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Von Michael Meyer, Getafe: Im Wechselbad der Gefühle

Turbine Potsdam gewann das Finale in Getafe gegen Olympique Lyon mit 7:6 im Elfmeterschießen

Als erster sprach der Präsident. „Ich bin stolz auf Turbine Potsdam“, sagte Theo Zwanziger, der Chef des Deutschen Fußball-Bundes, am Donnerstagabend kurz nach dem Endspiel der ersten Champions League der Frauen, das der Deutsche Meister in Madrid nach einem wahren Elfmeter-Krimi mit 7:6 für sich entschieden hatte. „Das war an Spannung nicht zu überbieten“, meinte Turbine-Mitglied Zwanziger, der die Potsdamerinnen entsprechend erleichtert herzte, nachdem sie vom neben ihm stehenden UEFA-Präsidenten Michel Platini ihre Goldmedaillen umgehängt bekommen hatten. Die Mannschaft um Cheftrainer Bernd Schröder war vor 10 372 Zuschauern im „Coliseum Alfonso Perez“ des FC Getafe faktisch schon klinisch tot, nachdem zwei ihrer Elfer gehalten worden waren, um am Ende das Ruder doch noch herumzureißen (siehe Statistik) – unglaublich. Um 23.14 Uhr stand Turbine als erster Champions-Leage-Sieger der Frauen fest.

Da jubelten nicht nur die etwa 400 Turbine-Anhänger im spanischen Stadion, sondern auch die mehr als 700 Fans beim Publik Viewing im Potsdamer Kutschstall und mehrere Millionen Zuschauer weltweit vor den Fernsehern. „Heute hat der Herrgott wieder das Füllhorn über uns ausgeschüttet, denn wir waren schon weg. Aber mit dem Elfmetertor von Sarholz wusste ich, dass das doch noch was werden könnte. Ich muss vor meiner Mannschaft den Hut ziehen, was ich selten mache“, erklärte Bernd Schröder, der am südlichen Stadtrand Madrids die Krönung seines fast 40-jährigen Lebenswerkes Turbine erlebte. „Mit diesem Match sind wir unsterblich geworden, mehr als mit einem klaren 3:0-Sieg. Damit gehen wir in die Geschichtsbücher ein.“

„Ich hatte heute ein Wellenbad der Gefühle wie noch nie in meinem Leben“, gestand Fatmire Bajramaj, die vor den Augen auch ihrer Eltern Ganimet und Ismet 120 Minuten unermüdlich gedribbelt und gerackert hatte und als „Spielerin des Spiels“ noch eine Extra-Auszeichnung erhielt. „Ich habe nur gedacht: Lieber Gott, steh uns bei.“

Turbine hatte in Halbzeit eins eine gewisse Nervosität nicht verbergen können und einen Rückstand nur mit viel Abwehrarbeit und auch Glück verhindert, als Louisa Necibs 35-Meter-Freistoß ans Lattenkreuz knallte (15.). Nach dem Seitenwechsel war Potsdam dann immer dominanter geworden. „Wir haben da aber unsere Chancen nicht genutzt“, meinte Bajramaj. Nach ihrem Solo von rechts in den Strafraum beispielsweise war Tabea Kemme an der bestens aufgelegten Olympique-Schlussfrau Sarah Bouhaddi gescheitert, ehe ihr Nachschuss über die Querlatte ging (60.). Und dann hatte Anja Mittag Pech, als sie nach tollem Alleingang nur den rechten Pfosten traf (84.).

