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Die Bundesregierung um Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erwägt auch eine FFP2-Maskenpflicht.

© Michael Sohn/POOL AP/dpa

FFP2-Maskenpflicht, Homeoffice, Ausgangssperre: Wie sinnvoll sind die geplanten Lockdown-Verschärfungen?

Werden Merkel und die Länderchefs härtere Regeln beschließen? Was bringt ein strengerer Lockdown? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Die Stimmung zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Regierungschefs der Länder ist wieder angespannt: Das Ausbruchsgeschehen ist weiter diffus, außerdem liegt keine stabile Datengrundlage über die Ausbreitung der weit ansteckenderen Virus-Mutante B117 vor. Deshalb wurde geplanten Beschlüssen ein Expertengespräch vorgeschaltet, unter anderem mit RKI-Chef Lothar Wieler, dem Virologen Christian Drosten und dem Verkehrssystemplaner Kai Nagel von der Technischen Universität Berlin. Die SPD ist gegen einen ganz scharfen Lockdown, vor allem gegen das Schließen von Fabriken und Betrieben.

Welche Maßnahmen sind nun geplant?

Kürzer, aber härter: So lässt sich die geplante Lockdown-Verlängerung bis zum 14.Februar beschreiben. Die Schulen und Kitas könnten in den meisten Bundesländern weitgehend geschlossen bleiben. Zwar sinken die Zahlen aktuell, sowohl bei den Infektionen als auch bei den Intensivpatienten – aber die ansteckendere Mutante B117 hat aus Merkels Sicht das Zeug, alle Erfolge zunichte zu machen und die Todeszahlen weiter nach oben zu treiben. Deshalb sollen die Maßnahmen vorsorglich verschärft werden.

Besonders umstritten zwischen Bund und Ländern ist eine Ausgangssperre nach bayerischem Vorbild. In dem Bundesland dürfen die Menschen zwischen 21 und 5 Uhr nicht ohne triftigen Grund vor die Tür. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hält so eine Grundrechtseinschränkung nur für Hotspots mit über 200 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern in sieben Tagen für geboten. „In ganz Niedersachsen liegen wir jetzt bei einer Inzidenz von knapp unter 100. Deshalb halte ich aktuell landesweite, nächtliche Ausgangssperren nicht für gerechtfertigt“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Das Ringen mit den Ministerpräsidenten um härtere Schritte wird für Merkel schwieriger, je deutlicher sich die Erfolge des aktuellen Lockdowns zeigen.

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Einen von der „Bild“-Zeitung so titulierten „Mega“-Lockdown wird es nicht geben. Eine Verlängerung um erstmal nur zwei Wochen soll genutzt werden, um die Mutante B117 in den Griff zu bekommen. „Wir wollen noch besser nachvollziehen können, wo sich bekannte Mutationen verbreiten und ob es neue Mutationen gibt“, sagte Gesundheitsminister Jens Spahn. Eine von ihm unterzeichnete Verordnung sieht vor, weit mehr positive Corona-Tests der so genannten Sequenzierung zu unterziehen. Bei einer Zahl von mehr als 70000 gemeldeten Infektionen pro Woche werden künftig fünf Prozent der Proben auf Mutationen untersucht. Sinkt die Zahl der Neuinfektionen unter diesen Wert, sollen zehn Prozent sequenziert werden. Labore erhalten je Untersuchung 220 Euro. Klar ist aber: Restaurants, Kneipen, Fitnessstudios und Kultureinrichtungen werden noch wochenlang, vielleicht bis Ostern, geschlossen bleiben.

Was wird in Berlin umgesetzt?

In Berlin ist bisher nur eines klar: Eine Rückkehr zur Präsenzpflicht in Berliner Schulen vor den Winterferien ist vom Tisch. Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD) hatte am 8. Januar zwar noch verkündet, man wolle sich die Infektionszahlen am 19. Januar erneut ansehen, um dann zu entscheiden, ob am 25. Januar wenigstens die Grundschüler in halber Klassenstärke wieder in die Schule gehen dürfen. Doch nach Aussagen mehrerer Koalitionsabgeordneter ist das jetzt schon ausgeschlossen. Eine mögliche Ausgangssperre wird in der Berliner Regierungskoalition skeptisch gesehen: Im Senat herrschen parteiübergreifend Zweifel, ob den Menschen eine weitere massive Grundrechtseinschränkung im privaten Bereich zu vermitteln wäre, wenn sie andererseits aber weiterhin zur Arbeit gehen sollen.

Auch unter rot-rot-grünen Parlamentariern ist klar: Für eine Ausgangssperre müsste es sehr gute Gründe geben. Die Grünen fürchten den Effekt, dass etwa die Supermärkte tagsüber noch voller wären, wenn die Menschen abends nicht mehr rausdürften. „Für mich geht es, bevor man eine Ausgangssperre verhängt, eher um die Frage, ob alle anderen Möglichkeiten vollkommen ausgeschöpft worden sind und ob die Einhaltung der Regeln, die es jetzt schon gibt, auch kontrolliert wird“, sagt Grünen-Fraktionsvorsitzende Silke Gebel dem Tagesspiegel. Deshalb gilt die Devise: So viel Homeoffice erzwingen wie möglich – wie genau das geregelt werden könnte, ist allerdings noch nicht klar.

