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An der Spitze. Verena Schott gehört zu Deutschlands besten Para-Schwimmern.

© imago/Ralf Kuckuck

Potsdams Para-Schwimm-Weltmeisterin Verena Schott: Sich zoffen und gemeinsam siegen

Seit 2017 trainiert die paralympische Schwimmerin Verena Schott in Potsdam. Bei den Weltmeisterschaften hole sie nun Gold und Silber. Sport und Privatleben sind bei der 30-Jährigen eng miteinander verbunden.

Von Tobias Gutsche

Potsdam - Das Aquatics Centre in London war schon ohnehin ein Ort, mit dem Verena Schott große Glücksgefühle verknüpfte. 2012, bei ihrer ersten Teilnahme an Paralympischen Spielen, gewann die Schwimmerin dort über 200 Meter Lagen Silber. Vergangene Woche glänzte es für sie an gleicher Stelle nun sogar noch mehr. Im Finale der Weltmeisterschaften über 100 Meter Rücken holte sie die Goldmedaille. Ihren eigenen Europarekord sowie den Meisterschaftsrekord verbesserte die Potsdamerin gleich mit. „Sprachlos“ sei sie, erklärte Verena Schott anschließend überwältigt. Es ist ihr zweiter WM-Titelgewinn – aber der erste, der am Luftschiffhafen in die Wege geleitet wurde.

Internationale Medaillen, Europa- und Weltrekorde

Die in Sachsen aufgewachsene Frau war 2017 vom Leistungsstützpunkt aus Berlin in die brandenburgische Landeshauptstadt gewechselt. Sie folgte damit ihrem Trainer – und zugleich Lebensgefährten. Maik Zeh ist der Mann an ihrer Seite. Im Sportlichen wie im Privaten. „Das sind für uns trotzdem zwei Welten, die wir konsequent trennen“, erklärt Zeh. „Am Essenstisch wird nicht über Schwimmen philosophiert, in der Halle nicht die Einkaufsliste besprochen.“ Als sehr ehrgeizig und zielstrebig bezeichnet er seinen Schützling aus Trainersicht. „Manchmal ist sie das zu sehr.“ Dann müsse er sie bremsen – zu ihrem Unmut. „Ich bin ein sehr impulsiver Mensch und sage offen, wenn mir etwas nicht passt“, betont Schott in einem Artikel des Deutschen Behindertensportverbandes. „Dann gibt’s auch mal Zoff am Beckenrand.“

Doppelfunktion. Mail Zeh ist Trainer und Lebensgefährte von Verena Schott.
Doppelfunktion. Mail Zeh ist Trainer und Lebensgefährte von Verena Schott.

© Behinderten-Sportverband Brandenburg

Unter dem Strich spricht der Erfolg für die gemeinsame, wenn auch eben nicht reibungsfreie Arbeit der beiden. Die 30-Jährige gehört zu den besten deutschen Para-Schwimmern. Dank Vielseitigkeit im Wasser hat sie zahlreiche internationale Medaillen an Land gezogen, hält Welt- und Europarekorde.

Lähmung nach schwerem Fahrradunfall 2002

Um sich den nötigen Schliff für solche Top-Leistungen zu holen, reist das Gespann mit weiteren Aktiven und Coaches auch regelmäßig nach Lanzarote. Schott und der drei Jahre ältere Zeh schwärmen von den guten Trainingsbedingungen dort. Hin und wieder dürfen sich die beiden auch über eine besondere Begleitung auf die Kanareninsel freuen, dann, wenn ihre vier und acht Jahre alten Söhne mitreisen. Sollten die beiden Jungs nicht mit dabei sein, sondern bei den Großeltern weilen, ist Verena Schott aber im Trainingscamp die Mutterrolle weiterhin gewiss. „Zu Hause habe ich zwei Kinder, in der Nationalmannschaft sind es dann noch einige mehr“, sagt sie lachend mit Blick auf das junge Team. Da sei es ihre Aufgabe den Youngsters „mal die Hand zu reichen und sie zu unterstützen“.

