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Kalbitz und Höcke bei einer AfD-Kundgebung.

© Martin Schutt/dpa

Die AfD-Spitze ist tief gespalten: Der Kalbitz-Rauswurf – für Meuthen ein Sieg mit Nebenwirkungen

Im AfD-Streit um den Rauswurf von Andreas Kalbitz ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen. Weder juristisch noch politisch. Eine Analyse.

Die Videobotschaft geht online, kurz nachdem das Urteil gesprochen ist. Mit ernster Miene steht Björn Höcke vor der Kamera. Das Bundesschiedsgericht der AfD hat gerade den Rauswurf von Andreas Kalbitz bestätigt – einem der engsten Verbündeten Höckes. „Dieses Urteil bedeutet einen schweren Schaden für die Partei“, sagt Höcke. Und geht direkt zum Angriff auf die innerparteilichen Gegner über.

Der Thüringer AfD-Chef verweist auf die horrenden Kosten, die durch den juristischen Streit um die Kalbitz-Mitgliedschaft entstünden. „Das Geld wäre woanders besser angelegt. Aber maßgebliche Protagonisten glauben, dass der Selbstbeschäftigungsmodus der erstrebenswerte Modus ist.“

Was Höcke sagt, ist eine Attacke auf Parteichef Jörg Meuthen und dessen Verbündete. Sie hatten im Mai entschieden, den Brandenburger AfD-Frontmann Kalbitz aus der AfD zu werfen und seine Mitgliedschaft zu annullieren. Die Begründung: Er habe rechtsextreme Bezüge in seiner Vita verschwiegen. Die Sache ging vor Gericht, Kalbitz durfte bis zu einer Entscheidung des Bundesschiedsgerichtes wieder Parteimitglied sein.

Am gestrigen Samstag dann urteilten die Parteirichter aber, dass der Rauswurf Bestand hat – Kalbitz ist draußen. Eigentlich Grund zur Freude für Meuthen. Denn Kalbitz fungiert als Strippenzieher für das extrem rechte Lager in der AfD und ist für Protagonisten wie Höcke enorm wichtig.

Doch klar ist auch: In dieser Sache ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen. Weder juristisch noch politisch. Wenn es schlecht für Meuthen läuft, ist die Entscheidung des Bundesschiedsgerichts nur ein Pyrrhussieg für ihn.

Kalbitz ist vor Gericht keineswegs chancenlos

Juristisch sind die nächsten Schritte bereits vorgezeichnet: Kalbitz wird weiter gegen den Rauswurf klagen. Er wird sich zudem erneut um einstweiligen Rechtsschutz bemühen. Das heißt: Er wird vor Gericht dafür kämpfen, dass er bis zu einer Entscheidung eines Zivilgerichts über die Rechtsmäßigkeit seines Rauswurfs vorläufig wieder AfD-Mitglied sein darf. Denn bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache könnte es Monate, sogar Jahre dauern.

Sollte sich Kalbitz kurzfristig wieder einklagen können, wäre der Schaden für Meuthen riesig. Denn tatsächlich verursacht das Verfahren signifikante Kosten für die Partei. Meuthen hatte sich stets sicher gezeigt, dass der Rauswurf juristisch Bestand haben würde. Eine Niederlage vor Gericht würde ihm als Dilettantismus ausgelegt.

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Die Sache ist juristisch sehr komplex, aber man kann zumindest sagen: Kalbitz ist vor Gericht keineswegs chancenlos. Der Ex-Fallschirmjäger kann zunächst argumentieren, dass seine politische Karriere stark Schaden nehmen würde, wenn er bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache ausgeschlossen bliebe.

Und in der Sache ist der Fall auch keineswegs eindeutig: Der Bundesvorstand ist zwar überzeugt, dass Kalbitz früher Mitglied beim Nazi-Trupp „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ) war und das hätte bei seinem Parteieintritt angeben müssen. Aber der handfeste Beweis dafür, eine Mitgliederliste, liegt nur dem Verfassungsschutz vor. Bei der AfD hat niemand die Liste je gesehen. Außerdem behauptet der Ex-Bundesführer der HDJ unter Eid, dass eine Verzeichnung auf der Liste nicht unbedingt eine Mitgliedschaft bedeute – auf der Liste hätten auch Interessenten gestanden.

Der Bundesvorstand argumentierte rein formal

Dass die ganze Sache juristisch auf wackligen Beinen steht, hat noch einen weiteren Grund: Die Art, wie der Bundesvorstand Kalbitz rausgeworfen hat, ist nicht der reguläre Weg, vielmehr ist es ein Kniff. Normal wäre, dass der Bundesvorstand ein Parteiausschlussverfahren anstrengt.

