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Der Juchtenkäfer besiedelt alte, morsche und höhlenreiche Laubbäume – solche, die von Menschen allzu oft als nutzlos angesehen und beseitigt werden.

© picture alliance / dpa

Bäume für Straßenausbau im Naturschutzgebiet gefällt: Der kleine Käfer, der jetzt die Staatsanwaltschaft Potsdam beschäftigt

Für einen Straßenausbau wurden im Naturschutzgebiet Leitsakgraben im Havelland viele geschützte Bäume gefällt. Weil dabei womöglich eine Population des seltenen Eremitenkäfers ausgelöscht wurde, erstatten Naturschützer Anzeige. 

Von Sandra Dassler

Ein kleiner, unscheinbarer Käfer beschäftigt derzeit die Staatsanwaltschaft Potsdam. Obwohl – Naturfreunde würden ihn weder „klein“ noch „unscheinbar“ nennen, wie Thomas Frey vom brandenburgischen Landesumweltamt sagt: „Der Eremit ist mit seinen knapp vier Zentimetern schon ein recht großer Käfer und auch sonst sehr beeindruckend, wenn man ihn überhaupt einmal zu Gesicht bekommt.“

Auf jeden Fall gehört der 1763 von einem Tiroler Naturforscher erstmals beschriebene „Scarabaeus Eremita“, der inzwischen in „Osmoderma eremita“ umbenannt und meist schlicht Eremit oder Juchtenkäfer genannt wird, zu den seltensten Tieren in Deutschland und Europa. Also auch zu den am stärksten bedrohten. 

Er besiedelt alte, brüchige und höhlenreiche Laubbäume – solche, die von Menschen allzu oft als nutzlos angesehen und beseitigt werden. Genau das ist vor einigen Wochen wieder geschehen, bei Vorarbeiten zum Ausbau der B 273 zwischen Nauen und Börnicke im Havelland. 

„Obwohl bekannt war, dass der geplante Straßenausbau das Naturschutzgebiet Leitsakgraben schneidet und dort viele geschützte Bäume stehen, wurden sie gefällt“, sagt Manuela Brecht vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Sie ist immer noch entsetzt über das Vorgehen. Denn nicht nur zahlreiche alte Alleebäume seien widerrechtlich zerstört worden, sondern viele weitere Bäume – darunter zwei uralte Eichen, die bekannte Habitat-Bäume für den Eremit und den ebenfalls streng geschützten „Großen Rosenkäfer“ waren.

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„Weil zeitgleich mit dem Fällen der Eichen, in denen die seltenen Käfer schon sehr lange leben, auch viele andere dafür geeignete Bäume in der Umgebung den Sägen zum Opfer fielen, wurde hier möglicherweise eine ganze Population leichtfertig ausgelöscht“, sagt Brecht. „Wenigstens konnte noch verhindert werden, dass die gefällten Eichen in irgendwelchen Öfen verbrannt wurden.“

Wer den Auftrag zum Fällen gegeben hat, ist unklar. Laut Nabu wussten alle Beteiligten Bescheid. „Das Vorkommen des Käfers war auch den Naturschutzbehörden bekannt und ist in den Unterlagen zu dem Schutzgebiet 'Leitsakgraben' vermerkt und damit für jedermann einsehbar“, sagt Brecht. 

Ausbau untersteht dem brandenburgischen Infrastrukturministerium

Als der Nabu von den Fällungen erfuhr, sei man sofort mit per Eilantrag dagegen vorgegangen. Auf Intervention des Gerichts waren die weiteren Fällarbeiten eingestellt worden. Zu spät für den Eremit und den Rosenkäfer.

Auch deshalb hat sich der Nabu entschlossen, Strafanzeige gegen Unbekannt wegen des Verdachts auf vorsätzliche oder mindestens leichtfertige Zerstörung von Lebensstätten streng geschützter Käferarten zu erstatten. „Ein solcher Schritt ist nicht alltäglich und erfolgte erst nach sorgfältiger Abwägung“, sagt die Naturschutzreferentin: „Aber anders werden wir nicht herausfinden können, wer die Verantwortung dafür trägt.“

Für den Ausbau der B 273 ist der Landesbetrieb Straßenwesen zuständig, der dem brandenburgischen Infrastrukturministerium untersteht. Dort ist der Fall bekannt, zu Einzelheiten könne man sich aber nicht äußern, sagt eine Sprecherin auf Anfrage: „Nach der Strafanzeige ist das jetzt ein laufendes Verfahren, das wir nicht kommentieren können.“

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Mit dem Landesbetrieb gebe es hin und wieder Differenzen, aber eigentlich halte er sich an die Regeln, sagt Brecht. Es sei nun einmal so, dass der Eremit häufig in alten Alleebäumen vorkomme. „Da Brandenburg das Bundesland mit den meisten Straßenalleen ist, hat es auch eine besondere Verantwortung für diese Art.“

Natürlich wollten manche Menschen nicht verstehen, warum so ein alter morscher Baum erhalten werden müsse – zumal er ja umstürzen und Verkehrsteilnehmer gefährden könne. Aber das Landesnaturschutzgesetz lege klar fest, dass vor einer Fällung alle anderen Maßnahmen geprüft werden müssen. So könne man die Bäume stützen oder die Krone abnehmen und wenigstens den Stamm erhalten.

„Alt heißt nicht gleich umsturzgefährdet, und das muss bei Alleebäumen sowieso regelmäßig überprüft werden“, sagt Manuela Brecht. Fällen sei immer die schlechteste Variante – auch wenn jeder beseitigte Baum durch neue ersetzt werden muss. Bis eine neu gepflanzte Eiche aber die volle Funktion einer jetzt gefällten übernehmen kann, dauere es mindestens 80 bis 100 Jahre. 

Wenn sie beim Klimawandel überhaupt so alt wird. Für den Eremit ist das Überleben sogar noch schwieriger. Er hat in jeder Generation ohnehin nur sehr begrenzt Zeit, um seine Art zu erhalten: Nach drei bis vier Jahren als Larve und einigen Monaten als Puppe bleiben den männlichen Käfern nur drei Wochen und den Weibchen maximal drei Monate, um den Nachwuchs zu sichern.

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