zum Hauptinhalt
Fünf Wandervereine gibt es in Potsdam. Doch die Wanderzunft hat ein Nachwuchsproblem. 

© Uwe Meinhold/ddp

Wandersport: Potsdamer Wandergruppen fehlt der Nachwuchs

Das Sportwandern ist in die Jahre gekommen – zumindest in Potsdam, wo die Aktiven auch die Stadtpolitik als ein Problem benennen. Ein neuer Trend belebt aber auch alte Traditionen.

Potsdam - Wer sich jung fühlen will, muss wandern. „Wer sich mit 50 unserer Wandergruppe anschließen will, wird sofort unser Jugendvertreter“, lockt Karl-Heinz Schmiedeke. Der ist weit über 70, wandert seit fast 50 Jahren – „jedes Jahr so um die 1000 Kilometer“, wie er sagt. Schmiedeke ist Vorsitzender des Potsdamer Wanderbundes und so etwas wie ein Vertreter einer aussterbenden Sportart. Zumindest Schmiedeke meint: „So langsam geht uns die Luft aus.“ Die Mitglieder der Potsdamer Wandervereine sind 65 plus, „an die Jüngeren kommen wir nicht ran“, bedauert Schmiedeke.

Wandern ist Sport. „Natürlich“, erklärt Schmiedeke mit Nachdruck. Denn wenn an einem Wandertag bis zu 50 Kilometer und auch mehr zurückgelegt werden, ist das sportlich. Tatsächlich gibt es Wettbewerbe im Sportwandern, bei denen die Teilnehmer eine bestimmte Kilometerzahl pro Tag nachweislich bewältigen müssen. Wer unter die Medaillengewinner kommen möchte, braucht eine gute Ausdauer. Zu DDR-Zeiten, in denen das Sportwandern weitaus populärer war als heute, weil es eine Möglichkeit darstellte, zu Wettkämpfen ins Ausland zu reisen, gab es Wettkampfformate, in denen innerhalb von 24 Stunden 100 Kilometer absolviert werden mussten. Der Potsdamer Wanderverein zählte neben dem Dresdner, Rostocker und Erfurter zu den besten des Landes. Immer dabei: Schmiedeke. Der war damals Lehrer im Potsdamer Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) und war damit beauftragt, alle zwei Wochen für die Lehrlinge Wochenendausflüge zu organisieren. Sie wanderten durch die ganze Republik – Schmiedekes RAW-Wanderer waren ehrgeizige Kilometerfresser, die immer möglichst lange Strecken schaffen wollten. Wer richtig wandert, „muss einen Fuß immer auf der Erde lassen“, erläutert Schmiedeke, „früher wurde die Technik richtig trainiert. Mit dem Alter geht sie aber verloren.“

Wege überbaut, Markierungen verschwunden, Gebühren für Treffpunkt

Technisch versiertes Wandern gibt es demnach kaum noch zu sehen, wenn die Potsdamer Wanderfreunde unterwegs sind. Etwa 200 organisierte Wanderer aus fünf Sektionen beziehungsweise Vereinen gibt es in der Stadt. Ihre Wandergebiete sind Potsdam und Berlin und das Umland der beiden Städte. Sie treffen sich regelmäßig für ihre Touren, „in Potsdam kannst du an fünf Tagen in der Woche losmarschieren“, sagt Schmiedeke.

Wandern macht glücklich - das besagt zumindest eine Studie des Deutschen Wanderverbands.
Wandern macht glücklich - das besagt zumindest eine Studie des Deutschen Wanderverbands.

© Uwe Zucchi/dpa

Doch nicht nur wegen des Altersdurchschnitts wird das Sportwandern in Potsdam zur seltenen Gattung. Im Rathaus nehmen die Stadtverwalter „das Wandern nicht für voll“, beklagt Schmiedeke. Viele Wanderwege seien überbaut, die Markierungen verschwinden, „unser Wegewart hat längst das Handtuch geschmissen, weil es immer schwieriger wurde, die Markierungen zu erneuern oder zu pflegen“, sagt der Wanderchef. Hinzu kämen lächerliche Gebühren, die die Stadt eintreibe. Als sich die Potsdamer Wandertruppe einmal für einen Ausflug am europäischen Wanderkreuz nahe des Brauhausberges treffen wollte, musste Schmiedeke dies als offiziellen Treffpunkt anmelden – gebührenpflichtig für 47 Euro. „Von einem Sportplatz oder einer Turnhalle können wir starten, ohne zu bezahlen.“

