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Italien ist bei der Impfung von Jugendlichen weniger zurückhaltend.

© dpa/Cecilia Fabiano

Empfehlung nur für Vorerkrankte: Warum die Stiko nicht allen Jugendlichen zur Impfung rät

Die Impfkommission verzichtet auf eine generelle Impfempfehlung für 12 bis 15-Jährige. Das sind die Gründe.

Noch ist das Papier streng vertraulicher Entwurf und nicht veröffentlicht, doch der Inhalt ist weitgehend bekannt und auch nicht überraschend: Die Ständige Impfkommission (Stiko) beim Robert-Koch-Institut verzichtet auf eine generelle Corona-Impfempfehlung für gesunde Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 15 Jahren.

In diesem Sinne hatte sich der Stiko-Vorsitzende Thomas Mertens bereits am Freitag geäußert. Dabei begründete er die Zurückhaltung der Impfexperten vor allem mit fehlenden Daten. Es sei bisher nicht möglich, das Risiko einer Covid-19-Erkrankung bei Kindern seriös gegen das mögliche Risiko einer Impfung abzuwägen, sagte er im ZDF.

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Stattdessen findet sich in dem Papier nun lediglich eine eingeschränkte Empfehlung  – für Kinder mit definierten Vorerkrankungen. Geimpft werden sollten etwa, so raten die Experten, über 12-Jährige

  • mit Adipositas
  • mit angeborener oder erworbener Immundefizienz oder relevanter Immunsuppression
  • mit schwerer Zyanose
  • mit schwerer Herzinsuffizienz oder schwerer pulmonaler Hypertonie
  • mit chronischen Lungenerkrankungen, bei der die Lungenfunktion anhaltend eingeschränkt ist
  • mit chronischer Niereninsuffizienz
  • mit chronischen neurologischen oder neuromuskulären Erkrankungen
  • mit malignen Tumorerkrankungen.

In einem sogenannten Stellungnahmeverfahren können die Adressaten nun noch Anmerkungen und Einsprüche einbringen. Ein Beschluss der Stiko und eine offizielle Bekanntgabe der Empfehlung mit wissenschaftlicher Begründung ist Mertens zufolge erst in dieser Woche zu erwarten. Bis dahin sei das in Umlauf befindliche Papier lediglich vorläufig.

Datenlage bisher zu dünn

Ähnlich wie Mertens hatten sich zuvor bereits andere Stiko-Mitglieder geäußert. Eine Impfempfehlung könne „nicht einfach deswegen ausgesprochen werden, weil es gerade gesellschaftlich oder politisch opportun erscheint“, erklärte beispielsweise der Erlanger Immunologe Christian Bogdan. Die Wirksamkeit für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren sei zwar nachgewiesen. Aber für die Beurteilung von möglichen Nebenwirkungen fehlten noch ausreichend Daten. Schließlich könne die Immunantwort eines Kindes anders verlaufen als bei Erwachsenen.

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Als „dünn und nicht sehr belastbar“ bezeichnete auch Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), die Datenlage für die 12- bis 15-Jährigen. An der Zulassungsstudie von BioNTech/Pfizer seien lediglich 1.131 geimpfte Kinder und Jugendlichen beteiligt gewesen, auch deren Nachbeobachtungsdauer sei naturgemäß begrenzt.

Für eine verlässliche Nutzen-Risiko-Abwägung genüge das nicht. Insofern sei eine Impfempfehlung zunächst nur für Kinder und Jugendliche mit besonderen Risikofaktoren zu erwarten.

„Fremdnutzen“ rechtfertigt kein Impfrisiko

Eine solche auf Indikationen beschränkte Empfehlung werde von seinem Verband unterstützt, sagte Rodeck dem Tagesspiegel Background Gesundheit & E-Health. Schließlich sei die Gefahr eines schweren Covid-19-Verlaufs bei den 12- bis 15-Jährigen „denkbar gering“. Für den Nutzen einer Coronaimpfung von Kindern und Jugendlichen – bezogen auf Infektionsschwere, Komplikationsrate oder Sterberate –  gelte infolgedessen im Vergleich zu Erwachsenen das Gleiche.

Bei einer allgemeinen Impfempfehlung jedoch müsse der Eigenschutz und Vorteil für die Impflinge im Vordergrund stehen, betonte der Mediziner. Nur für den „Fremdnutzen“ einer Herdenimmunität, die durch die Impfung aller Kinder und Jugendlicher möglicherweise erreicht werde, dürfe man diesen kein Impfrisiko aufbürden – auch wenn es sich dabei nach bisherigen Erkenntnissen nur um ein theoretisches handle.