Was ist für Busse und Bahnen geplant?

Der Verkehrsexperte Kai Nagel wurde als Fachmann eingeladen, weil der Öffentliche Verkehr einer der Orte mit dem größten Ansteckungsrisiko sein soll – und um mögliche Risiken durch B117 hochzurechnen. Fernzüge sind zwar oft leer, nicht aber Pendlerzüge, S- und U-Bahnen. Dort soll die Auslastung auf ein Drittel gesenkt werden. In vielen Regionen sollen nun Reisebus-Unternehmer, deren Betriebe wegen Corona ruhen, gebeten werden, im Linienverkehr auszuhelfen. So sollen pro Bus weniger Personen befördert werden können. Eine Einstellung des Verkehrs ist nicht geplant. Für die Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) wird sich voraussichtlich nichts verändern: „Wir haben ja jetzt schon nur noch 40 Prozent der Fahrgäste und fahren so, als wären es 100 Prozent“, sagte BVG-Sprecherin Petra Nelken.

In Burghausen/Oberbayern überwachen Polizisten die nächtliche Ausgangssperre.
In Burghausen/Oberbayern überwachen Polizisten die nächtliche Ausgangssperre.

© imago images/imagebroker/GerhardxNixdorf

Kommt eine FFP2-Maskenpflicht und was bedeutet das für Geringverdienende?

Man werde auf Grundlage der Erfahrungen in Bayern über einen FFP2-Maskenpflicht beraten, sagt Gesundheitsminister Jens Spahn. Der CDU-Politiker weist zugleich darauf hin, dass bereits die sogenannten OP-Masken einen höheren Schutz böten als Alltagsmasken. Außerdem könnten Asthmatiker etwa auf langen Zugfahrten mit FFP2-Maske Probleme beim Atmen bekommen. Klar ist: Weder FFP2-Masken noch OP-Masken können beliebig oft wiederverwendet werden. Gerade erstere seien außerdem so teuer, dass nicht jeder sie sich leisten könne, argumentieren Sozialverbände und Oppositionspolitiker aus dem Bundestag. Zwischen zwei und vier Euro kosten FFP2-Masken üblicherweise – wenn man sie einzeln kauft.

Im Hartz-IV-Regelsatz sind für eine alleinstehende Person weniger als drei Euro im Monat für rezeptfreie medizinische Erzeugnisse vorgesehen, für die Gesundheitspflege werden 17 Euro veranschlagt. Einkommensarme Menschen seien in der Corona-Krise besonders belastet, mahnt Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands.

Schutzkleidung, Hygieneartikel, erhöhte Kommunikationskosten, wegfallende Unterstützungsangebote: Um all diese Kosten abzudecken, sei eine Sofortunterstützung von 100 Euro pro Monat notwendig für alle, die existenzsichernde Leistungen beziehen, sagt Schneider: „Die Betroffenen verfügen in der Regel über keinerlei Rücklagen und viele von ihnen zählen zu den sogenannten Risikogruppen.“ Sollten FFP2-Masken zur Pflicht werden, müssten die Kosten für Empfänger der Grundsicherung übernommen oder die Masken ausgegeben werden, sagt der sozialpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Pascal Kober.

Sein Grünen-Kollege Sven Lehmann spricht sich ebenfalls für die kostenfreie Abgabe in Apotheken aus - oder „besser noch für den längst überfälligen Krisen-Aufschlag“ in der Grundsicherung.

Ohne eine Regelung für Menschen in Armut würden diese von Teilen des öffentlichen Lebens noch mehr ausgeschlossen, warnt Lehmann. „Dann wäre nämlich weder der Lebensmitteleinkauf noch die Fahrt mit Bus oder Bahn möglich.“ Die Corona-Krise dürfe die Armut im Land nicht noch weiter verschärfen.

Wie werden die Gerichte mögliche Ausgangssperren bewerten?

Die Gefährlichkeit der Virusmutation ist hier nur ein Aspekt unter mehreren; die Justiz muss auch jetzt die Pandemielage insgesamt in den Blick nehmen und Maßnahmen zur Beschränkung entsprechend prüfen. Ausgangssperren sind ein Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger. Sie müssen deshalb ein Gesetz zur Grundlage haben und in ihrer konkreten Ausgestaltung verhältnismäßig sein. Die Rechtsgrundlage steht im erneuerten Infektionsschutzgesetz: „Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen im privaten sowie im öffentlichen Raum“ sind demnach ein erlaubtes Mittel.