Das kann aber lange dauern. Im Zentrum hätte die Frage gestanden, ob Kalbitz ein Rechtsextremist ist, der der Partei Schaden zufügt. Schließlich ist Kalbitz einer der Frontmänner des mittlerweile formal aufgelösten „Flügels“ in der AfD, den der Verfassungsschutz als rechtsextrem einstuft und beobachtet.

Doch Meuthen und seine Mitstreiter setzten sich nicht mit der Frage auseinander, ob Kalbitz ein Rechtsextremist ist, sondern argumentierten rein formal: Er habe die HDJ-Mitgliedschaft verschwiegen und auch seine Mitgliedschaft bei den „Republikanern“ und hätte deshalb nie aufgenommen werden dürfen. Ergo: Seine Mitgliedschaft ist null und nichtig. Das Tauziehen um diese Frage vor Gericht kann sich hinziehen.

Aber auch politisch wird der Fall noch lange nachwirken: Im Streit um Kalbitz‘ Mitgliedschaft riss der Graben in der AfD weiter auf. Der Bundesvorstand ist in der Spitze entzweit. Auf der einen Seite stand Parteichef Meuthen, der mit seinen Mitstreitern die Mehrheit hat. Er ist überzeugt, dass sich die AfD zumindest dem Anschein nach deutlich nach rechts außen abgrenzen muss, um der Gesamtbeobachtung durch den Verfassungsschutz zu entgehen.

Dementsprechend jubilieren jetzt Meuthens Verbündete über die Entscheidung des Parteigerichts.  Der Abgang von Kalbitz sei „ein klares Zeichen für den künftigen Kurs der AfD“, sagte der Berliner AfD-Fraktionschef Georg Pazderski dem Tagesspiegel. Jetzt müsse die Partei „weiter erwachsen und regierungsfähig werden.“

Spannungen in der AfD dürften sich weiter verschärfen

Auf der anderen Seite stehen Ko-Parteichef Tino Chrupalla, der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland und die Fraktionschefin Alice Weidel. Sie fühlten sich düpiert durch Meuthens Überraschungscoup mit dem Kalbitz-Rauswurf. Und sie halten ihn auch politisch für falsch. Chrupalla beispielsweise glaubt, dass die AfD der Beobachtung ohnehin nicht entgehen kann. Aus seiner Sicht muss die AfD sich nicht ändern. Hinter dem Streit um Kalbitz steht die alte Frage, wie weit rechts die AfD stehen will.

Kalbitz‘ Verbündete machen jetzt weiter gegen Meuthen mobil. So erwähnt Höcke in seinem Video auch die Spendenaffären „von führenden Funktionären“. Die AfD beschloss kürzlich, eine Strafzahlung in Höhe von 269.400 Euro für Meuthens Spendenaffäre zu akzeptieren. Dabei ging es um Plakate und andere Wahlkampf-Hilfen für Meuthen im Jahr 2016.

Der Lager um Kalbitz und Höcke bemüht sich zudem, die Entscheidung des Bundesschiedsgerichts in der Causa Kalbitz als „politisches Urteil“ darzustellen. Höcke behauptet, einige Mitglieder des Gerichts hätten Anrufe von AfD-Mandatsträgern bekommen und seien aufgefordert worden, ein Urteil zu fällen, das der Mehrheit des Bundesvorstandes genehm sei. Im Meuthen-Lager wird dagegen betont, man habe bewusst keinen Kontakt zu den Gerichtsmitgliedern gesucht.

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So oder so dürften sich die Spannungen in der AfD weiter verschärfen. Dazu trägt auch bei, dass Kalbitz zwar vorerst raus ist aus der Partei, aber in Brandenburg weiter Gewicht hat. Die dortige AfD-Fraktion änderte nach der Annullierung seiner Mitgliedschaft im Mai die Geschäftsordnung, damit Kalbitz weiter Mitglied sein konnte. Später wählte sie ihn erneut zum Fraktionsvorsitzenden.

Für viele Beobachter ein Beleg, dass sich in der AfD Brandenburg niemand um Kalbitz rechtsextreme Vita schert. Auch bei seinen Auftritten auf Marktplätzen im Osten der Republik wurde Kalbitz bejubelt, als wäre nichts geschehen.

Nachdem das AfD-Bundesschiedsgericht nun am Samstag die Annullierung von Kalbitz‘ Mitgliedschaft bestätigte, verlangte der AfD-Vizefraktionschef im Brandenburger Landtag, Steffen Kubitzki, eine Sondersitzung der Fraktion. „Wir stehen wieder vor einem Scherbenhaufen“, sagte er. Wenn Kalbitz Fraktionsvorsitzender im Brandenburger Landtag bleibt - und danach sieht es aus – dann ist das durchaus eine Machtbasis, auch ohne AfD-Mitgliedschaft.

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