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Nichts gehört, nichts gesehen, nichts gesagt. Mit Plakaten protestierten SVB-Fans gegen den Umgang der NOFV-Bosse mit rechtsradikalen Umtrieben im Stadion.

© Jan Kuppert

Streit zwischen SVB und NOFV: Urteil: Überforderung

SV Babelsberg 03 gegen den Nordostdeutschen Fußballverband: Dieser aktuelle Fall verdeutlicht, wie die Sportgerichtsbarkeit an ihre Grenzen stößt. Und er bietet die Chance, nachhaltige Veränderungen herbeizuführen. Es werden bereits Verbesserungsvorschläge unterbreitet.

Die einen verweigern, die anderen drohen. Beide tun es mit einer derartigen Konsequenz, dass etwas bislang Einmaliges passieren könnte: Dass der Nordostdeutsche Fußballverband (NOFV) den SV Babelsberg 03 aus der Regionalliga ausschließt, weil dieser ein Verbandsurteil nicht akzeptieren und 7000 Euro Strafe nicht zahlen will. Gefühlt hat jede große deutsche Zeitung in den vergangenen Tagen darüber geschrieben, sogar in den „Tagesthemen“ wurde berichtet. Und womöglich wird es in der Causa Babelsberg keinen Sieger geben, doch gewinnt eine Frage an Bedeutung, die sich schon seit Langem stellt: Wo sind die Grenzen der Sportgerichtsbarkeit?

Archibald Horlitz, SVB-Präsident und in den vergangenen Tagen und Wochen sehr energisch und kämpferisch in der Sache, zeigt sich bei dieser Frage eher nachdenklich: „Die Vorgänge der letzten Zeit und praktisch alle medialen Reaktionen haben deutlich gemacht, dass es hier nicht primär um sportliche Aspekte, sondern um die gesellschaftliche Relevanz geht, wenn das Thema Rassismus und Antisemitismus berührt ist.“

Diskussion über Handlungsspielraum der Sportgerichte

In der Tat waren die Sportrichter des NOFV nach dem Regionalliga-Derby zwischen dem FC Energie Cottbus und dem SVB vergangenen April wie auch nach dem Leipziger Stadtduell zwischen Chemie und Lok im November nicht damit beschäftigt, üble Foulspiele auf dem Fußballplatz oder Schiedsrichterbeleidigungen zu bewerten und zu ahnden. Statt sich mit sportlichen Belangen zu beschäftigen, waren und sind sie gefordert, angemessene Strafen für Pyroaktionen, Platzstürme und Prügeleien unter Fans zu finden – und eben auch für fremdenfeindliche und rassistische Schmähgesänge und Pöbeleien, für Hitlergrüße und Auschwitz-Lieder.

Warum auch immer das NOFV-Sportgericht dabei in den vergangenen Wochen und Monaten es versäumt hat, die vorgefallenen und offensichtlichen rechtsextremen Straftaten zu benennen und zu verurteilen: Es kann nicht akzeptiert werden und spätestens bei diesem gesellschaftlich so wichtigen Thema ist es zwingend, die Diskussion über den Handlungsspielraum von Sportgerichten wiederaufzunehmen – zum Schutz der Sportjustiziare selbst, aber auch für faire, nachvollziehbare und ausgewogene Urteile.

Eigenständige Expertenkammern und Strafenkatalog

Denn damit scheinen die Sportgerichte tendenziell überfordert – nicht nur im NOFV. Nach PNN-Informationen führen aktuell die Deutsche Fußball Liga (DFL) und der Deutsche Fußball-Bund (DFB) eine Debatte über die Beschränkung der Sportgerichte auf Belange des Sports. Für alles was jenseits der Fußballwiese passiert, sollen, so ein DFL-Vorschlag, eigenständige Kammern innerhalb der Sportgerichte zuständig sein – kompetent besetzt mit Experten und Sachkundigen. Wie notwendig der Handlungsbedarf ist, zeigen allein die Strafen, die mehr willkürlich als transparent sind. Einen Strafenkatalog, in dem steht, in welcher Höhe Vergehen geahndet werden, gibt es bislang nicht. Niemand kann sagen, was das Abbrennen von Pyrotechnik an Strafe kostet. Wie teuer kommen Schmähgesänge einem Verein zu stehen? Was kostet es einem Fußballklub, wenn sich Fans im Stadion prügeln? Eine Übersicht, was wie warum und vor allem tatangemessen bestraft wird – Fehlanzeige. Ein solch längst überfälliger Katalog ist nach PNN-Informationen vom DFB angekündigt.

