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Dieses Bild wird bald der Vergangenheit angehören.

© Manfred Thomas

SV Babelsberg - Die Serie: Fußball im Nudeltopp – Kaffee gibt’s erst nach dem Schlusspfiff

Die Fans machen Krach und hinterlassen Müll. Doch einen Kiez ohne Stadion können sich die meisten Anwohner nicht vorstellen

Die Ruhe hat etwas Unheimliches. Menschenleer ist die Grenzstraße, eingesperrt der schöne Frühlingsnachmittag von zig Einsatzkräften der Bundespolizei an beiden Seiten der Babelsberger Nebenstraße. Doch die behördliche Aufmerksamkeit gilt nicht etwa einer terroristischen Bedrohung – auch wenn das manch Anwohner gern so hätte, sondern einem Fußballspiel, am 20. April SV Babelsberg 03 gegen den FC Rot Weiss Erfurt. Und nirgendwo in Potsdam ist man vermutlich an diesem Samstag so sicher wie hier, zwischen Weltkulturerbe-Park und Fanmeile.

Fast 40 Spiele vom SVB und der Frauenmannschaft Turbine Potsdam finden jedes Jahr im Babelsberger Karl-Liebknecht-Stadion statt, manche davon schon Tage vorher in der Tagespresse und dem Liveticker der Verkehrbetriebe angekündigt: Mit Einschränkungen im Nahverkehr ist zu rechnen. Die Babelsberger kann das kaum beeindrucken. Das Stadion, das Karli, das gehört zum Kiez, und somit auch der Verein, die Spiele, die Fans. Sich darüber aufregen und womöglich klagen, weil die Flutlichtmasten vielleicht einen Meter zu weit rechts oder links stehen, das tun nur Zugezogene, die das nicht verstehen, sagt ein Nachbar.

Seinen Namen nennen will hier dennoch keiner. Denn natürlich gibt es Probleme. Wer direkt an der Karl-Liebknecht-Straße wohnt, den nervt es schon, wenn zum wiederholten Mal das Fallrohr der Dachrinne eingetreten wurde. „Und immer diese Aufkleber mit den Logos, alles wird beklebt und wir kratzen alles wieder ab“, schimpft ein Anwohner. Wenn es mal nur die Parkplatzsuche Samstagnachmittag wäre! „Aber die pinkeln ja auch überall in die Wallachei“, sagt er, lassen Getränkebecher liegen, trampeln den Rasen nieder, und das Ordnungsamt ist nicht da. Das ärgert ihn besonders, seitdem er erhöhte Straßenreinigungsgebühren zahlen muss. Das Grölen sei sogar noch in der Turmstraße zu hören, sagt ein Familienvater, der gerade von der Arbeit kommt. Von wegen, mal Samstagnachmittag entspannt im Garten sitzen. Aber richtig sauer scheint er doch nicht zu sein, und hin und wieder überlässt er seinen Parkplatz vor dem Haus Freunden, die zum Spiel kommen.

Man arrangiert sich eben. „Es sind doch nur zwei Stunden, dann ist es vorbei“, sagen zwei Damen, die mit ihren Hündchen von einem Ausflug kommen und fröhlich durch die Polizeisperre radeln. Sie wohnen in der Semmelweisstraße, die vermutlich letzte noch unsanierte Kopfsteinpflasterstraße in Babelsberg, gleich gegenüber dem Haupteingang vom Karli. Schon Stunden vor dem Spiel ist die zugeparkt, wer hier durch will, hat bei Gegenverkehr ganz schlechte Karten.

„Den Wochenendeinkauf mit dem Auto erledigt man dann eben am Vormittag“, sagt eine Anwohnerin. Bei ihnen richtet sich dann alles nach dem Fußball-Spielplan, vor allem die Kaffeezeiten. Der Kaffee wird erst aufgesetzt, wenn der Abpfiff ertönt. 1969 zog sie mit ihren Eltern hierher, erzählt die Frau, ging schon als kleines Mädchen mit dem Papa am Samstag zum Fußball. Bevor der Neubau im Stadion stand, konnten sie sogar aus den Fenstern der oberen Etage ihres Häuschens aufs Spielfeld sehen. Trotzdem haben in der Familie alle Jahreskarten, eine Weile waren sie sogar Vereinsmitglieder. „Ist uns jetzt aber zu teuer geworden, sonst können wir uns die Karten nicht mehr leisten“, sagt sie.

Auch für die vier oder fünf Männer, die vor dem Stadion die leeren Bierflaschen einsammeln, geht es ums Geld. Er sei schon Rentner, sagt ein Mann im abgetragenen, aber einst schicken Sakko. Sein Einkaufswagen ist zu einem Drittel mit Flaschen gefüllt. „Das Wetter ist zu gut heute“, sagt er enttäuscht, „vielleicht komme ich auf zehn Euro“. Spiele wie das gegen Hansa Rostock mit 9036 Zuschauern – die Zahl hat er aus der Presse – die lohnen sich, sagt er, heute werden es wohl kaum mehr als 5000.

Ein Linienbus hupt, schiebt sich an angetrunkenen Jugendlichen vorbei. Es ist kurz vor dem Anpfiff eine seltsame Symbiose, die sich hier formiert: aufgeregte Fußballfans, die gemäß S-Bahn-Fahrplan in Grüppchen vom Bahnhof heranziehen, sich vor dem Fanladen in der Gruhlstraße sammeln, Familienväter mit geschulterten Kleinkindern, Rollifahrer aus dem Oberlinhaus, verliebte Pärchen jeden Alters, eben ganz normale Leute. Daneben und mittendrin die Menschen, die hier leben. Manchmal müssen sie sich an der Polizeisperre ausweisen, wenn sie verdächtig aussehen oder kein Potsdamer Nummernschild am Auto haben. Der alte Mann auf dem Fahrrad darf aber so durch, er scherzt noch, ob die Beamten nicht doch mal seine Satteltaschen überprüfen wollen? Und fängt an zu schwatzen: „Ham se den Terroristen gefasst in Amerika?“, will er wissen. Eine kleine Abwechslung für die Beamten, die jetzt, da das Spiel läuft, nicht viel zu tun haben.

Im Weisenhaus in Alt Nowawes ist es kurz nach 14 Uhr noch ruhig. Voll wird es erst nach dem Spiel, sagt Weisenhaus-Inhaberin Simone Eggert. Auf dem Grill liegen schon die ersten Würste. Hier im Haus wohnte einst Hubert Woite, erzählt sie dann, Erfinder des legendären Liedes „Babelsberch 14482“, seit sechs Jahren Vereinshymne des SVB. Um Fußball geht es nicht in dem Song, aber um den Stadtteil, den „Nudeltopp“, wie er genannt wurde, weil die Straßen von oben, vom Berg im Park, so durcheinander aussahen wie eben ein Topf voller Nudeln. Nicht so gerade wie das strenge, preußische Potsdam.

Keiner hat wohl den Kiez so verstanden und liebevoll beschrieben wie Hubert Woite, Sänger von Schabulke. Dass sein Song vor jedem Spiel erklingt und mittlerweile jeder mitsingen kann, ist vielleicht die schönste Liebeserklärung, die der Verein seiner Nachbarschaft machen konnte. „Gekriegt hat Hubi keinen Cent dafür“, sagt Simone Eggert. „Er hat sich nie die Rechte schützen lassen.“

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