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Von Michael Meyer: Bestechende Bilanz

Der Kanu-Club im OSC Potsdam erkämpfte in 50 Jahren insgesamt 103 Olympiasiege und Weltmeistertitel

103 Olympiasiege und Weltmeistertitel, dazu 81 Silber und 75 Bronzemedaillen – es ist eine bestechende Bilanz, auf die Potsdams Rennkanuten verweisen können. Morgen blickt der KC Potsdam im OSC auf sein 50-jähriges Bestehen zurück, „und wir haben allen Grund, das ordentlich zu feiern“, sagt Jürgen Eschert. Eschert, jahrelang Chef des Kanu-Clubs und jetzt Vorsitzender von dessen Förderverein, hat die Erfolgsgeschichte der Potsdamer Paddler entscheidend mitgeschrieben: Als Kanute der ersten Stunde, als erster Potsdamer Olympiasieger, als Trainer und später als Organisator neuer Paddel- Highlights in der Landeshauptstadt.

Jürgen Eschert gehörte zu den ersten 15 Rennkanuten, die 1960 beim damaligen Armeesportklub (ASK) Vorwärts in Leipzig zusammengezogen wurden. Als Jugendlicher hatte er in Magdeburg die ersten Paddelschläge gemacht, und dank seiner Erfolge „bekam ich so viele der damals noch üblichen Lebensmittelmarken, dass ich damit meine ganze Familie ernähren konnte“, erinnert sich der jetzt 68-Jährige, der beim ASK zunächst schlechte Bedingungen vorfand. „In Leipzig haben wir kaserniert am Stadtrand gelebt und auf der Pleiße trainiert, einem stinkenden, dreckigen, schmalen Fluss, in dem sich die Ratten tummelten und der vor lauter Chemie im Winter nicht zufror“, erinnert er sich. Die Paddler waren deshalb meist unterwegs in Trainingslagern und froh, als der ASK 1963 einen Tausch vornahm: Die Rennkanuten zogen am 22. April von Leipzig nach Potsdam um, die Motocross- Fahrer dafür von Potsdam nach Leipzig. „Die Bedingungen hier an und auf der Havel kamen uns vor wie das Paradies“, weiß Eschert noch heute. „Wir haben zwar die ersten Nächte im alten Regattahauses bei Minusgraden genächtigt, aber wenn wir morgens von dort auf den Templiner See guckten, waren wir glücklich.“

Und nicht nur das. „Die optimalen Trainingsbedingungen hier sorgten bei uns allen für einen Leistungsschub“, so Eschert. Bei den Weltmeisterschaften im gleichen Jahr in Jugoslawien blieben die Neu-Potsdamer noch ohne Medaille, doch ein Jahr später schlug Escherts große Stunde. 1964 konnte er sich als einziger DDR- Rennkanute in die damalige gesamtdeutsche Mannschaft paddeln – und bei den Olympischen Spielen in Tokio im Einer- Canadier über die erste olympischen Goldmedaille für Potsdam jubeln. Zwei Jahre später wurden in Berlin-Grünau Anita Kobuss und Helga Ulze im 500-Meter-Zweierkajak Weltmeisterinnen für den SC Potsdam, ehe auch sie zum ASK wechselten, für den Reiner Kurth 1971 mit dem Neubrandenburger Alexander Slatnow im 1000-Meter-K2 den ersten WM-Titel gewann. Anfang der 70er Jahre paddelte sich auch Petra Grabowski (später verheiratete Borzym) mit Olympia-Silber im K2 in München sowie mehreren WM-Medaillen ins Scheinwerferlicht. Dann aber fielen auch zahlreiche Potsdamer Kanu-Talente einer politischen „Säuberungsaktion“ im DDR-Sport zum Opfer. Jürgen Eschert musste 1971 dem aktiven Sport und 1975 seiner Nachwuchs-Trainertätigkeit beim ASK adé sagen.

Ab 1980 mit den Olympischen Spielen begann dann Potsdams Kanu-Stern erneut immer heller zu leuchten. Birgit Fischer holte in Moskau die erste ihrer später insgesamt acht Olympia-Goldmedaillen, die – zusammen mit vielem weiterem Edelmetall – sie zur erfolgreichsten deutschen Olympionikin machen sollten. Ihr Bruder Frank Fischer und Peter Hempel, Harry Nolte und Jörg Bliesener im Kajak sowie Ulrich Papke und Ingo Spelly im Canadier räumten bis zum Ende der DDR bei internationalen Titelkämpfen tüchtig ab. „Das ganze System von der Nachwuchsentwicklung bis zu den optimalen Trainingsbedingungen mit dem damals als Staatsgeheimnis gehüteten Strömungskanal führte dazu, dass Potsdam ab den 80er Jahren der führende Kanuklub in der Welt wurde und bis heute blieb“, meint Jürgen Eschert. Ab 1989 waren Kai Bluhm und Torsten Gutsche im Zweierkajak das Maß aller internationaler Dinge.

Mit der politischen Wende verlor der damalige ASK aber zunächst alle starken Kanuten, die in Westvereinen ihr Glück versuchten, ehe es mit der Rückkehr von Bluhm/Gutsche aus Westberlin im Luftschiffhafen wieder bergauf ging. Aus dem ASK war inzwischen der Olympische Sportklub Potsdam geworden, für den Mitte der 90er Jahre auch Gunar Kirchbach im Zweier-Canadier Olympiasieger und Weltmeister wurde. Als 1997 die heute noch in der Leistungsklasse ganz vorn mitmischende Katrin Wagner(–Augustin) ihr erstes WM-Gold erpaddelte, war Eschert schon zum KC Potsdam zurückgekehrt, um hinter den Kulissen mit für bestmögliche Bedingungen der Paddler zu sorgen. Manuela Mucke kam aus Berlin und feierte mit Katrin Wagner zahlreiche Erfolge im Zweier- und Viererkajak. Mit Marc Westphalen, Tim Wieskötter und Lutz Altepost wechselten die ersten Kanuten aus den alten Bundesländern in den Luftschiffhafen, um zum Teil bis heute ebenso wie Ronald Rauhe, Fanny Fischer, Torsten Eckbrett, Sebastian Brendel und nachdrängende Talente die Potsdamer Erfolgsgeschichte fortzuschreiben.

Sie alle sind traditionell dabei, wenn der KC jährlich mit Wasserspielen und Kanalsprints den Potsdamern den Kanurennsport nahebringt. Auch am morgigen Freitag werden viele Asse von einst und heute erwartet, wenn der Kanu-Club im Luftschiffhafen sein 50-jähriges Bestehen feiert. Vorher wird dort um 15 Uhr der Grundstein für das „Haus der Vereine“, die sogenannte „Kanuscheune“ gelegt. Sie entsteht, wo einst der Pferdestall der ASK-Fünfkämpfer stand. „Direkt davor“, erzählt Jürgen Eschert, „befand sich die alte Militärbadeanstalt, die 1963 unser erstes Bootshaus in Potsdam wurde.“

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