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Das Potsdamer Konzept besticht durch kurze Wege zwischen Schule, Sportstätten, Mensa und Internat.

© Fabian Sommer/dpa

Sportschule Potsdam: Ein Leben zwischen Sieg und Niederlage

Es ist kein einfaches Leben, das die Schüler der Potsdamer Sport-Eliteschule gewählt haben. Konkurrenzdruck und mangelnde Freizeit gehören zum Alltag. Allerdings haben sie sich bewusst für dieses Leben entschieden. Denn: Sie haben alle denselben Traum.

5.30 Uhr aufstehen. Ab 6.15 Uhr zwei Stunden Cardiotraining. Danach bis 15.50 Uhr durchgängig Schulunterricht, anschließend Trainingseinheiten auf dem Wasser oder in der Krafthalle. Gegen 19.30 Uhr ist Anna Ékes schließlich wieder im Wohnheim. Die 18-jährige Ruderin hat kein leichtes Leben gewählt, als sie sich vor zwei Jahren für eine Ausbildung an der Sportschule Potsdam entschied. Ein Leben mit Sport und Schule. „Die Doppelbelastung ist nicht immer leicht. Aber ich kann das, was ich liebe – das Rudern – mit einer vernünftigen Schulausbildung verbinden. Das ist jeden Aufwand wert“, sagt Ékes.

Die Potsdamer Einrichtung ist eine von bundesweit 43 Sport-Eliteschulen. 
Die Potsdamer Einrichtung ist eine von bundesweit 43 Sport-Eliteschulen. 

© Fabian Sommer/dpa

„An meiner alten Schule war es kaum möglich, Schule und Leistungssport miteinander zu verbinden“, sagt Ékes, die eine von 682 Schülern an der Sportschule Potsdam ist. Der Leistungssport stehe an erster Stelle, ihr Stundenplan sei auf ihre Trainingspläne abgestimmt.

Die Sportschule Potsdam ist eine von 43 Sport-Eliteschulen in Deutschland. „Ihre Effizienz wird nicht nur am sportlichen Erfolg der Schüler gemessen“, sagt der Sprecher des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Sven Baumgarten. Die besondere Leistung der Sportschulen sei vielmehr, neben einer guten Schulausbildung auch ein umfangreiches Training von bis zu 30 Stunden pro Woche zu ermöglichen. „Unsere Schüler haben sich für ein aufregendes und herausforderndes Leben entschieden, denn nicht jeder bekommt die Chance, auf eine Sportschule zu gehen“, sagt Schulleiterin Iris Gerloff. Zunächst müssten bestimmte Aufnahmekriterien erfüllt werden.

Höherer Leistungsdruck als auf einer Regelschule 

Neben einer schulischen Eignung – Noten und persönliche Kompetenzen – sei auch ein sportmedizinisches Attest notwendig, erklärt Gerloff. „Gibt es Vorerkrankungen? Ist der Schüler psychisch stabil oder hat er körperliche Einschränkungen, die ein Hemmnis für den Sport darstellen? Das sind alles Fragen, mit denen wir uns institutionell vorab beschäftigen müssen, um eine optimale Förderung möglich zu machen.“ Zuletzt müsse auch der jeweilige Landesfachverband feststellen, dass ein Schüler geeignet ist. Verbände organisieren dafür Wettkämpfe und Sichtungen, um talentierte Sportler zu entdecken.

Schulleiterin an der Potsdamer Elite-Einrichtung ist seit 2017 Iris Gerloff 
Schulleiterin an der Potsdamer Elite-Einrichtung ist seit 2017 Iris Gerloff 

© Fabian Sommer/dpa

Fast alle Schüler verfolgen laut Gerloff denselben Traum: Olympisches Gold gewinnen. Was sie bis dahin alles auf sich nehmen müssten, wüssten viele vorab nicht. Vor allem der erhöhte Druck und die Konkurrenzsituation sei für die Schüler in dem Ausmaß oft neu. „Man kommt hierher, weil man als Talent gesichtet worden ist. Jetzt ist man hier unter Gleichgesinnten – eine zielstrebige Vorbereitung beginnt, weil man den Anspruch hat, am Ende des Jahres bei Meisterschaften die bestmöglichen Ergebnisse zu erreichen“, sagt die Schulleiterin. Es sei ein Leben zwischen Sieg und Niederlage, zwischen Höhepunkten und Rückschlägen, zwischen Druck und Entlastung.