[Gucken Sie hier auch unser Experten-Gespräch: Fragen und Antworten zum Impfen (T+)]

Eine Impfung der Kinder dürfe dann allerdings auch „nicht mit einer erleichterten Zulassung zur Teilnahme am Schulunterricht und dem Besuch von Gemeinschaftseinrichtungen oder anderen Aktivitäten des sozialen Lebens verknüpft werden“, mahnte Rodeck.

Schließlich zeigten die Daten vieler Haushalts-Kontaktstudien und Kontaktnachverfolgungen der Gesundheitsämter, dass der Schulbesuch bei konsequenter Umsetzung der vorgeschlagenen Hygienemaßnahmen auch ohne Impfung gefahrlos erfolgen könne. Und letzteres gelte „insbesondere dann, wenn für die erwachsene Risikopopulation selbst die Option der eigenen Impfung besteht“.

Auch Pandemie-Modellrechnungen berücksichtigt

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse seien jedenfalls „mit sehr großem Aufwand und sehr umfassend“ aufgearbeitet worden, betonte Stiko-Chef Mertens. Und der Kommission lägen nicht nur Studien zum individuellen Nutzen einer Impfung für Kinder selbst vor, sondern auch Modellrechnungen zu den Auswirkungen auf die generelle Impfkampagne und den Fortgang der Pandemie.

So sei beispielsweise untersucht worden, ob es einen Unterschied mache, wenn sämtliche Kinder oder lediglich vorerkrankte Kinder geimpft würden. Ergebnis: Der Unterschied sei „nicht groß genug“ für eine allgemeine Empfehlung.

In der EU ist der Corona-Impfstoff der Hersteller BioNTech und Pfizer seit kurzem auch für Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 15 Jahren zugelassen. Und die Bundesregierung hat bereits entschieden, dass sich ab heute, mit dem Wegfall der Priorisierungen, auch Personen dieser Altersgruppe gegen Corona impfen lassen können. Allerdings könnten Jüngere, die sich trotz fehlender Empfehlung impfen lassen wollen, erst mal länger auf ihren Termin warten müssen. Die Impfstoffe nämlich bleiben rar. Ärzte und Politiker mahnten deshalb zu Geduld.

Kritik der Ärzte an Politiker-Versprechungen 

Die Politik habe den Anschein erweckt, „dass auch Kindern und Jugendlichen bereits ab kommendem Montag die Möglichkeit eines Impfangebots unterbreitet werden könne, obwohl es seitens der Ständigen Impfkommission keine generelle Impfempfehlung dazu gibt“, kritisierte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen.

Die Virologin und Regierungsberaterin Melanie Brinkmann forderte angesichts der Knappheit der Vakzine, weiterhin zuerst Erwachsene zu impfen. Bund und Länder kündigten aber an, allen Minderjährigen ab 12 zumindest im Sommer ein Impfangebot machen zu wollen.  

Bundesfamilienministerin Christine Lambrecht sprach sich unterdessen ganz im Sinne der Stiko für gezielte Impfungen von Kindern mit Vorerkrankungen aus. Ärztinnen und Ärzte könnten dabei „am besten beurteilen und beraten, für wen eine Impfung am dringlichsten ist“, sagte die SPD-Politikerin den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Wichtig sei es, dass Eltern und ihre Kinder gemeinsam mit Ärzten eine verantwortungsbewusste und freiwillige Entscheidung treffen könnten. Dafür benötigten sie vor allem umfassende Aufklärung mit fundierten Informationen. Wenn ein sicherer Impfstoff für Kinder zugelassen und verfügbar sei, könne er einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie leisten.

In Israel hat schon gestern die Impfung von Jugendlichen im Alter von 12 bis 15 Jahren gegen das Coronavirus begonnen. Das Gesundheitsministerium hatte zuvor mitgeteilt, die Gefahren einer Erkrankung seien höher als mögliche Nebenwirkungen der Impfung. „Die Fälle von Herzmuskelentzündungen bei 16- bis 19-Jährigen waren selten und sind meist ohne Komplikationen verlaufen“, hieß es. In Israel wird ebenfalls das Vakzin der Hersteller BioNTech und Pfizer verwendet.

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