zum Hauptinhalt

Sport: Über den Beetzsee nach Moskau

Die Europameisterschaft ist der internationale Härtetest für die Welttitelkämpfe in vier Wochen

Rio ist in diesen Tagen zum Greifen nahe. Am Sonntag, wenn in Brasiliens Metropole das Fußball-WM-Finale gespielt wird, rücken viele Deutsche dicht ran an den Zuckerhut. Conny Waßmuth indes sagt: „Rio ist weit weg.“ Noch denkt die Potsdamer Rennkanutin nicht daran, dass dort in zwei Jahren die Olympischen Sommerspiele stattfinden. Hingegen ist „Acapulco“ ganz nah: So nennt der Volksmund liebevoll die kleine Insel, die auf dem Beetzsee in Brandenburg an der Havel entstanden ist, als dort vor 45 Jahren eine Regattastrecke gebaut wurde, die ab heute bis zum Sonntag Wettkampfstätte für die Kanu-Europameisterschaften ist.

Für Conny Waßmuth und ihre sechs Vereinskollegen vom Kanuclub Potsdam ist es ein Heimspiel, ein Auftritt im eigenen Wohnzimmer. Die letzten anderthalb Wochen haben sie in Kienbaum verbracht, dem Bundesleistungszentrum nördlich von Berlin, in dem sich das ganze Jahr deutsche Spitzensportler in Form bringen und wo vor internationalen Höhepunkten Verbandsfunktionäre gern die Zahl der zu gewinnenden Medaillen vorgeben. Auch in dieser Woche erklärte Kanu-Bundestrainer Reiner Kießler zum Ziel, dass bei den 25 Entscheidungen, bei denen deutsche Boote an den Start gehen, jede zweite mit einem Medaillengewinn beendet werden soll.

Der Anspruch ist nicht überzogen: Bei den letzten Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften galt die schwarz-rot-goldene Kanuflotte als Garant für Podestplätze. Allerdings mischt sich unter die EM-Prognose für Brandenburg ungewohnte Zurückhaltung: „Medaillen sind in diesem Jahr nicht so wichtig“, behauptet Thomas Konietzko, Präsident des Deutschen Kanuverbandes. Zumindest was die EM angeht. Denn nur vier Wochen später finden in Moskau die Kanu-Weltmeisterschaften statt, deren sportlicher Stellenwert weitaus höher ist und daher stärker im Fokus der Athleten steht. Brandenburg ist lediglich eine Zwischenetappe auf dem Weg nach Moskau. „Die zeitliche Nähe zwischen EM und WM haben wir ja nicht exklusiv“, sagt Conny Waßmuth, „die haben die anderen Nationen ja auch.“ Vor allem in den Mannschaftsbooten ist es die europäische Konkurrenz, die auch bei den Weltmeisterschaften vorn mitfahren wird. In den Einzelwettbewerben, bei denen der Potsdamer Canadierfahrer Sebastian Brendel bei seinen drei EM-Starts über 500 und 1000 Meter sowie über fünf Kilometer jeweils eine Medaille holen möchte, wird die Konkurrenz in Moskau hingegen vor allem durch die starken Athleten aus Neuseeland, Übersee und Brasilien erweitert.

Auch wenn Rio 2016 weit weg scheint, ist für die DKV-Funktionärsspitze die Hälfte der Wegstrecke bereits erreicht. „Nach der EM und Moskau ist die erste Phase des Olympiazyklus’ abgeschlossen“, meint Sportdirektor Jens Kahl. Die WM im August werde Wegweiser sein. „Danach bestimmen wir unsere Olympiakader. Die werden dann zwei Jahre Vollprofistatus haben und durch Bundeswehr, Bundespolizei sowie durch die Eliteförderung der deutschen Sporthilfe unterstützt“, so der Sportdirektor. Daher seien EM und WM eine Chance für junge Athleten, sich in den Fokus zu rücken und „Druck auf die Etablierten“ zu machen, wie Kahl sagt.

Diesen Druck spürt Conny Waßmuth, die mit 31 Jahren sowie 19 EM-und WM-Medaillen zu den erfahrenen Kanuten im Nationalteam zählt, nicht. Sie braucht ihn auch nicht, denn ihr Ziel ist ehrgeizig genug: „Ganz vorn landen“, definiert sie ihre EM-Ambitionen. Mit der Leipzigerin Tina Dietze paddelt sie in dieser Saison im Zweier-Kajak. Es gilt als Experiment: Da sich Dietzes Partnerin Franziska Weber vom KC Potsdam in dieser Saison als Solistin versucht, ist Waßmuth in den erfolgreichen Zweier gerückt. Als Modell für die Zukunft sieht Bundestrainer Kießler das jedoch nicht. „Beide wollten auch mal was Neues probieren. Jetzt sehen sie, wie schwer das ist“, kommentiert Kießler. Waßmuth, die ihre größten Erfolge wie Olympiagold 2008 im Vierer feierte, hat indes den Reiz am schnellen Duett gefunden. Auf dem Beetzsee geht sie in beiden Bootsklassen an den Start – im Zweier und Vierer. „Ich will mir ein gutes Gefühl für Moskau holen“, sagt sie. Und dann, natürlich, rückt Rio so allmählich ins Blickfeld.

Zur Startseite