Der höhere Druck, dem Sportschüler im Vergleich zu Regelschülern ausgesetzt sind, führt nach Ansicht von Sportpsychologe Ralf Brand jedoch weder seltener noch öfter zu psychischen Schwierigkeiten. „Einem ,Normalo’ würde das Herz wahrscheinlich in die Hose rutschen, wenn er vor Tausenden von Menschen antritt – Sportschüler haben sich für genau solche Situationen entschieden“, sagt Brand. Sie könnten Situationen, die andere als Drucksituationen empfinden, etwas entgegensetzen und dann eben erst gar keinen Druck empfinden, meint er. Für Schulleiterin Gerloff sei der Konkurrenzdruck vor allem Ansporn für die Schüler, ihre Bestleistung zu bringen.

Studie hält Sportschulförderung für nicht zielführend

Neben dem Konkurrenzdruck hatte Ruderin Ékes anfangs nach eigener Aussage noch mit einer anderen Sache zu kämpfen: Heimweh. „Für mich war es schwierig, weit weg von meiner Familie zu sein. Ich habe eine kleine Schwester, für die ich als große Schwester natürlich nicht so oft da sein kann“, erzählt die gebürtige Ungarin, die ihre Familie aufgrund von Wettkämpfen an Wochenenden oft mehrere Wochen nicht sieht. Es sind Situationen, mit denen die Schüler erst lernen müssen umzugehen. Freizeit müsse hinten angestellt werden, sagt Gerloff. Gerade in der Pubertät, wenn Freunde zu Hause Party machten, während die Sportschüler trainieren müssten, sei dies nicht immer einfach.

Am Luftschiffhafen stehen den Sportschülern hochmoderne Sportstätten - wie die Schwimmhalle - zur Verfügung.
Am Luftschiffhafen stehen den Sportschülern hochmoderne Sportstätten - wie die Schwimmhalle - zur Verfügung.

© Andreas Klaer

Ékes hat gelernt, Prioritäten zu setzen. Klar könne sie auch feiern gehen und bis 2 Uhr nachts Alkohol trinken, sagt sie. Die Frage sei nur, ob sie dann am nächsten Tag ihre sportliche Höchstleistung bringen könne. „Jeder von uns ist hier, weil er den Sport liebt und es ein Teil von ihm ist – und es gehört nun mal dazu, Abstriche zu machen“, sagt die 18-Jährige.

Ab der siebten Klasse können Schüler die Sportschule Potsdam besuchen und das Leistungsangebot in Anspruch nehmen. Sportwissenschaftler Arne Güllich hält diese frühe Förderung nicht für zielführend. Seine Studie zur Evaluation der Eliteschulen des Sports zeige, dass bisherige erfolgreiche, erwachsene Spitzensportler erst relativ spät in die Spitzenförderung aufgenommen wurden. „Wer also etwa mit 12 oder 13 Jahren ein Überflieger in seiner Sportart ist, hat statistisch gesehen nur eine geringe Chance, es mal zu einer Weltmeisterschaft zu bringen“, sagt Güllich.

„Mutti kümmert sich nicht mehr um alles“

Laut Schulleiterin Gerloff darf man die Studienergebnisse nicht pauschalisieren. Vielmehr müsse zwischen den Sportarten differenziert werden. Schwimmer hätten ihr Höchstleistungsalter mit Anfang 20, Ruderer hingegen Mitte bis Ende 20. „Die goldene Regel des Sports besagt, dass man mindestens zehn Jahre braucht, um Weltklasse zu werden. Ruderer könnten theoretisch auch erst ab einem Alter von 15 Jahren an die Schule kommen und gefördert werden“, sagt Gerloff. „Unsere Ruderer entscheiden sich jedoch bewusst für eine frühe Förderung, um die Basis in der Athletik und in der Technikausbildung für ein höheres Niveau im Höchstleistungsalter zu schaffen.“

Bis Anna Ékes ihr Höchstleistungsalter erreicht, sind es also noch ein paar Jahre. Um zu den Besten zu gehören, trainiert sie täglich mehrere Stunden. Gegen 19.30 Uhr kehrt sie wieder ins Wohnheim der Sportschule zurück. „Hier teile ich mir ein Zimmer mit einer anderen Sportschülerin“, sagt Ékes. Sie habe schnell gelernt, selbstständig zu sein. „Mutti kümmert sich nicht mehr um alles“, lacht sie. Abends müsse sie selbst aufräumen, ihre Sportsachen packen oder Hausaufgaben machen. Um 21 Uhr sei dann meist Schlafenszeit. Denn in weniger als neun Stunden klingelt schon wieder der Wecker – um 5.30 Uhr. 

Jordan Raza dpa

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