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Er muss sich Gedanken machen. Bernd Schröder steht nach 45 Jahren als Trainer vor seiner schwierigsten Aufgabe beim 1. FFC Turbine Potsdam.

© Jan Kuppert

Schröders letzte Mission bei Turbine Potsdam: Das verflixte 45. Jahr

Zum Abschluss seiner Trainerlaufbahn steht Bernd Schröder in der Kritik und muss sich nun auf seine letzten Turbine-Tage noch mal richtig beweisen. Um die Krise zu bewältigen, baut er auf seine Fähigkeiten und die des großen Funktionsteams um ihn herum.

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Potsdam - Es sollte ein letztes erfolgreiches Jahr werden – eines mit Titeln und Pokalen, mindestens aber dem Ticket für die Champions League. Und vor allem eine Wiedergutmachung, die für die letzten beiden Spielzeiten entschädigt, in denen Turbine Potsdam – dieser so erfolgsverwöhnte Frauenfußballklub – ohne Trophäen und in der europäischen Königsklasse nur Zaungast blieb. Und es sollte ein letztes Lehrstück des alten Meistermachers Bernd Schröder sein: Der Cheftrainer wollte noch einmal zeigen, wie Erfolg funktioniert. Wer wüsste das besser als er, der Turbine zu sechs deutschen Meistertiteln und drei DFB-Pokalsiegen führte und den Verein zum Stolz der Stadt und der Mark zweimal zum besten Frauenfußballklub Europas machte.

Nach fünf Spielen seiner Abschiedssaison als Trainer ist die Aufgabe eine komplett andere: Aufgrund von vier Niederlagen und dem freien Fall auf einen Abstiegsplatz sieht sich Schröder in völlig neuer Mission und vor einer Herausforderung, die auch ihm unbekannt sein und neue Qualitäten abverlangen dürfte: Er muss seinen Verein aus einer zweifelsfrei auch von ihm herbeigeführten katastrophalen sportlichen Lage befreien, ihn wieder aufrichten.

Gespaltene Meinungen zu Bernd Schröder

Schröder wollte seinen Nachfolgern ein gut bereitetes Feld hinterlassen, aktuell ist Turbine gemessen an den sportlichen Ergebnissen ein Trümmerhaufen. Noch zweifelt niemand daran, dass der Verein wenn schon nicht die Saison, dann zumindest seine Ehre retten wird, Spielerinnen und Trainerteam am Ende das Gesicht wahren werden und man allenfalls von einer zwischenzeitlichen Katastrophe reden wird – wenngleich einer bislang nie dagewesenen in der 45-jährigen Vereinsgeschichte. Und zumindest an der Vereinsspitze lässt Turbine-Präsident Rolf Kutzmutz keinen Zweifel daran, dass Bernd Schröder der richtige Trainer am richtigen Ort zur richtigen Zeit ist.

An anderen Meinungsfronten werden die Rufe nach dessen Demission lauter und vehementer. Nach dem 0:1 am Samstag in Leverkusen häuften sich auf der Facebook-Seite des Bundesligisten neben einigen wohlwollenden Kommentaren vor allem welche, in denen der sofortige und für seit Jahren überfällig befundene Abgang des 73-Jährigen gefordert wurde. Auch bei der 0:2-Niederlage im Heimspiel gegen den SC Sand gab es im Stadion vereinzelt „Schröder raus“-Rufe.

Hinwerfen wäre für Schröder wie Fahnenflucht

Man könnte nun meinen, dass jedes weitere verlorene Spiel ein Stück Selbst-Demontage der Trainer-Ikone sei. Ist es nicht. Neben der traditionellen Verbundenheit des Vereinspräsidiums zum Vater vergangener Erfolge schließt der „ewige Bernd“ einen freiwilligen vorzeitigen Rücktritt im Jahr seines Abgangs aus. Nicht aus Starrsinn, sondern aus Treue zum Prinzip und aus einer Verantwortung, wie er sie versteht. Schröder, der gerne auch mal über „Fragen der Gesellschaft“ doziert, fühlt sich verantwortlich – mehr denn je und noch mehr als in den Momenten früherer Erfolge: Jetzt hinzuwerfen, wäre für ihn ein Wegrennen vor dem Feind, so etwas wie Fahnenflucht.

Schröder steht im Wort – gegenüber seinen Spielerinnen, den Fans, der Öffentlichkeit. Er selbst hat Turbine immer als Erfolgsmodell des Ostens beschrieben, als Adresse, wo Zusammenhalt, Fleiß, Familie, ehrliche Arbeit noch gültige Werte sind. Er würde das eigene Wort brechen, würde er beim nun vorliegenden Berg Arbeit sagen: „Macht ihr mal, mir reicht’s!“ Bernd Schröder wird sein letztes Jahr wohl nicht als Meister beenden, aber er will sagen können, dass die schwierigste Situation in der Geschichte des Vereins auch unter seiner Regie gemeistert wurde.

Schröders altbekannte Rhetorik: "Am einfachsten ist es, zu arbeiten"

Für das aufgewühlte Umfeld des Klubs gilt es, diese Beharrlichkeit zu akzeptieren und zu respektieren. Allerdings geht damit gleichsam ein Auftrag für Schröder einher, der sich auf seine wenigen verbliebenen Turbine-Tage noch einmal richtig zu beweisen hat in der Rolle des Krisenmanagers. Die hat er bislang allenthalben temporär ausfüllen müssen, wenn es nach einem verlorenen Spiel galt, seine Mannschaft wieder in die Spur zu bringen. Diesmal werden allein die üblichen Reflexe allerdings nicht genügen, auch wenn Schröders Rhetorik die altbekannte ist: „Am einfachsten ist es, zu arbeiten.“

Doch hinter der Zahl von 45 Jahren Trainertätigkeit verbirgt sich auch mehr als nur ein Generationsabstand zwischen ihm und seinen jungen Spielerinnen mit durchschnittlich 23,5 Lebensjahren. Ansprache, Ton und Form der Krisenarbeit sollten daher nicht unerheblich sein. Schröder weiß das, weshalb ihm klar ist, dass für ihn bald Schluss sein muss.

