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LNG-Tanker könnten bald auch vor der Küste von Lubmin auftauchen.

© REUTERS

Exklusiv

4,5 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr: Unternehmer wollen noch 2022 LNG-Terminal in Lubmin fertigstellen

Zwei Potsdamer Unternehmer wollen bereits ab Dezember Flüssigerdgas über Lubmin anlanden. Wichtige Verträge haben sie offenbar bereits geschlossen.

Als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Dienstag nach seinem Besuch in der Kabinettssitzung von Mecklenburg-Vorpommern in Berlin vor die Presse tritt, horchen nur in Fachkreisen der Energiebranche einige Personen auf.

Angesprochen auf ein mögliches Flüssigerdgas-Terminal in Lubmin sagt der Bundeskanzler etwas überraschend: „Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir da zu guten Ergebnissen kommen.“ Ziel sei es, bereits zum Jahreswechsel dort Flüssiggas (LNG) anzulanden.

Tatsächlich sind die Pläne in Lubmin weit vorangeschritten, wie der Tagesspiegel exklusiv erfuhr. Bereits Anfang Dezember könnten die ersten LNG-Lieferungen in die ostdeutschen Netze fließen.

Doch hinter dem Projekt steht nicht die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit einen großen Energiekonzern, wie Uniper, die in Wilhelmshaven aktuell ein LNG-Terminal errichten. In Lubmin will ein Brandenburger Mittelstandsunternehmen mit lediglich 20 Mitarbeitern ein LNG-Terminal in Eigenregie errichten.

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„Wir haben das Schiff, wir haben das LNG und wir sind uns mit dem Hafen einig“, sagt Stephan Knabe, Aufsichtsratsvorsitzender des Unternehmens „Deutsche Regas“. Knabe ist eigentlich Wirtschaftsprüfer, leitet als Potsdamer Steuerberater das größte Beratungsunternehmen in Brandenburg.

Doch gemeinsam mit seinem alten Freund Ingo Wagner, langjähriger Fondmanager, nun Geschäftsführer und Hauptgesellschafter der Deutschen Regas, drängt er nun in den deutschen Gasmarkt, der angesichts der gedrosselten russischen Lieferungen immer mehr unter Druck gerät.

An ihrem Vorhaben arbeiten die beiden Männer seit Monaten im Hintergrund. „Uns war relativ schnell klar, dass es über kurz oder lang eine Gas-Knappheit gibt“, sagt Knabe im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Wagner, der ebenfalls in Potsdam lebt, habe in seiner Zeit als Manager bereits große Gas-Infrastrukturprojekte geleitet und kenne daher die entsprechenden Experten. Bereits 2016 wollten sie ein Wasserstoffprojekt in Lubmin umsetzen, scheiterten damals aber. Nach dem Kriegsbeginn in der Ukraine holen die beiden ihre alten Pläne wieder aus der Schublade und arbeiten an einer neuen Lösung – dieses Mal mit LNG.

Stephan Knabe gilt in Potsdam als "Macher".
Stephan Knabe gilt in Potsdam als "Macher".

© promo

Im Hintergrund lassen sie ihre alten Kontakte spielen, suchen Investoren und Partner für die Gaslieferungen. Nach eigenen Angaben haben sie dabei Erfolg. 100 Millionen Euro Eigenkapital besorgen sie. Damit gelingt es den beiden, eines von weltweit nur 48 FSRU-Schiffen zu optionieren – ein Spezialschiff zur Regasifizierung des Flüssigerdgas. Auch Vorverträge mit Gas-Lieferanten für LNG vom Weltmarkt seien bereits geschlossen.

4,5 Milliarden Kubikmeter LNG, 320 Arbeitsplätze

4,5 Milliarden Kubikmeter Gas könnten sie pro Jahr in Lubmin anlanden, versichert Knabe. Eine enorme Leistung, die zur Versorgungssicherheit in Ostdeutschland beitragen könnte. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 wurden in ganz Deutschland rund 86 Milliarden Kubikmeter Gas verbraucht. In Lubmin könnten so 320 Arbeitsplätze entstehen. Überprüfen lassen sich diese Angaben nicht, doch Knabe und Wagner sind optimistisch, dass bereits zum ersten Dezember 2022 Gas in Lubmin ankommt. „Wir müssen schneller sein, als die Temperaturen fallen.“

Die Bundesregierung selbst hat unter großem Druck und mit fast drei Milliarden Euro vier solcher FSRU-Spezialschiffe gechartert. Zwei LNG-Terminals in Wilhelmshaven und Brunsbüttel sind inzwischen im Bau. Auch Lubmin ist schon länger im Gespräch für ein LNG-Terminal. Weil dort die Pipelines Nord Stream I und Nord Stream II anlanden, ist die nötige Ferngasleitungs-Infrastruktur vorhanden. Mit den Hauptleitungen OPAL, Eugal und NEL wird vor allem der Osten und Norden der Republik mit Gas versorgt. Doch Lubmin besitzt anders als Wilhelmshaven keinen Tiefseehafen. Die Ostsee ist flach, der Greifswalder Bodden ist an den meisten Stellen nur gut zehn Meter tief – zu wenig für die schweren LNG-Tanker.