Anja Mittag schien zur tragischen Figur der Partie zu werden, als sie nach torlosen 90 und 120 Minuten vom Elfmeterpunkt aus an Bohaddi scheiterte. „Da kamen schon die Tränen“, räumte Turbines Torjägerin ein. Und wusste genau, bei wem sie sich am Ende auch zu bedanken hatte: bei Potsdams Ballfängerin Anna Felicitas Sarholz, die just in dem Augenblick zwei Elfmeter hielt, als ein weiteres Gegentor schon das „Aus“ bedeutet hätte, und später selbst vom Punkt aus traf. „Respekt vor Saras Coolness. Und das mit 17“, sagte die Stürmerin über ihre Torfrau, die sich schon im Halbfinal-Rückspiel gegen Duisburg als Elfmetertöterin und damit als Matchwinnerin erwiesen hatte und der am späten Donnerstagabend Ministerpräsident Matthias Platzeck am Handy verriet, dass er angesichts der Dramatik der Partie viele Haare verloren habe.

Bianca Schmidt, die Turbines letzten Elfmeter sicher verwandelte, lobte ebenfalls ausdrücklich Torfrau Sarholz. „Es war der Wahnsinn. Die Hälfte von uns hat schon geheult, weil wir schier aussichtslos zurücklagen, und dann hält sie die beiden entscheidenden Dinger“, meinte die Sportsoldatin. „Das ist nicht zu toppen.“

Und auch Jennifer Zietz, die mit dem ersten Strafstoß an Bouhaddi gescheitert war, hatte fortan auf die Fähigkeiten der Turbine-Keeperin gesetzt. „Ich habe an Sarah geglaubt“, meinte der Kapitän, der noch zur Dopingkontrolle musste, nachdem er den 60 Zentimeter hohen und zehn Kilo schweren neuen Pokal aus Silber bei der Siegerehrung in den Nachthimmel gestemmt und mit der Trophäe eine Ehrenrunde gedreht hatte. „Das Spiel vor dem Elfmeterschießen war heute sehr nervenaufreibend und psychisch sehr schwierig, weil wir vorab als Favoriten gehandelt worden waren und es dann zunächst nicht so gut für uns lief. Aber Lyon hat auch sehr gut gespielt“, so Zietz, von deren Mannschaft die Anspannung dann aber bei ihrer Siegesfeier mit Eltern, Freunden und Sponsoren im Restaurant „Halifax“ bis in den Freitagmorgen hinein mehr und mehr abfiel. „Man hat gesehen“, so Zietz, „dass es ein würdiges Finale und beste Werbung für den Frauenfußball war.“

Mit der Aufwertung des bisherigen UEFA-Cups zur Champions League habe die UEFA „ein Zeichen gesetzt, dass Männer- und Frauenfußball nicht mehr so weit auseinander liegen“, so Schröder, dem die Laola-Wellen durch das „Coliseum Alfonso Perez“ nicht entgangen waren. „Man hat heute gespürt, dass der Frauenfußball auch in Spanien, wo er einen nicht so hohen Stellenwert wie bei uns in Deutschland hat, große Begeisterung auslösen kann. Ich habe Michel Platini gesagt, dass man das unbedingt fördern muss.“

Rainer Rabe, Hauptgeschäftsführer des Turbine-Sponsors ZAL, bekräftigte währenddessen, dass die Unterstützung durch sein Unternehmen auch reichen werde, „um im nächsten Jahr wieder ins Endspiel der Champions League – dann in London – zu kommen“. Am Freitag wurde aber erst einmal ausgeschlafen, eine Stadtrundfahrt unternommen und geshoppt. Heute wird das Turbine-Team im Madrider Bernabeu-Stadion life das Champions-League-Endspiel der Männer zwischen Bayern München und Inter Mailand verfolgen. „Ich habe gewettet, dass Bayern 2:0 gewinnt“, verriet Lira Bajramaj, die den Münchnern mit auf den Weg gibt: „Männer, macht es wie wir, und alles ist gut.“ Nach ihrer morgigen Rückkehr wird es am Pfingstmontag um 14 Uhr auf dem Potsdamer Luisenplatz schließlich einen großen Empfang für Turbine geben. „Da wird es auch noch einmal hoch hergehen“, ahnt Bernd Schröder schon in Madrid.

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