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Hindernisse als reizvolle Herausforderungen. Beim Trial versuchen die Athleten, einen mit Findlingen, Kabeltrommeln, Bäumen oder ähnlichem gespickten Parcours zu durchfahren, möglichst ohne dabei die Füße abzusetzen.

© Tobias Gutsche

Trial-Radsport in Potsdam und Berlin: Über Stamm und Stein

Trial ist ein akrobatischer Balanceakt auf dem Fahrrad. Atemberaubend und waghalsig. Der MSC Potsdam bietet den Sport an – und präsentierte ihn auf großer Bühne. 

Von Tobias Gutsche

Es ist ein Quietschen. Oder vielmehr ein schrilles Kreischen. Alle paar Sekunden wird der visuell beeindruckende Radsport „Trial“ auch akustisch erlebbar. Immer dann, wenn die Athleten im Hindernis-Parcours ihre Bremse ziehen, entsteht das markante Geräusch. Es ist so intensiv, weil die Felgenseiten extra angeraut wurden, um noch mehr Griffigkeit zu erzeugen. Das Spiel mit der Bremse ist entscheidend beim Balanceakt auf dem Bike. Am vergangenen Wochenende war das im ehemaligen Flughafen Berlin-Tempelhof zu bewundern, als dort ein Trial-Weltcup stattfand. Federführend bei der Ausrichtung war der MSC Potsdam.

„Schön ist es geworden“, sagt Sven Rolleczek und blickt durch Hangar 5. Der 45-Jährige ist stellvertretender Vorsitzender des in Groß Glienicke beheimateten Potsdamer Vereins und war maßgeblich am Aufbau der Wettkampfstrecken beteiligt. Eine Woche lang arbeiteten 20 Helfer, um die einstige Flugzeughalle in ein Trial-Paradies zu verwandeln. Fünf Parcours, sogenannte Sektionen, wurden errichtet. Mit Baumstämmen in diversen Größen und Formaten, Betonelementen, Kabeltrommeln und Paletten, einem Wasserbecken sowie Findlingen von bis zu sechs Tonnen Gewicht. „Viele Materialien wie die Steine und Stämme haben wir von unserem Vereinsgelände geholt. Der Rest wurde gesponsert oder wir haben die Sachen neu beschafft“, erzählt Sven Rolleczek.

Aufbauarbeit. Zur Berliner Weltcup-Organisationscrew gehörte auch Sven Rolleczek vom MSC Potsdam.
Aufbauarbeit. Zur Berliner Weltcup-Organisationscrew gehörte auch Sven Rolleczek vom MSC Potsdam.

© Tobias Gutsche

Hinter ihm läuft einer der knapp 150 Weltcup-Teilnehmer Sektion 1 ab, verschafft sich einen Eindruck von den Herausforderungen. Kurze Zeit später schwingt er sich auf das Rad. Und es geht los. Zwei Minuten beträgt das Zeitlimit, dann muss ein Fahrer im Ziel sein, ansonsten gibt es Strafpunkte. Die werden ebenso verhängt, wenn ein Fuß abgesetzt oder sich irgendwo angelehnt wird sowie wenn der Unterboden des Vehikels auf einem Hindernis aufliegt. Wer stürzt oder mit beiden Füßen auftreten muss, erhält direkt die maximale Negativzahl fünf.

Die Trial-Radfahrer tänzeln auf dem Hinterrad

Atemberaubend akrobatisch ist der Trial-Sport. Durch kraftvolle Impulse springen die Athleten aus dem Stand mit ihren Rädern hoch und weit, landen auf dem Hinterrad, hüpfen regelrecht tänzelnd in dieser Stellung bei wieder angezogener Handbremse, um dann das nächste waghalsige Kunststück zu vollführen. „Der Reifen hat teilweise nur vier Zentimeter Auflagefläche am Untergrund – und das gesamte Bike steht dabei nahezu senkrecht. Dafür braucht es extrem gutes Gleichgewicht“, beschreibt Sven Rolleczek.

Vom MSC Potsdam ist beim erstmaligen Weltcup in Berlin niemand am Start. Das Zeug dazu hätte der eine oder andere, meint der Maurermeister. „Doch hier sind alle von uns in die Organisation eingebunden.“ Zum Beispiel Frank Drygalla, Chef der Veranstaltung. Um den Berliner hatte sich einst eine engagierte Truppe gebildet, die ab 2014 jährlich den Berlin Trials Cup in der Event-Stätte „Station“ ausrichtete. Dieses Jahr nun alles einige Nummern größer mit dem Treffen von den Weltbesten im reizvollen Tempelhof-Ambiente.

Etwa 25 bis 30 Trial-Radfahrer gibt es im MSC, dem Motorsportclub. Der Ursprung des Trial liegt nämlich auf dem Motorrad. Mit ihm wurde zunächst das Hindernisfahren praktiziert. Weil die Kinder der Piloten denen dann gerne nacheifern wollten, kam es ab den 1970er-Jahren zur Entwicklung der unmotorisierten Alternative. Beim MSC, der beide Varianten anbietet, ist derzeit der Aufbau einer Bike-Trial-Jugendabteilung geplant. „Wir wollen gerne Kinder fördern“, sagt Trainer Sven Rolleczek.

"Ein Fahrrad so zu beherrschen, ist eine Kunst"

Seinen Sohn Bennet hat das Trial-Fieber längst erwischt. Der 18-Jährige ist seit sechs Jahren aktiv. „Mich reizt es, ein Fahrrad so zu beherrschen. Das ist eine Kunst“, erzählt der Schüler, während er am Eingang zum Hangar die Zuschauerströme registriert. Hunderte kommen an den beiden Tagen zugucken. „Leute zum Staunen zu bringen, ist phantastisch“, sagt er über seinen Sport, der für ihn den perfekten Mix aus Anspannung und Entspannung bereithält. „Wenn du im Parcours bist, arbeiten deine ganzen Muskeln unter Vollbelastung. Und im Kopf hast du nur das bevorstehende Hindernis. Alles andere, der Alltagsstress, ist weg, wird ausgeblendet“, erklärt er. Der bisher größte Erfolg von Bennet Rolleczek ist der Titel des Ostdeutschen Meisters 2016 in seiner Wertungskategorie. Eine Weltcup-Teilnahme – davon träumt er.

Welche Qualität dafür nötig ist, sah er am Wochenende in Tempelhof bei der vierten und damit letzten Station der Serie 2018. Die Top-Stars demonstrierten ihr Können auf den sehr leichten, äußerst stabilen und mitunter 3500 Euro teuren Bikes. Sattel haben diese nicht. Das wäre bloß störend. Geschicklichkeit statt Geschwindigkeit. So lautet das Credo von Trial. Auch strategisches Denken ist wichtig, denn an manchen Stellen ist es clever, einen Fuß abzusetzen und den einen Strafpunkt in Kauf zu nehmen. „Lieber das als zu stürzen“, sagt Sven Rolleczek. Doch Hinfallen und einige Blessuren gehören letztlich dazu, betont er. „Das ist ein Sport, in dem man viel Geduld braucht.“ Der Name sei Programm. Trial bedeutet Prüfung beziehungsweise Versuch. „Du versuchst es. Und wenn du scheiterst, versuchst du es wieder. Solange bis du es schaffst.“

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