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Völlig überfüllt: Flüchtlingscamp Moria auf der griechischen Insel Lesbos.

© Elias Marcou/Reuters

Elendslager auf den griechischen Inseln: Deutschland will 50 Flüchtlinge aufnehmen

Ein zunächst symbolischer Beitrag: Die Übernahme von Flüchtlingskindern startet - die Dimension des Problems aber bleibt.

Von Matthias Meisner

Ein kleiner erster Schritt, nach wochenlangen Verhandlungen: Deutschland ist offenbar bereit, in der kommenden Woche 50 unbegleitete Minderjährige aus den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln aufzunehmen. Das erfuhr der Tagesspiegel am Dienstagabend aus Koalitionskreisen. Die Rede ist dabei von einem „ersten Schritt“.

Die Nachrichtenagentur dpa meldete, die niedersächsische Landesregierung habe zugesagt, dass sie ihre Corona-Quarantäne von zwei Wochen in Niedersachsen verbringen können. Anschließend sollen sie auf mehrere Bundesländer verteilt werden. Zuvor hatte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn zugesagt, dass sein Land kurzfristig 12 Kinder und Jugendliche aufnehmen will. Gemeinsam soll nach den Plänen ein Charterflug organisiert werden.

Massensterben im Lager Moria befürchtet

Im März hatte sich Deutschland bereiterklärt, im Rahmen einer „Koalition der Willigen“ mehrere hundert Minderjährige aus den Flüchtlingscamps auf den griechischen Inseln aufzunehmen. Vor allem das Lager Moria auf der Insel Lesbos ist völlig überfüllt. Es war einmal für 3000 Menschen ausgelegt, inzwischen hausen dort mehr als 20.000 Geflüchtete. Der Ausbruch des Coronavirus würde aller Voraussicht nach zu einer Katastrophe und möglicherweise einem Massensterben führen.

Der Koalitionsausschuss von Union und SPD hatte im März beschlossen, im Rahmen einen Anteil von insgesamt etwa 1000 bis 1500 Kindern nach Deutschland zu holen und zu betreuen. Es handelt sich laut dem Koalitionsbeschluss um Kinder, die schwer erkrankt oder unbegleitet und jünger als 14 Jahre sind.

Beteiligte Länder sollten unter anderem Frankreich, Portugal, Finnland und Litauen sein. Später kamen zwei weitere Staaten hinzu. Mehrere dieser Länder erwägen wegen der Coronakrise aber aktuell einen Rückzieher beziehungsweise eine Verschiebung der Aktion. Das vom CSU-Politiker Horst Seehofer geführte Bundesinnenministerium hatte zunächst immer wieder gegen einen deutschen Alleingang bei der Lösung des Problems plädiert. Der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Steve Alter, versicherte am Dienstagabend: „Insgesamt wollen sich zehn Staaten beteiligen.“

SPD ernüchtert wegen schwieriger Verhandlungen

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Castellucci, der in die Vermittlungsgespräche eingeschaltet war, äußerte sich am Dienstagabend verhalten optimistisch. Er sagte dem Tagesspiegel: „Wie soll man erklären, dass sich etwas so lange hinzieht? Heute am besten gar nicht.“ In den vergangenen Wochen sei immer wieder in Zweifel gezogen, verzögert, vermeintlich „koordiniert“ worden.

Gleichzeitig sei die Unterstützung immer weiter gewachsen, um sie dann wieder in Zweifel zu ziehen. Castellucci sprach von „sieben Wochen, bis die strengen Regeln zur Bekämpfung des Coronavirus die nötigen Umsiedlungen immer schwieriger gemacht haben und gleichzeitig immer dringlicher".

Der SPD-Politiker verwies darauf, dass mit dem jetzigen ersten Schritt nur ein sehr kleiner Teil des Problems gelöst sei. Von den 1500 Geflüchteten, auf die sich die „Koalition der Willigen“ geeinigt habe, sei man noch weit entfernt. Man werde hoffentlich bald den nötigen Schutz erreichen. Und alleine in Lesbos würden immer noch etwa 20.000 Geflüchtete verbleiben, insgesamt knapp 40.000 auf allen ostägäischen Inseln.

„Ich bleibe dabei, dass hier nur eine komplette Evakuierung hilft, mindestens eine Reduzierung auf Größenordnungen, die den Bedingungen unter Corona gerecht werden“, erklärte der SPD-Bundestagsabgeordnete. „Wir bleiben also dran, zusammen mit allen Hilfsorganisationen, die vor Ort Übermenschliches leisten.“

Brief von mehr als 50 CDU/CSU-Bundestagsabgeordneten

Auf Initiative des nordrhein-westfälischen CDU-Bundestagsabgeordneten Thomas Rachel hatten sich am Montag mehr als 50 Abgeordnete der CDU/CSU-Bundestagsfraktion an EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen gewandt, um die Aufnahme von Flüchtlingskindern von den griechischen Inseln in Deutschland voranzutreiben. „In Anbetracht der weltweit rasanten Ausbreitung des Corona-Virus ist eine umgehende Aufnahme von geflüchteten Kindern aus Lagern auf den griechischen Inseln dringend geboten“, hieß es in ihrem Brief.

Rachel, Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, sagte am Dienstag dem Tagesspiegel, Deutschland könne gemeinsam mit Luxemburg einen Anfang machen. „Das ist dann kein kein nationaler Alleingang. Ein solcher Schritt kann auch andere Staaten ermutigen, einen Beitrag zu leisten.“ Wenn Corona etwa im Lager Moria auf Lesbos ausbreche, werde die Lage dort „ganz schrecklich“. Es sei auch eine Frage der europäischen Partnerschaft, Griechenland in dieser Situation nicht im Stich zu lassen.

Berlin bekräftigt Aufnahmebereitschaft

In den vergangenen Wochen hatten sich die Warnrufe gemehrt - und auch die Initiativen mehrerer Bundesländer, neben Niedersachsen unter anderem auch Thüringen und Berlin.

Der Berliner Senat bekräftigte am Dienstag Aufnahmebereitschaft. „Das kann aus unserer Sicht sehr schnell beginnen“, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD). Ein entsprechendes formales Ersuchen werde er jetzt noch einmal an die Bundesregierung stellen. Müller sagte weiter, er rechne mit etwa 50 Kindern und Jugendlichen, die Berlin aus den Flüchtlingslagern aus humanitären Gründen aufnehmen wird. Sein Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) hatte zuvor im Tagesspiegel-Interview deutlich größere Dimensionen ins Gespräch gebracht und bezogen auf die Hauptstadt von 500 bis 1500 Geflüchteten „oder auch noch mehr“ gesprochen.

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