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Trommeln gegen Parkinson. Die Percussion-Band der Selbsthilfegruppe Ludwigsfelde wird beim Teltowkanal-Halbmarathon am Streckenrand für Stimmung sorgen und die Läufer rhythmisch unterstützen. 

© Steven Ritzer

Teltowkanal-Halbmarathon als Charity-Lauf: Laufen, wenn Bewegung verloren geht

Beim Teltowkanal-Lauf werden 1500 Teilnehmer am Start sein. Erstmals sind unter ihnen auch Parkinson-Erkrankte. Ein starkes Zeichen: Sie laufen nicht vor der Krankheit weg, sondern gegen diese an. 

Es begann mit Schmerzen im Nacken, die Schultern taten weh, ständig ein leichtes Zittern. „Zu viel Stress auf Arbeit“, meinte Torsten Römer, der damals als Bauleiter arbeitete und „intensiv mit dem Job verheiratet war“. Doch selbst im Urlaub ließen die Schmerzen nicht nach, das Zittern blieb. Er war nie krank, „höchstens mal eine Aspirin bei einer Erkältung“, sagt er. Zum Arzt ging er nie. Als die Symptome blieben, machte er einen Termin. Die Diagnose: Parkinson. Die unheilbare Krankheit erschwert zunehmend durch Bewegungs-, Gang- und Gleichgewichtsstörungen den Alltag, die motorischen Fähigkeiten gehen zurück.

Für Torsten Römer war vor zwölf Jahren die Diagnose ein Schock. Er, der immer Sport gemacht hat, als junger Judoka in Potsdam vor einer leistungssportlichen Karriere stand, später dann Tischtennis spielte und viel gelaufen ist. Und plötzlich sollte Bewegung zunehmend mangelhaft sein? „Viele Jahre habe ich das nicht akzeptieren wollen“, sagt der 51-Jährige. Er hat sich und die Krankheit versteckt – so wie es viele Parkinson-Betroffene es tun. Schätzungsweise 300.000 Parkinson-Patienten sind in Deutschland registriert. „Die Dunkelziffer dürfte höher sein“, vermutet Bodo Fröhndrich, regionaler Sprecher der Deutsche Parkinson Vereinigung. „Entweder die Erkrankten ziehen sich zurück, was ein großes Problem ist, oder sie bemerken gar nicht, dass sie Parkinson haben“, sagt er. Die Symptome ähneln denen der Alkoholsucht – zittrige Hände, verlangsamte Bewegungsabläufe, Sprachschwierigkeiten. Aus Scham meiden Parkinson-Patienten soziale Kontakte. Torsten Römer weiß das: „Auch ich habe mich zurückgezogen“, erzählt er.

Heldenstaffeln beim Charitylauf

Um gegen Vorurteile anzukämpfen und Aufklärungsarbeit zu leisten, hat der Potsdamer Unternehmer Stephan Goericke vor zehn Jahren die Deutsche Parkinsonhilfe gegründet. „Inzwischen ist die Krankheit kein Tabu mehr“, sagt er, wozu die von Goericke in den vergangenen Jahren veranstaltete Parkinson-Gala mit vielen Prominenten beigetragen hat. 20 Projekte – Therapien, Bewegungsangebote, Familienhilfen – unterstützt die Deutsche Parkinsonhilfe mit Spenden. Diese werden unter anderem bei drei regionalen Laufveranstaltungen gesammelt: Ein Teil der Startgebühren der beiden Intersport Olympialäufe in Berlin und Potsdam sowie des Teltowkanal-Halbmarathons gehen an den gemeinnützigen Verein.

Und der Lauf am Teltowkanal am Sonntag leistet noch mehr: Erstmals – vermutlich deutschlandweit – werden Parkinson-Erkrankte mit den insgesamt 1500 Läufern auf die Strecke gehen: in den AOK-Heldenstaffeln. Dieses besondere Format, von der AOK Nordost ins Leben gerufen, feierte vor zwei Jahren beim Teltowkanal-Lauf seine Premiere. Inzwischen sind bei mehr als einem Dutzend Laufveranstaltungen in Brandenburg und Berlin in den Heldenstaffeln Menschen mitgelaufen, die sich in ihrem Alltag oder Berufsleben besonderen gesundheitlichen Herausforderungen stellen – ob als Betroffene, Angehörige oder im Job.

Sechs AOK-Heldenstaffeln werden am kommenden Sonntag über 3 x 7 Kilometer an den Start gehen. Neben einer Ärztestaffel der Parkinsonklinik Beelitz-Heilstätten um dessen Chefarzt Georg Ebersbach, einer Staffel mit Musik-, Ergo- und Sprachtherapeuten und einem Angehörigen-Team, werden drei Staffeln mit jeweils zwei Parkinson-Erkrankten an den Start gehen, die einen Teil der Strecke walken. Begleitet und angefeuert werden sie und die mehr als tausend anderen Läufer von einer Trommelband der Ludwigsfelder Parkinson-Selbsthilfegruppe. Trommeln als Rhythmusübung gehört zu den sogenannten aktivierenden Therapieformen für Parkinson-Patienten.

Auch Torsten Römer wird am Sonntag in einer Heldenstaffel aktiv sein. „Das ist eine tolle Möglichkeit, rauszugehen und uns zu zeigen“, sagt er. Inzwischen geht der 51-Jährige selbstbewusst mit der Krankheit um. Die ersten Jahre konnten bei ihm die zunehmenden Defizite mit Medikamenten ausgeglichen werden. „Dann haben die Tabletten nicht mehr angeschlagen.“ Er entschloss sich zu einer Hirnstimulation, bekam zwei Elektroden – einen Hirnschrittmacher – implantiert. „Seit fünf Jahren lebe ich damit recht ordentlich“, sagt Römer.

Hilfe durch einen altvertrauten Bekannten

Geholfen hat ihm auch ein altvertrauter Bekannter: der Sport. „Etwa 50 Prozent des Therapieerfolges macht Bewegung aus“, sagt Römer. Studien scheinen das zu belegen. Nach einer Pilotstudie im Jahr 2014 schlussfolgerten Wissenschaftler der Universität Iowa aufgrund der Ergebnisse, dass Patienten mit leicht bis mäßig ausgeprägter Parkinsonerkrankung insbesondere bezüglich ihrer motorischen Fähigkeiten und ihrer Stimmungslage von regelmäßigem Laufen. Im Rahmen dieser Studie absolvierten 60 Patienten über sechs Monate dreimal wöchentlich ein 45-minütiges Lauftraining mit moderater Intensität. In Tests zeigte sich eine Verbesserung der motorischen Funktion und der Stimmungslage um jeweils 15 Prozent, der Aufmerksamkeit beziehungsweise des Reaktionsvermögens um 14 Prozent sowie der aeroben Fitness und der Ganggeschwindigkeit um jeweils sieben Prozent. Die Autoren betonten jedoch, dass die Ergebnisse in weiteren und größeren Studien bestätigt werden müssen.

Torsten Römer spürt auch ohne wissenschaftlichen Nachweis, dass ihm Bewegung hilft gegen den fortschreitenden Verlust des Gleichgewichtsgefühls und eine zunehmende Steifigkeit. Lange Zeit sei er weggerannt vor der Krankheit, jetzt laufe er quasi gegen sie. Und entdeckt sich dabei sogar neu: Vor zwei Jahren habe ihn ein „anderer Park“ im Elbsandsteingebirge zum Klettern ermutigt. „Inzwischen bin ich total begeistert davon“, sagt Römer.

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