Robert Habeck Anfang Mai beim Baubeginn des ersten LNG-Terminals in Wilhelmshaven.
Robert Habeck Anfang Mai beim Baubeginn des ersten LNG-Terminals in Wilhelmshaven.

© Sina Schuldt/dpa

Doch auch dafür haben Knabe und seine Mitstreiter eine Lösung gefunden. Mit kleinen Shuttle-LNG-Schiffen soll die Fracht, die der große Tanker mit sich führt, einige Kilometer vor der Küste erst entladen und dann in den Hafen zu dem FSRU-Schiff gebracht werden. Drei solcher Shuttle-Schiffe, die 5000 bis 10000 Kubikmeter LNG transportieren können, hat die Deutsche Regas eigenen Angaben zufolge gechartert. Obwohl das Verfahren deutlich aufwendiger ist als an anderen Standorten, glaubt Knabe, dass das Gas bezahlbar bleibt: „Trotz unserer Seebrücke sind wir kostenmäßig wettbewerbsfähig.“

Der Bürgermeister von Lubmin ist zuversichtlich

Es klingt nach einem abenteuerlichen Unterfangen, doch mehrere Stellen im politischen Berlin bestätigen dem Tagesspiegel die Seriosität des Unterfangens. Der Fernleitungsnetzbetreiber Gascade, der für die landseitigen Pipelines ab Lubmin verantwortlich ist, bestätigt den Eingang eines Antrags der Deutschen Regas. „Der Antrag liegt seit einigen Tagen vor und wird nun geprüft“, sagt eine Gascade-Sprecherin.

Der Bürgermeister von Lubmin, Axel Vogt, der auch Geschäftsführer des Hafens ist, bestätigt im Gespräch mit dem Tagesspiegel die Darstellung von Knabe. Er kennt die Pläne, hat einen Vorvertrag unterzeichnet. „Das hat alles Hand und Fuß“, sagt Vogt, der seit 13 Jahren Bürgermeister in Lubmin ist.

Mit Investoren und Unternehmern aus der Energiebranche kennt er sich aus. Neben Nord Stream landen hier auch die Stromkabel mehrerer Offshore-Windparks, das stillgelegte Kernkraftwerk und ein altes Zwischenlager werden noch immer zurückgebaut.

Vogt ist froh, dass mit der Deutschen Regas neue Infrastruktur nach Lubmin kommt. „Mein Interesse ist, zu zeigen, dass wir hier keine riesigen Investruinen haben“, sagt er. Auch über die Gewerbeeinnahmen und die Liegekosten für das FSRU-Schiff dürfte sich der Bürgermeister freuen.

Dass nun zwei Geschäftsmänner und nicht die Bundesregierung in Lubmin aktiv werden, wundert Vogel nicht – aber er ärgert sich: „Ich hätte mir schon gewünscht, dass sich mal jemand aus der Bundesregierung bei uns meldet, bevor der Bundeskanzler über LNG aus Lubmin spricht.“

Knabe: "Es gibt für alles eine Lösung"

Doch in der Bundesregierung hält man sich zu den Details sehr zurück, aus Kreisen der Regierung wird das Projekt aber bestätigt. Im Wirtschaftsministerium äußert man sich auf Anfrage ausweichend, verweist auf die eigenen vier FSRU- Schiffe und geplante LNG-Terminals.

Zu den Plänen der Deutschen Regas äußert sich das Ministerium nicht. „Der Bund dachte wohl sehr lange, wir wollen eines seiner Schiffe“, sagt Knabe.

Manuela Schwesig und der Bundeskanzler sind optimistisch für den Standort Lubmin.
Manuela Schwesig und der Bundeskanzler sind optimistisch für den Standort Lubmin.

© dpa

Offenbar hat Scholz vor seinen Äußerungen mit Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) über den Standort Lubmin gesprochen. Mit der hatten Knabe und Wagner noch am Abend vor der gemeinsamen Kabinettssitzung am Rande des Sommerfests der Landesvertretung von Mecklenburg-Vorpommern in Berlin gesprochen.

Die Landesregierung in Schwerin äußert sich nicht konkret zur Deutschen Regas. „Gegenwärtig sind verschiedene Projekte in der Diskussion und in Prüfung“, sagt Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD).

Geklärt werden müssten auch Fragen nach einem möglichen Investor und Betreiber. „Es ist gut, dass auch beim Bund anscheinend anerkannt wird, dass die Ostsee als potentieller Standort in Betracht gezogen wird“, sagt Meyer.

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Dies würde die Versorgungssicherheit für Ostdeutschland stärken. Das sei auch das Hauptanliegen der beiden Potsdamer, versichert Stephan Knabe: „Uns motiviert am meisten, dass wir etwas für unser Land tun können.“

In Ostdeutschland solle im Winter niemand frieren. Zudem glaubt er an LNG als Brückentechnologie für Wasserstoff. Auch in Lubmin soll mittelfristig grüner Wasserstoff anlanden – die alten Pläne hat Knabe noch nicht aufgegeben.

Doch erst einmal bleiben viele Hürden. Zahlreiche umwelt-, wasserschutz- und gefahrenschutzrechtliche Genehmigungen stehen noch aus. „Wir haben noch viele Herausforderungen“, sagt Knabe. „Aber es gibt für alles eine Lösung.“

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