In den vergangenen Monaten brauchte aber auch die Aktivensprecherin selbst viel positiven Zuspruch. Starke Schulterprobleme plagten sie. Der WM-Start stand infrage. Dass die Schultern teils heftig schmerzen, hängt laut Zeh mit Schotts Handicap zusammen. 2002 wurde sie beim Fahrradfahren von einem Transporter angefahren, ist seitdem inkomplett querschnittsgelähmt, auf den Rollstuhl angewiesen. „Wenn Verena schwimmt, macht sie das nur aus den Armen. Wenn wir Krafttraining machen, geht es über die Arme. Und wenn sie dann im Alltag mit dem Rollstuhl fährt, beansprucht sie auch wieder bloß die Arme“, erläutert Zeh. Man müsse sich also vorstellen: „Sie hat quasi nie Regeneration – das ist brutal für die Schultergelenke.“

Bei Start und Wende im Nachteil gegenüber Konkurrentinnen

Daher ringt er als Coach oft mit ihr, um die richtige Dosierung der Trainingsbelastung zu finden. Hinsichtlich der Weltmeisterschaften in London hat das – auch dank intensiver physiotherapeutischer Behandlung – gut geklappt. Die Schultersorgen vergingen. Letztlich war Verena Schott erfolgreichste deutsche Teilnehmerin. Vor ihrem Goldrennen über 100 Meter Rücken hatte sie auch schon Silber über 100 Meter Brust eingeheimst, hinzu kamen noch zwei sechste Plätze. „Das war herausragend“, meint Zeh.

Schott erreicht hohes Schwimmtempo auf der Bahn. Sie braucht es, um wettzumachen, was ihr bei Start und Wende gegenüber etlichen Konkurrentinnen ihrer Startklasse, die mitunter ihre Beine einsetzen können, verloren geht. „Verena springt nicht ins Wasser, sie fällt nur. Sie stößt sich nicht von der Wand ab, sondern muss erst wieder von Null anfangen. Das ist ein großer Nachteil.“ Umso beachtlicher sei es, wie sie in der Weltspitze mitmische.

Mit den Paralympics hat Schott "noch eine Rechnung offen"

Das starke WM-Abschneiden verleiht der Athletin, die für den Brandenburgischen Präventions- und Rehabilitationsverein startet, nunmehr frisches Selbstvertrauen in Vorbereitung auf die Sommerspiele 2020 in Tokio. Zumal sie nach eigenem Bekunden „noch eine Rechnung mit den Paralympics offen“ habe. Vor drei Jahren in Rio musste sich die Lehramtsstudentin trotz eigener Bestzeiten nur mit zwei vierten und einem fünften Platz abfinden. „Das verfolgt mich schon noch und ich rede ungern darüber. Das waren ganz bittere Momente, die mir aber auch Ansporn gegeben haben. Ich habe daraus neue Motivation gezogen, statt in ein tiefes Loch zu fallen“, sagt sie.

Auf ähnliche Weise beeindruckend ging die damals 13-Jährige mit den Folgen ihres Unfalls um. Als ihr die Nachricht von der Lähmung mitgeteilt wurde, hatte Schott nur eine Frage, wie sie einmal erzählte: „Kann ich weiter schwimmen?“ Die Antwort „Ja“ habe sie beruhigt und optimistisch gestimmt. Das Bahnenziehen verschaffe ihr Glücksgefühle. Erst recht, wenn es mit Goldglanz geschieht.

+++ Gute WM-Debüts von Gina Böttcher und Peggy Sonntag +++

Neben Verena Schott gehörten noch zwei weitere Para-Schwimmerinnen aus Potsdam zum 15-köpfigen deutschen Aufgebot bei den Weltmeisterschaften in London. Sowohl für die 18 Jahre alte Gina Böttcher (SC Potsdam) und die zwei Jahre ältere Peggy Sonntag (Brandenburgischer Präventions- und Rehabilitationssportverein) war es das WM-Debüt. „Beide haben es trotz vorher krankheitsbedingter Ausfälle gleich ins Finale geschafft und damit ihren Status als Perspektivkader für das anstehende Paralympicsjahr gesichert. Damit sind wir sehr zufrieden“, sagt Stützpunkttrainer Maik Zeh. Böttcher erreichte sieben Endläufe und war damit die deutsche Vielstarterin. Über 100 Meter Freistil wurde sie Vierte. Bei den 50 Metern Schmetterling knackte sie gar den Europarekord ihrer Startklasse, belegte aber nur Rang sieben, weil sie in dieser Disziplin klassenübergreifend mit weniger gehandicapten Konkurrentinnen gewertet wurde. Sonntag kam sie über 200 Meter Lagen auf den siebten Platz. Potsdams Paralympics-Zweite von Rio Maike Naomi Schnittger hatte nach gesundheitlichen Problemen auf einen Start verzichtet. Das deutsche WM-Team gewann dreimal Gold, zweimal Silber und einmal Bronze. 

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