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Erste Entscheidungen sprechen dafür, dass diese Maßnahmen zulässig sind. Zu nächtlichen Sperren, wie sie in Bayern schon gelten, hat jüngst der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass diese angesichts der Pandemielage auch verhältnismäßig seien, um „vor allem besonders infektionsgefährdende gesellige Zusammenkünfte zu unterbinden“. Ähnlich hatte es Ende Dezember auch das höchste Verwaltungsgericht in Baden-Württemberg gesehen. Die damit verbundenen Beeinträchtigungen seien „angesichts der gravierenden Folgen der Weiterverbreitung des Coronavirus für Leib und Leben“ zumutbar. Auch ein Grund war, die Gesundheitssysteme nicht zu überlasten.

Welche Lockdown-Maßnahmen halten Wissenschaftler für am sinnvollsten?

Es gibt keine einheitliche Haltung „der Wissenschaft“. Weitgehender Konsens besteht dahingehend, dass die Zahlen der Neuinfektionen und der schweren Erkrankungen gesenkt werden sollten. Und Risikogruppen müssen geschützt werden, wo möglich. Es gibt aber auch Stimmen, die die Wirksamkeit eines „harten“ Lockdowns im Vergleich zu „leichteren“ Kontaktbeschränkungen bezweifeln. Allerdings ist die Lage inzwischen eine andere als im vergangenen Jahr. Angesichts der derzeitigen Verbreitung stärker infektiöser und möglicherweise auch weniger impfstoffanfälliger Virusmutanten gehen die meisten Experten davon aus, dass man sich noch weniger Kontakte in der Bevölkerung erlauben kann.

Dennoch ist es möglich, die Inzidenz auf bundesweit unter 25 Neuinfektionen pro sieben Tage und 100 000 Einwohner zu senken – wenn die Schulen weitgehend geschlossen und individuelle Kontakte eingeschränkt bleiben, oder noch weiter eingeschränkt werden, etwa durch mehr Homeoffice und Betriebsschließungen. Damit würde auch weniger Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs einhergehen. Auch FFP2-Masken sollten sich durchsetzen.

Was sind die Aussichten für die Zeit nach einem erfolgreichen Lockdown?

Einer der wichtigsten Kritikpunkte aus Reihen von Wissenschaftlern ist, dass kaum Strategien für danach vorbereitet würden. Sollte es noch während der kalten Jahreszeit Lockerungen im Sinne von „Zurück zur Normalität“ mit mehr Kontakten, Schul- und Restaurantöffnungen und Rückkehr an eng besetzte Arbeitsstätten geben, ist selbst bei Begleitmaßnahmen wie Maskentragen und Lüften mit massiven erneuten Anstiegen der Infiziertenzahlen zu rechnen. Allerdings sprechen Datenauswertungen auch deutlich dafür, genau hier intelligentere und flächendeckendere Lösungen zu suchen: etwa effektive Luftfilter an Arbeitsstätten sowie mehr Schnelltests einzusetzen.

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Ein wichtiger Faktor wäre, ob Menschen sich weiterhin freiwillig in ihren Kontakten effektiv einschränken würden, aber auch, ob dann wirklich deutlich effizienter als derzeit getestet, nachverfolgt und quarantänisiert werden würde. Eine entscheidende Rolle wird spielen, ob es gelingt, die Risikogruppen über Infektionsschutzvorkehrungen und Impfungen bis dahin deutlich besser vor Erkrankungen zu schützen. Bislang, so schreibt eine Expertengruppe um den Kölner Mediziner Matthias Schrappe, seien derlei Maßnahmen „gerade für die vulnerablen Gruppen wirkungslos."

Kommt auch ein Wirtschafts-Lockdown?

Nein. Eine Schließung von Betrieben oder das Herunterfahren der Industrieproduktion ist laut Regierungskreisen keine Option bisher. Da immer noch zu viele Bürger in die Büros fahren, wird eine Rechtsverordnung von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD)  geprüft, mit der das Home-Office zur Regel würde. Es sei denn, die Arbeitgeber können nachweisen, dass das nicht umsetzbar ist oder die technischen Voraussetzungen fehlen. "Wir brauchen mehr Homeoffice, nicht irgendwann, sondern jetzt", sagt SPD-Chefin Saskia Esken. Mit mehr Menschen zu Hause, sei es über Ausgangssperren und/oder mehr Home-Office werden automatisch die Fahrgastzahlen in den öffentlichen Nahverkehrsmitteln (ÖPNV) sinken. Zudem wird über eine Flexibilisierung der Arbeits-Anfangszeiten nachgedacht, um den ÖPNV in den Stoßzeiten zu entlasten. Der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln, Michael Hüther, ist jedoch gegen eine Verlängerung und Ausweitung des Lockdowns. „Es wird immer nur mit Bedrohungsszenarien gearbeitet", sagt er dem Tagesspiegel. „Auch jetzt ist eine erneute Verschärfung nur schwer nachvollziehen, da die Inzidenzen sowohl bei uns als auch in den Ländern, in denen die Mutation sich ausgebreitet hat, tendenziell zurückgehen.“ Im Moment werde die Politik nicht erklärt und nicht begründet: „Das finde ich nicht nur als Ökonom, sondern auch als Bürger ziemlich empörend.“

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