Bis es soweit ist, treiben die Sportgerichte – wie aktuell der NOFV – die Preisspirale völlig eigenwillig und ungehemmt in absurde Höhen und damit die Vereine in den Ruin: 10.000 Euro soll laut einem aktuellen Urteil Chemie Leipzig zahlen, 12.000 Euro Lok Leipzig, auf 11.500 Euro haben sich die Strafsummen für den SV Babelsberg 03 nach zwei Urteilen summiert. Wäre der FC Energie Cottbus vor einem dreiviertel Jahr nicht erfolgreich in Berufung gegangenen, wäre eine Gesamtstrafe von mehr als 115.000 Euro sein Todesurteil gewesen. Regionale Funktionäre richten in Bundesliga-Dimensionen über Amateurvereine. Zudem sind die Strafen ungleich: Es ist nicht zu erklären, warum gleiche Vergehen unterschiedlich bestraft werden.

Strafen der Sportgericht werden als unfair empfunden

Und sie sind ungerecht, wie es vor einiger Zeit Matthias Auth, Verwaltungsratschef von Energie Cottbus sagte, als der Verein für das Fehlverhalten von Fan-Chaoten zu mehreren Tausend Euro bestraft wurde. Das Empfinden der Ungerechtigkeit hat Auth nicht allein. Schon lange fordern Fanszenen, dass sich die Sportgerichtsbarkeit grundsätzlich auf Vorfälle beschränkt, die im direkten Bezug zum sportlichen Wettbewerb stehen. Wenn aber Sportgerichte, egal ob vom DFB oder von Regionalverbänden, Vereine oder Zuschauer kollektiv für das Fehlverhalten einzelner Fans bestrafen, sei das unfair. Immerhin: Der DFB ist von Kollektivstrafen abgerückt, der NOFV indes hat dem SV Babelsberg jüngst ein „Geisterspiel“ angedroht – will also alle Nulldrei-Zuschauer für das Fehlverhalten einiger weniger Fans bestrafen. Ist das gerecht?

Indizien für eine tendenzielle Überforderung in den Gerichtsgremien des NOFV sind in den vergangenen Tagen mehr als deutlich geworden: Wiederholt mussten NOFV-Funktionäre Fehler und Versäumnisse eingestehen, die sie bei der Bewertung von Straftaten und Verstößen gemacht haben. Der Versuch, Versäumnisse nachträglich zu heilen – wie die Bestrafung rechtsradikaler Ausschreitungen Cottbuser Fans beim Regionalliga-Derby in Babelsberg – führten zu einem Fiasko.

SVB-Präsident schlägt für Problemlösung Runden Tisch vor

Auch ein taz-Beitrag vom vergangenen Freitag illustriert, wie überfordert der NOFV mit dem deutschlandweit kritischen Medienecho ist: „Die Nerven liegen blank“, schrieb ein Autor der taz nach einem Anruf beim NOFV, dessen Geschäftsführer das Telefonat mitten im Gespräch abbrach. Auch die Einlassung von NOFV-Präsidiumsmitglied Erwin Bugar, der künftig den Verband führen soll, indiziert eine Überforderungstendenz: „Die Frage der Glaubwürdigkeit des NOFV steht auf dem Spiel“, jammerte er im Mitteldeutschen Rundfunk. Welche Glaubwürdigkeit eines Verbandes er meint, der regelmäßig Nazi-Parolen in Stadien nicht hört und Hitlergrüße auf den Rängen nicht sieht, sei mal dahingestellt. Denn es geht um viel mehr: Es geht um den Glauben in Rechtstaatlichkeit! Die hat nicht nur durch die jüngsten Konflikte gelitten und die muss wiederhergestellt werden. Dafür braucht es eine klare Kompetenzzuweisung – frei von Eitelkeiten und Machtgehabe.

SVB-Chef Horlitz hat dafür einen Vorschlag: „Es wäre vielleicht hilfreich, eine ostdeutsche Tradition zu bemühen, um diesen Konflikt aufzulösen: einen Runden Tisch.“ Wenn sich neben NOFV und Klubvertretern auch der DFB bereit erklären würden, daran teilzunehmen, „sehe ich gute Chancen für ein Ergebnis, mit dem alle leben können“, so Horlitz. Es wäre in der Tat ein offensiver Vorstoß des Viertligisten, wenn er eine Reform anstößt, nach der mehr Fairness und Transparenz für den Fußball als Sieger dastehen.

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