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Tatort: Der letzte Tango von Frankfurt

Andrea Sawatzki und Jörg Schüttauf müssen zum „Tatort“-Abschied gegen ihren Ex-Chef ermitteln.

Er fährt in seiner Freizeit Motorräder, sie tanzt Tango. Er isst gerne Würstchen in der Polizei-Kantine. Sie nicht. Er würde nach getaner Arbeit noch einen „Absacker“ mit ihr trinken, sie ein „Tagesabschlussgetränk unter Kollegen“. Die anämische Charlotte Sänger der Andrea Sawatzki und der handfeste Fritz Dellwo alias Jörg Schüttauf, das war acht Jahre lang ein erstaunliches Ermittler-Paar im bunten „Tatort“-Kosmos. Die Zuschauer hatten die beiden nicht unbedingt in ihr Herz geschlossen. In der Liste der beliebtesten „Tatort“-Ermittler liegen Sänger/Dellwo mit knapp über sieben Millionen Zuschauern auf Platz 13. Everybodys darling wie Quoten-Königin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) vom Hannoveraner „Tatort“ wollten die Frankfurter Kommissare aber sowieso nie sein. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, gehören ein paar der 18 Krimis des Hessischen Rundfunks mit Charlotte Sänger und Fritz Dellwo zum Besten, was der Edelkrimi bislang hervorgebracht hat.

Zum Abschied, für den letzten Fall musste es daher eigentlich gar nichts Besonderes mehr sein. Das Frankfurter „Tatort“-Duo darf in aller Uneinigkeit gegen den eigenen Chef, gegen Rudi Fromm (Peter Lerchbaumer) ermitteln, der unter Mordverdacht steht. Der Plot: Nach 20 Jahren wird ein gewisser Nick Graf (Richard Sammel) entlassen, den Fromm in den 1970er Jahren nach einer Reihe brutaler Banküberfälle auf frischer Tat ertappte. Dabei wurde Grafs Frau und Komplizin von Fromm erschossen. Von Rache beseelt und vom Krebs gezeichnet, findet Graf den Cop und erschießt dessen Freundin vor Fromms Augen, mit der Dienstwaffe, am Tage des Dienstabschieds. Auch Fromms Tochter (Jördis Triebel) schwebt in Lebensgefahr. Der Polizist startet einen einsamen Feldzug, um Graf zu finden. Sänger und Dellwo starten einen Wettlauf gegen die Zeit. Dellwo kann nicht glauben, dass ein langjähriger Freund und Kollege zu einem Mord fähig ist, Sänger schon.

Zugegeben, dieser Rache-Thriller ist ein bisschen dick aufgetragen, kein klassischer Who-done-it-Krimi. Die Schuldfrage, für den Zuschauer zumindest, ist schnell geklärt. Im Mittelpunkt des Interesses steht weniger die Unberechenbarkeit des todkranken Rächers, der nichts mehr zu verlieren hat, sondern die besondere Beziehung, das Vertrauensverhältnis der beiden Frankfurter Kommissare zu ihrem pensionsreifen Chef und vor allem untereinander. Dafür hat Autor und Regisseur Titus Selge zum Schluss noch ein paar hübsche Szenen und Bilder gefunden, natürlich auch, um nachlassenden Diensteifer zu skizzieren. Die Lust am Job scheint passé. Wehmut, Nostalgie allüberall. Einmal sagt Dellwo: „Hände hoch, Waffe weg, wo waren Sie denn am Donnerstag, ist doch immer dasselbe.“ Oder, typisch Sänger: „Dieser Fall fühlt sich komisch an, als ob wir das alles hier zum letzten Mal machen.“

Noch einmal Frankfurt am Main bei Morgendämmerung in Vogelperspektive, noch einmal die Skyline von Mainhattan, in dessen Häuserschluchten ein Mann auf Rachespur umhergeht und zwei Polizisten stets einen Tick zu spät kommen. Noch einmal Tango-Musik im Hintergrund, auch wenn die Sänger nicht tanzt. Noch einmal der düstere biografische Mantel, den sich die Oberkommissarin zu Beginn dieser „Tatort“-Reihe mit dem Doppelmord an ihren Eltern hat anhängen lassen. Noch einmal die Einsamkeit und das Frozzeln der so verschiedenen und im Grunde doch so ähnlichen Kommissare; ein Frankfurter Gefühl, grandios inszeniert von Titus Selge, der für den HR einige bemerkenswerte „Polizeiruf“-Folgen geschrieben und gedreht hat.

Noch einmal also „Tatort“ in Reinform – der gelungene Versuch der Einbettung von Mord und Totschlag in die visuelle Ästhetik, in die Kultur unserer Gesellschaft. Schwer zu glauben, dass in Frankfurt einst ein Karl-Heinz Hassel als betulicher Kommissar Brinkmann (1985 bis 2000) auf Mördersuche gegangen ist, vor allem, wenn man in den letzten acht Jahren den globalisierungskritischen Flughafen-Krimi „Der tote Chinese“, die Grimme-preisgekrönte Episode „Herzversagen“ oder zuletzt den Internats-Krimi „Weil sie böse sind“ vor Augen hat. Hessen als moderner Krimi-Schauplatz. Über maue Stoffe, wie so viele andere „Tatort“-Kommissar-Darsteller, konnten Jörg Schüttauf und Andrea Sawatzki wirklich nicht klagen. Grandios zu Ende spielen mussten sie das alles natürlich trotzdem.

Ein schweres Erbe. Die Fähigkeit, in Deutschlands Krimireihe Nummer eins immer wieder überraschende, zeitgemäße Figuren und Charaktere hervorzubringen, hat in jüngster Zeit etwas gelitten, vom verdeckten Ermittler Cenk Batu in Hamburg mal abgesehen. Der Hessische Rundfunk hat, nach dem gescheiterten Werben um Christoph Waltz als „Tatort“-Kommissar, tief in die Casting-Kiste gegriffen. Im November gibt Ulrich Tukur ein – höchstwahrscheinlich – einmaliges Intermezzo als „Tatort“-Ermittler. Ab Dezember wird beim HR die erste Folge mit Nina Kunzendorf und – dem vom ZDF-Krimi „Lutter“ abgeworbenen – Joachim Król gedreht. Król und Kunzendorf sind die Nachfolger von Schüttauf und Sawatzki. So hundertprozentig transparent waren die Umstände dieser Ablösung nie. Produktionstermine beim „Tatort“ und andere filmische Einsätze übers Jahr sollen bei Andrea Sawatzki und Jörg Schüttauf nicht mehr miteinander zu koordinieren gewesen sein, heißt es beim HR. In einigen „Tatort“-Folgen mussten sie schon solo auf Verbrecherjagd gehen. Und man wollte nach fast zehn Jahren einfach aufhören, wenn’s am schönsten ist. Darüber sollten sich andere, in die Jahre gekommene „Tatort“-Teams dann aber auch mal Gedanken machen.

Der deutsche Fernsehkrimi wird ohne Charlotte Sänger und Fritz Dellwo ein Stück ärmer sein, Frankfurt sowieso. Und da sowieso schon alles egal und komisch ist, haben sich die beiden Kommissare in „Am Ende des Tages“ sogar noch mal geküsst. Vor ein paar Folgen zog Dellwo aus dem Haus seiner Kollegin aus, in dem er zur Untermiete wohnte, weil er nicht mehr aushielt, wie sie da mit ihren toten Eltern zusammenlebt. Jetzt wollen die beiden zusammen in den Urlaub fahren. Das kann nicht gut gehen.

„Tatort: Am Ende des Tages“, ARD, 20 Uhr 15

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