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Eine Frau vor einem zerstörten Haus in Mariupol

© Reuters/Alexander Ermochenko

Fast vier Wochen Krieg in der Ukraine: Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Entwicklungen vom Wochenende

Die russische Luftwaffe setzt Hyperschallraketen ein, Kiew fürchtet einen Angriff von Belarus, Deutschland ist auf Krieg nicht vorbereitet. Eine Analyse.

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In den Regierungszentralen der Welt wird in diesen Tagen wieder Kremlogie betrieben. In Wladimir Putins Kopf kann niemand hineinblicken, aber seine jüngsten Reden, der Waffeneinsatz, das brutale Zerbomben von Mariupol, ohne Rücksicht auf Zivilisten, dazu das Zusammenziehen von Truppen an der Grenze zu Belarus.

Sein Krieg gegen die ganze Ukraine wurde von vielen nicht gesehen, umso mehr wächst nun die Sorge, dass der russische Präsident zu allem entschlossen ist - nicht aber zum Frieden. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zu den jüngsten Entwicklungen in der Ukraine.

Was bedeutet der erstmalige Einsatz von Hyperschallraketen durch Russland im Krieg gegen die Ukraine?

Sowohl in den USA als auch in Deutschland wurde der Einsatz von Hyperschallraketen nicht nur als militärtechnische Operation, sondern auch als deutliches Signal an den Westen und die Nato verstanden. Ähnlich wie vor wenigen Tagen der Raketenangriff auf ein Ausbildungslager der ukrainischen Armee unweit der polnischen Grenze soll damit offenbar die Botschaft gesendet werden: Wenn die EU- und Nato-Staaten sich auf der Seite der Ukraine zu weit einmischen, könnten die russischen Waffen auch sie treffen.

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Anders als herkömmliche Marschflugkörper sei die Kinschal-Hyperschallrakete in der Lage, „Luftabwehrsysteme sehr effektiv zu durchdringen", sagt Joachim Krause vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel. Über ihre tatsächliche Anzahl in russischen Arsenalen gebe es nur Spekulationen.

„Der Einsatz sollte wohl den Eindruck russischer Überlegenheit vermitteln", urteilt der Politikwissenschaftler. Ob dieser Einsatz eine neue Phase der russischen Offensive, oder gar eine neue Strategie erkennen lasse, sei zum noch fraglich.

Sollte Russland die Hyperschallraketen auch in Kaliningrad stationieren oder stationiert haben, könnten sie bei einer Reichweite von 1000 bis 2000 Kilometer auch Berlin erreichen - die russische Exklave und Deutschlands Hauptstadt sind nur rund 500 Kilometer Luftlinie voneinander entfernt. Die „Fähigkeit zu hyperschallschnellen Ausweichmanövern" (Krause) erschwert ihre Bekämpfung.

Schematische Flugbahn einer Hyperschallrakete, wie sie Russland nun in der Ukraine eingesetzt hat. 
Schematische Flugbahn einer Hyperschallrakete, wie sie Russland nun in der Ukraine eingesetzt hat. 

© Gal ROMA AND Sophie RAMIS/AFP

Überschallschnelle Raketen gibt es schon lange, die meisten ballistischen Raketen erreichen hohe Geschwindigkeiten, interkontinentale Raketen rasen in der Endphase ihrer Flugbahn mit bis zu 15.000 km pro Stunde heran. „Das Neue an den Hypersonic-Waffen ist ihre Manövrierfähigkeit unter Bedingungen hoher Geschwindigkeit“, meint der Kieler Sicherheitsexperte.

Die dafür notwendige Technologie werde von vier Staaten verfolgt, von USA, Russland, China und auch Frankreich. Die Zielgenauigkeit von Raketen und Marschflugkörpern werde durch die neue Technik nicht erhöht.

Krauses Urteil: „Das Grundprinzip der nuklearstrategischen Stabilität zwischen den USA und Russland - die gegenseitig gesicherte Zerstörungsfähigkeit - ändert sich durch Hyperschallwaffen nicht, insbesondere nicht, solange es Atomwaffen auf strategischen U-Booten gibt.“ Dazu kommt: Namhafte Sicherheitsexperten halten den Einsatz von Atomwaffen durch Wladimir Putin für unwahrscheinlich, wenn auch nicht für ausgeschlossen.