Sechs Trainer arbeiten mit dem Team

Für die Zeit danach sind bereits personelle Weichen gestellt. Er hat um sich herum ein – wie er es nennt – großes Kompetenzteam installiert, das Turbine in diesem Umfang so noch nicht erlebt hat, allerdings wegen der aktuellen Misere auch Qualitätsfragen aufwirft. Inklusive dem Chef der Truppe arbeiten sechs Coaches mit der Mannschaft, hinzu kommt Ronny Rieger als neue Teambetreuerin und Ansprechpartnerin für die Spielerinnen bei organisatorischen Fragen.

Schröder erklärt, dass er nicht bei jeder Übungseinheit mit dabei sei, um die „Autorität der anderen jungen Trainer nicht zu untergraben“. Zwar trage er die Hauptverantwortung, die eigentliche Arbeitsweise funktioniere jedoch in kollektiver Abstimmung und mit zugestandenen Freiräumen für die Assistenten. Für „äußerst kompetent“ hält er dieses Gefüge und sagt deshalb aus voller Überzeugung: „Wenn mein Trainerteam und ich mit meinen 45 Jahren Erfahrung nicht in der Lage sind, den Karren aus dem Dreck zu holen, wer dann?“

Das ist Turbines Trainerstab:

Bernd Schröder, 73, Cheftrainer. Seit der Gründung des Klubs im Jahr 1971 ist er dabei, formte Turbine über die Jahre zu einer nationalen und internationalen Top-Adresse und hat sich auch allgemein um den deutschen Frauenfußball verdient gemacht. Bekannt ist Schröder für seine offene, direkte und schonungslose Art sowie eine knüppelharte Trainingsgestaltung. Dafür wird er einerseits geschätzt. Aber: Der schroffe Umgang und das für nicht mehr zeitgemäß befundene Training wurden in der Frauenfußballszene auch oft als wesentliche Gründe dafür genannt, dass Spielerinnen Reißaus von Turbine genommen beziehungsweise einen Wechsel nach Potsdam ausgeschlossen haben.

Matthias Rudolph, 33, Assistenztrainer. Nachdem der ein Jahr lang auf die Probe gestellte Achim Feifel im vergangenen Sommer als möglicher Bernd-Schröder-Nachfolger aussortiert worden war, ist nun Rudolph als Chef in spe auserkoren. Als aktiver Fußballer erarbeitete er sich beim SV Babelsberg 03 den Status einer Ikone und machte bei Nulldrei auch seine ersten Erfahrungen als Trainer. Die A-Jugend coachte der Gymnasiallehrer erfolgreich in der Regionalliga.

Dirk Heinrichs, 47, Assistenztrainer. Zwar ist der einstige Torwart mit Abstand nicht so lange im Verein tätig wie Bernd Schröder, zum Inventar gehört er inzwischen aber auch. Seit 2003 ist Heinrichs Mitglied im Trainerstab und bildet gegenwärtig gemeinsam mit Schröder und Rudolph das Triumvirat an der Seitenlinie, das vor allem für die fußballspezifische Arbeit in Sachen Taktik zuständig ist.

Fabian Eberle, 26, Torwarttrainer. Anfang des Kalenderjahres 2015 stieß Eberle zum Funktionsteam hinzu. Er kümmert sich um die Torhüterinnen und kann dabei auf eigene Erfahrungen bauen. Der Sportmanagement-Student stand bei der Reserve des SV Babelsberg 03 sowie bei Victoria Seelow zwischen den Pfosten.

Patrick Rotter, 32, Athletiktrainer. Seine Verpflichtung in diesem Sommer war ein Novum in der Klubgeschichte, schließlich ist Rotter der erste hauptamtliche Fitnesscoach bei Turbine. Der studierte Sportwissenschaftler, der seine Wurzeln im Basketball hat, betreut im Verein sowohl die Erwachsenen- als auch Nachwuchsteams, um einen lückenlosen und einheitlichen Aufbau im athletischen Bereich zu gewährleisten. Rotters Vorgänger wurden in der Saison 2014/15 von Schröder kritisiert. Er hatte eine Fehlsteuerung im Trainingsprozess ausgemacht: Zu viele Kraftübungen, die auf Kosten der Spritzigkeit gingen. Ein Problem, das in Anbetracht der gegenwärtig weiterhin fehlenden Dynamik im Turbine-Spiel noch nicht behoben scheint.

Jana Landvogt, 34, Reha- und Präventionstrainerin. Im Zusammenspiel mit Patrick Rotter und Physiotherapeut Andreas Bohn fördert die in einer Babelsberger Physio-Praxis tätige Diplom-Sportwissenschaftlerin die Spielerinnen-Gesundheit. Insbesondere hinsichtlich der Stabilität des Körpers, um Verletzungen zu therapieren oder bestmöglich vorzubeugen. (mit dpa)

Am kommenden Sonntag empfängt Turbine die SGS Essen im Karl-Liebknecht-Stadion. Mehr dazu lesen Sie hier.

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