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Hass ohne Ende. Die Zahl der antisemitischen Straftaten ist auch 2021 stark gestiegen. Zudem sind vier Todesopfer zu beklagen. Im Bild eine frühere Schändung eines jüdischen Friedhofs in Mecklenburg.

© Bernd Wüstneck/picture alliance/dpa

Update Exklusiv

Höchststand bei antisemitischer Kriminalität: Judenhasser verüben 2021 mehr als 3000 Straftaten – vier Menschen sterben

Das Bundesinnenministerium meldet eine erschreckende Bilanz antijüdischer Delikte. Auch das tödliche Verbrechen in Königs Wusterhausen ist darunter.

Von Frank Jansen

Schon 2020 registrierte die Polizei einen traurigen Rekord, jetzt kommt es noch härter. Das Bundesinnenministerium meldet für 2021 nach vorläufigen Erkenntnissen 3028 antisemitische Straftaten. Das sind knapp 30 Prozent mehr als im Vorjahr. Damals hatte die Polizei insgesamt 2351 Delikte von Judenhassern gezählt.

Auch das war bereits der höchste Stand seit 2001, er hat sich im vergangenen Jahr noch nach oben verschoben. Außerdem ist die Zahl der Gewaltdelikte, die in der Summe enthalten ist, ebenfalls gewachsen. Die Polizei registrierte 2021 insgesamt 63 antisemitische Körperverletzungen und weitere Gewaltdelikte. Das sind sechs mehr als 2020. Vier Menschen starben und mindestens 24 wurden verletzt.

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Die Angaben sind der Antwort des Bundesinnenministeriums auf regelmäßige, quartalsweise Anfragen von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) und ihrer Fraktion zu entnehmen. Die Papiere liegen dem Tagesspiegel vor. Die Zahlen geben den Stand vom 3. Februar wieder und enthalten bereits Nachmeldungen der Polizei. Dennoch ist eine weiterer Anstieg zu erwarten, da erfahrungsgemäß zumindest bis März noch Straftaten aus dem vergangenen Jahr angegeben werden.

Verbrechen in Königs Wusterhausen hatte antisemitischen Hintergrund

Das Ministerium berichtet auch von vier Todesopfern antisemitischer Gewalt. Es geht um ein Verbrechen im brandenburgischen Königs Wusterhausen, das bislang der Öffentlichkeit nicht als antisemitisch bekannt war. Ein mutmaßlicher Impfgegner erschoss am 4. Dezember 2021 seine Frau, die drei Töchter im Alter von vier bis zehn Jahren und sich selbst. In der Antwort des Ministeriums heißt es, "laut derzeitigem Kenntnisstand war der Tatverdächtige davon überzeugt, dass der Staat mit der Impfkampagne einen bösen Plan verfolge und die Weltbevölkerung um die Hälfte reduzieren und eine neue Weltordnung unter jüdischer Führung gründen wolle".

Die Einordnung der Tat als antisemitisch ergebe sich aus der Ansicht des Tatverdächtigen, "dass es eine jüdische Weltverschwörung gäbe". Bislang war in den Behörden nur zu hören gewesen, der Familienvater Devid R. habe Impfnachweise gefälscht, sich in der Querdenker-Szene bewegt und in einem Abschiedsbrief Angst vor einer Verhaftung und der Wegnahme der Kinder geäußert. Recherchen des Tagesspiegels hatten zudem ergeben, dass sich der Mann beim Messengerdienst Telegram der Querdenkergruppe "Freiheitsboten Königs Wusterhausen" angeschlossen hatte.

In Sicherheitskreisen hieß es, die Information für die Öffentlichkeit hätte besser sein können. Die Einstufung der Tat als antisemitisch ergebe sich aus antijüdischen Verschwörungstheorien im Abschiedsbrief von Devid R. und in den Chats auf einem seiner drei Handys. Der Vater habe sich allerdings auch staatsfeindlich gegen das Gesundheitswesen geäußert. Außerdem seien rassistische Bemerkungen gefunden worden.

Nur zwei Haftbefehle für kriminelle Judenhasser

In der Antwort des Bundesinnenministeriums zu den antisemitischen Straftaten 2020 wird auch die vorläufige Bilanz der Polizei zu Tatverdächtigen angegeben. Demnach wurden nach antisemitischen Straftaten insgesamt 1506 Personen ermittelt. Acht nahm die Polizei fest, es gab allerdings nur zwei Haftbefehle.

Antiisraelische Ausschreitungen in Berlin

Zu den Gründen für den weiteren Anstieg antisemitischer Kriminalität steht in dem Papier nichts. Es fällt allerdings auf, dass im zweiten Quartal mit 1306 Straftaten eine besonders hohe Zahl gemeldet wurde. Das ist mutmaßlich auch auf die Ausschreitungen bei einer pro-palästinensischen Demonstration im Mai im Berliner Bezirk Neukölln zurückzuführen.

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Teilnehmer riefen Hassparolen wie "Kindermörder Israel" und attackierten die Polizei mit Steinen, Flaschen und Feuerwerkskörpern. In Bonn warfen zudem junge Araber Steine auf die Synagoge und zündeten eine israelische Fahne an. Auch in Münster brannte vor dem jüdischen Gotteshaus eine Flagge Israels.

Zentralrat der Juden: Zahlen zutiefst erschreckend

Die Angaben des Innenministeriums rufen beim Zentralrat der Juden in Deutschland Entsetzen hervor. "Die stark gestiegenen Zahlen antisemitischer Straftaten im vergangenen Jahr sind zutiefst erschreckend, aber leider nicht wirklich überraschend", sagte der Präsident des Zentralrats, Josef Schuster, am Donnerstag dem Tagesspiegel. Die Enthemmung und Radikalisierung, die vor allem unter den Corona-Leugnern und Impfgegnern zu beobachten sei, "trägt sicherlich zu dieser Entwicklung bei".

Schuster betonte, "doch auch jeder, der den Holocaust relativiert, einen Schlussstrich herbeiredet oder unter dem Etikett 'Israel-Kritik' Judenhass schürt, hat seinen Anteil daran". Denn aus Worten würden Taten. Auch wenn in den vergangenen Jahren staatlicherseits viel gegen Antisemitismus getan wurde, "zeigt sich jedoch: Das reicht nicht". Schuster fordert, der Kampf gegen Antisemitismus "muss auf allen Ebenen weitergehen und noch intensiviert werden - in der Politik, in Wissenschaft und Kultur, in den Medien sowie in den Schulen und Universitäten".

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