Wie würde ein Angriff des belarussischen Militärs auf die Ukraine die Kräfteverhältnisse ändern?

Die Führung in Kiew ist alarmiert: Die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs des belarussischen Militärs auf das eigene Land sei hoch, teilte das Präsidialamt mit. Die Befürchtung ist verständlich. Denn bislang sind keine Truppen des von Putins engstem Verbündeten Alexander Lukaschenko autokratisch regierten Landes in die Ukraine eingefallen – und das russische Militär konzentriert sich abgesehen von Raketenangriffe auf andere Regionen auf den Norden, Süden und Osten des Landes.

Ein Eingreifen der Armee des nördlichen Nachbarlandes auf den Westen der Ukraine würde deshalb eine weitere Front eröffnen und in einem Moment erhebliche militärische Kräfte binden, da die unterlegene Ukraine Schwierigkeiten hat, der Übermacht standzuhalten.

Die Verbindungen zwischen Minsk und Moskau sind eng: Die Truppen beider Länder hatten vor dem russischen Angriff gemeinsam an der Grenze zur Ukraine geübt, sind also aufeinander eingespielt. Als Indiz für den Willen Minsks zur Eskalation ließe sich deuten, dass Belarus seine Diplomaten aus Kiew abzog.

Noch hat er sein Militär nicht in die Ukraine geschickt, aber Kiew fürchtet, dass er es tut: Präsident Alexander Lukasshenko ist Russlands Verbündeter.
Noch hat er sein Militär nicht in die Ukraine geschickt, aber Kiew fürchtet, dass er es tut: Präsident Alexander Lukasshenko ist Russlands Verbündeter.

© Alexey NIKOLSKY/Sputnik/AFP

Allerdings ist noch unklar, ob Lukaschenko diesen Schritt gehen wird, denn offenbar gibt es Zeichen des Widerstandes in seinem Land, die für die Ukraine Partei nehmen. Bahnarbeiter sollen alle Verbindungen zur Ukraine unterbrochen haben. Der Vorsitzende der ukrainischen Eisenbahnen, Olexander Kamyschin, dankte für die Aktion.

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Es gebe zwischen beiden Ländern „ keinen Bahnverkehr“ mehr, schrieb er. Dies würde bedeuten, dass die russischen Truppen in der Ukraine über diese Strecken weder Verstärkungen noch Nachschub erhalten – und auch kein belarussisches Militär auf diesem Weg schnell vorrücken könnte. Bestätigt aus unabhängigen Quellen ist die Aktion bisher nicht.

Warum wird eine diplomatische Lösung unwahrscheinlicher?

Der russischen Seite wird nicht mehr getraut, auch im Kanzleramt fürchten sie, dass alle Versuche, eine Lösung für einen raschen Waffenstillstand zu finden, ein Ablenkungsmanöver sein könnten, eine Art neues Potemkisches’ Dorf. Die Telefonate mit Wladimir Putin sind für Kanzler Olaf Scholz (SPD) jedenfalls bisher wenig Hoffnung machend.

Vor allem wird auf Chinas Staatspräsident Xi Jinping gesetzt, der kein Interesse an einem längeren und schweren Einbruch der Weltwirtschaft haben kann.

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Die britische Außenministerin Liz Truss fürchtet, Moskau könnte die aktuellen Verhandlungen im Ukraine-Konflikt für eine militärische Neuordnung nutzen, dass es also vor allem um das Gewinnen von Zeit gehen könnte, um dann noch härter zuzuschlagen. „Ich bin sehr skeptisch“, sagte Truss der Londoner „Times“. „Was wir bislang gesehen haben, ist ein Versuch der Russen, Zeit für eine Reorganisation zu gewinnen.“

Es gebe keine Anzeichen für einen Abzug russischer Truppen oder ernsthafte Vorschläge auf dem Verhandlungstisch. Moskau habe wieder und wieder gelogen, so Truss weiter. Keinesfalls dürfe aufgrund von Verhandlungen auf Sanktionen gegen Moskau oder Waffenlieferungen an Kiew verzichtet werden.