Handy mit GPS - "aber wehe, es kommt ein Funkloch"

Auch wenn Schmiedeke inzwischen mehr vom Genuss- als vom Sportwandern spricht, wenn sich die Potsdamer Wanderer auf den Weg machen, sind sie immer noch ehrgeizig. Beim Deutschen Wandertag, bei dem alljährlich zehntausende Wanderfreunde auf verschiedenen Wegen in einer Region unterwegs sind, kamen die Potsdamer im vergangenen August in Detmold auf die meisten Kilometer. Der Vorteil des Alters zahlte sich aus: Als Rentner hatten sie Zeit, kraxelten während der gesamten Veranstaltungswoche durch den Teutoburger Wald und kamen so auf die längste absolvierte Gesamtstrecke – multipliziert werden Teilnehmer und Kilometer.

Schmiedeke ist ein Verfechter der alten Wanderschule, die mehr und mehr ihren ursprünglichen Charakter verliere. Er hadert sehr mit der Ausrichtung des Deutschen Wanderverbandes, der Dachorganisation in den alten Bundesländern, unter der das Wandern mehr und mehr zum kommerziellen Tourismus mutiere. „Heute kann losziehen, wer will“, grantelt Schmiedeke, „aber Wandern will gelernt sein.“ Nicht umsonst gebe es eine allgemeine Ausbildung zum Wanderleiter, wofür die C-Trainerlizenz im Breitensport und eine Rotes-Kreuz-Ersthelferausbildung Grundlage sind. Der Brandenburgische Wandersport- und Bergsteiger-Verband hat einen Vertrag mit der Europäischen Sportakademie (ESAB) zur Spezialausbildung von Wanderführern. Vor allem für das Wandern im Hochgebirge sei eine Sicherheitsprüfung zwingend erforderlich, mahnt Schmiedeke. „Ganz zu schweigen vom Kartenlesen. Heute hat jeder ein Handy mit GPS und läuft los. Aber wehe, es kommt ein Funkloch.“

Beliebte Megamärsche mit 100 Kilometern in 24 Stunden als Ziel

Ganz so eine aussterbende Spezies, wie Schmiedeke beklagt, sind die Sportwanderer jedoch nicht. Auch wenn es etwas aufgepeppter und gestylter daherkommt – Megamärsche sind ein neuer Trend. In zwölf deutschen Städten fanden in diesem Jahr solche Wanderungen statt, bei denen in 24 Stunden 100 Kilometer geschafft werden müssen – die alte Wettkampftradition also wieder aufgegriffen wird. 2016 veranstalteten zwei Freunde in der Eifel zum ersten Mal einen Megamarsch. „Wir hatten eigenlich nur nach ein paar Helfern gefragt, am Ende wollten fast 600 Leute mitmachen“, erinnert sich Marco Kamischke, der heute Geschäftsführer der hundert24 GmbH ist.

Megamärsche sind ein neuer Ausdauertrend. 100 Kilometer in 24 Stunden sind das durchaus sportliche Ziel.
Megamärsche sind ein neuer Ausdauertrend. 100 Kilometer in 24 Stunden sind das durchaus sportliche Ziel.

© promo

Das Unternehmen hat einen Nerv getroffen, in diesem Jahr organisierte es in zehn deutschen Städten – darunter Berlin – Megamärsche mit insgesamt 18 000 Teilnehmern. „Die meisten sind Mitte 30“, sagt Kamischke und sieht in der körperlichen sowie mentalen Herausforderung den Reiz der 100-Kilometer-Wanderungen. Dass es eine sportliche Herausforderung ist, zeigt die Finisherquote: Lediglich 20 Prozent der Starter kommen auch ins Ziel. Doch scheint das Mitmachen und Dabeisein einen enormen Stellenwert zu haben. „Es geht nicht darum, was du hast, sondern was du machst“, sagt Kamischke. Der ist übrigens gerade mal 28 Jahre alt und verrät, warum das Wandern wieder populär werden könnte: „Es ist gefühlt ja nicht so anstrengend wie ein Marathon, aber man kommt raus aus der Komfortzone und bei 100 Kilometern auch an seine Grenzen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false