenden Verdacht. Es war wohl ein gezieltes Manöver. Ein Frau aus Königs Wusterhausen sagt: Die einzige Möglichkeit, um den Stillstand in der Stadt, den Grabenkampf zu beenden, wäre ein Rücktritt – der Stadtverordneten und des Bürgermeisters. Und dann Neuwahlen.

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