Truss warnt vor einer weiteren Verschärfung des Konflikts. Der russische Präsident werde durch das zunehmende Scheitern seines Plans eines schnellen Siegs verzweifelter. „Es gibt immer das Risiko, dass er zu immer extremeren Maßnahmen greift, wenn er keinen Fortschritt macht, und wir haben bereits entsetzliche Gräueltaten in der Ukraine gesehen.“

Er verkündet Erfolge und leugnet Kriegsverbrechen: Igor Konaschenkow, Sprecher des Verteidigungsministeriums in Moskau.
Er verkündet Erfolge und leugnet Kriegsverbrechen: Igor Konaschenkow, Sprecher des Verteidigungsministeriums in Moskau.

© Russian Defence Ministry/AFP

Was bedeutet das für Deutschland?

Auch die Bundesregierung will weitere Waffenlieferungen - und ändert auch ihre zuletzt angewandte Strategie, zwar weiter daran zu arbeiten, aber nicht offen darüber zu reden, vor allem weil man Angriffe Russlands auf Waffenlieferungen fürchtet. Alle Details unterliegen de facto der Geheimhaltung inzwischen.

Bisher ist die Westukraine - hierüber kommen die meisten Waffen ins Land, vom Krieg nicht so stark betroffen. Waffen werden mit geheimen Transporten - nicht in deutlich erkennbaren Konvois - in das Land gebracht.

Erstmals hat nun Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) offen ausgesprochen, dass auch auf dem internationalen Markt Waffen angekauft werden sollen. „Aus den Beständen der Bundeswehr ist es schwierig mittlerweile beziehungsweise kaum noch möglich.

Aber es gibt andere Möglichkeiten. Beispielsweise über den Ankauf, über Ertüchtigungsinitiativen. Und ich kann Ihnen versichern, dass wir sehr ernsthaft mit der ukrainischen Regierung über solche Wege im Austausch sind“, sagte sie dem Deutschlandfunk.

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Es gebe Möglichkeiten Material anzukaufen, auch direkt durch die Ukraine beispielsweise. „Das ist dann aber kein Weg, der über das Verteidigungsministerium geht, sondern das ist dann ein Weg, der über das Wirtschaftsministerium geht, weil wir dann wiederum über Rüstungsexporte sprechen, wenn beispielsweise bei deutschen Firmen angekauft wird und das dann in die Ukraine geliefert wird“, betonte Lambrecht, dass nun auch verstärkt das von Robert Habeck (Grüne) geführte Ressort in dieser Frage eingebunden werde. 

Wenn der Krieg eskaliert, wäre Deutschland gewappnet? 

Nein - das sagen jedenfalls Experten wie der frühere Nato-General Egon Ramms. Fehlende Luftabwehr, rund 250 Panzer statt früher Tausenden, vieles nicht auf dem neuesten Stand, um eine robuste Landes- und Bündnisverteilung garantieren zu können. Zudem ist vieles schlicht nicht einsatzbereit. Die Tornados sollen in den nächsten Jahren von F-35-Bombern aus den USA abgelöst werden, auch um im Fall der Fälle die in Deutschland stationierten Atombomben zu transportieren.

Doch gerade Lambrecht achtet penibel darauf, dass es vor allem um Aus- nicht um Aufrüstung gehen müsse. „Wenn ich mit Soldatinnen und Soldaten spreche und sie mir zeigen, dass beispielsweise Funkgeräte nicht auf dem Stand sind, dass sie mit anderen Nationen nicht kommunizieren können, weil sie nicht kompatibel sind, dann zeigt das, was da für ein Handlungsbedarf da ist.“

Lambrecht kündigte für Mittwoch ein Gespräch mit Bundeskanzler Scholz und Generalinspekteur Eberhard Zorn über das 100 Milliarden Euro umfassende Programm zur Stärkung der Truppe an. Das bedeutet, dass Scholz die konkrete Umsetzung seiner angekündigten Zeitenwende verstärkt an sich zieht.

Auch der Schutz der Bevölkerung vor einer möglichen nuklearen Bedrohung soll durch mehr Bunker und Sirenen rasch verbessert werden. Armin Schuster, Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe fordert für die laufenden Haushaltsberatungen Mehrinvestitionen von 135 Millionen Euro. 

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