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Rückwärtslaufen auch als Philosophie. Ralf Klug nach dem Start des Potsdamer Schlösserlaufs, der für ihn mehr lockeres Training war.

© Manfred Thomas

Sport: Rückwärts immer, vorwärts nimmer

Für Ralf Klug aus Potsdam war der Schlösserlauf daheim lockeres Training für die 100 Kilometer jetzt in Biel

Vorwärts gehen kann Ralf Klug schon noch ganz normal, vorwärts rennen aber bereits schlechter. Wenn sich der 48-jährige Potsdamer die Sportschuhe angezogen hat, läuft er nämlich nur noch rückwärts. So wie am vergangenen Sonntag beim 9. Pro Potsdam Schlösserlauf quer durchs Weltkulturerbe, als er im Rückwärtsgang den Halbmarathon bestritt und die 21,0975 Kilometer in 3:14:50 Stunden zurücklegte (PNN berichteten).

„Ich war damit sehr zufrieden, denn ich wollte eine Zeit um die 3:20, 3:25 schaffen. Vielleicht war ich sogar einen Tick zu schnell, denn der Schlösserlauf war für mich mehr als lockere Trainingseinheit für den kommenden Freitag gedacht“, sagt Klug, der übermorgen im schweizerischen Biel erstmals 100 Kilometer rückwärts laufen möchte. „Das hat meines Wissens nach in Europa noch niemand geschafft.“ Beim 54. Bieler 100-Kilometer- Lauf haben die normal vorwärts rennenden Teilnehmer ein Zeitlimit von 21 Stunden für die Strecke. „Ich habe fünf Minuten mehr Zeit, weil ich fünf Minuten früher als die anderen Läufer auf den Rundkurs starten werde“, erzählt Ralf Klug, der sich nicht aus purem Selbstzweck so außergewöhnlich bewegt. „Ich laufe dort für einen guten Zweck und sammele mit jedem von mir zurückgelegten Kilometer Geld für eine Schweizer Stiftung, die cerebral bewegungsbehinderten Kindern Sporttreiben ermöglichen will“, erklärt er.

Ein karitativer Anlass war es auch, der Ralf Klug vor zwei Jahren vom Vorwärtsläufer – der im Marathon unter drei Stunden geblieben war und die 10 000 Meter in 35:21 Minuten absolviert hatte – zum Rückwärts-Spezialisten werden ließ. Der aus dem Schwarzwald stammende Hobbyläufer ist beruflich als Techniker für das Auswärtige Amt tätig und lebte daher bereits in Nairobi, Neu Delhi und Prag, ehe er sich mit seiner Familie vor einem Jahr in Potsdam niederließ. „Im April 2010 saß ich nach einem Halbmarathon in Prag mit Freunden und Veranstaltern zusammen und entschied kurzfristig, einen fünf Wochen später auch in Prag stattfindenden Marathon rückwärts zu laufen. Und meine Frau hatte die Idee, das für einen guten Zweck zu tun“, erinnert er sich. „Im Ziel hatte ich 6000 Euro für ein Kinderheim in Prag erlaufen.“ Der damalige Halbmarathon in der tschechischen Hauptstadt sei sein letzter Lauf vorwärts gewesen, sagt er. Seitdem trainiere er auch nur noch rückwärts.

Klug hat einige aus seiner Sicht vorteilhafte Effekte seiner jetzigen Bewegungsart ausgemacht. „Rückwärtslaufen ist gelenkschonender als Vorwärtslaufen, weil man nur auf dem Vorfuß läuft“, erklärt er. „Gleichzeitig benötigt man 30 bis 40 Prozent mehr Energie. Und es hat auch etwas Philosophisches: Man muss sehr bewusst und vorsichtig laufen, behält immer im Blick, was man zurücklässt, und erreicht trotzdem sein Ziel.“ Daher habe er auch den Schlösserlauf am Sonntag sehr genossen. „Die ganzen historischen Bauten, an denen die Strecke vorbeiführte, waren toll – ich war total begeistert“, meint Klug, der berufsbedingt alle sechs, acht Wochen daheim bei seiner Familie im Holländischen Viertel ist. „Anfangs war es meiner Frau und den Kindern ja ein bisschen peinlich, als ich mit dem Rückwärtslaufen begann. Jetzt ist aber auch schon ein Stück Stolz zu spüren“, erklärt er.

In Deutschland gibt es laut Ralf Klug etwa 15 Rückwärtsläufer, im spanischen Lleida werden Ende August bei den mittlerweile vierten Weltmeisterschaften im Rückwärtslaufen alle olympischen Strecken von den 100 bis zu den 10 000 Metern bestritten. „Dazu kommen rund 150 Läufer aus aller Welt zusammen“, erzählt der Potsdamer. „Die meisten laufen die kürzeren Strecken, im Marathon sind wir derzeit weltweit vielleicht vier, fünf Rückwärtsläufer. Und auf den noch längeren Strecken bin ich schon ein absoluter Exot.“ Drei Marathonläufe habe er bislang absolviert, beim Freiburg-Marathon im Frühjahr sei er mit dem Rücken voran 25 Kilometer weit gekommen. „Dann war es verkehrsbedingt nicht mehr möglich, weil die Streckensperrung früher als angegeben aufgehoben wurde und es rückwärts zu gefährlich wurde.“ Er sei bislang erst einmal gegen ein Hindernis gelaufen – ein Baustellenschild –, als er zum ersten und bisher einzigen Mal einen kleinen Taschenspiegel zur Orientierungshilfe nutzte.

Als Ralf Klug kürzlich auf einem Laufband mal zwei Kilometer ganz normal vorwärts trainierte, „hatte ich Schwierigkeiten. Da merkte ich, dass sich meine Muskulatur schon verändert hat“, berichtet er. „Beim Vorwärtsgehen habe ich aber keinerlei Probleme.“

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