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Jaqueline Jänike trainiert meist nahe der Nuthemündung und Heilig-Geist-Kirche steht.

© Andreas Klaer

Potsdamer Winterschwimmerin Jaqueline Jänike: „Ein extrem cooler Sport“

Früher war sie eine "Warmduscherin", sagt Jaqueline Jänike selbst über sich. Inzwischen gehört die Potsdamerin zur Weltklasse im Winterschwimmen. Bei Eiseskälte kommt sie so richtig auf Betriebstemperatur.

Von Tobias Gutsche

Potsdam - Nieselregen bei null Grad Celsius, über Potsdam liegt ein grauer Schleier. Wer an dem ungemütlichen Samstagvormittag nicht zwingend nach draußen muss, bleibt lieber zu Hause. Jaqueline Jänike möchte allerdings unbedingt raus – und dann auch noch ins Havelwasser. Sie ist eine Weltklasse-Winterschwimmerin. Im wahrsten Sinne sei dies „ein extrem cooler Sport“, sagt Jänike.

Die Athletin des ESV Lok Potsdam steht am Ufer nahe der Nuthemündung, ihr Blick zieht sich über das Wasser zur Heilig-Geist-Kirche. Hier trainiert die 57-Jährige meistens, indem sie zwischen den Ufern hin und her schwimmt – ohne einen vor Kälte schützenden Neoprenanzug. So ist es üblich in ihrem Metier. „Ich bin jemand, der solche riesigen Herausforderungen mag. Die Glücksgefühle, die man verspürt, wenn man es geschafft hat, sind unbeschreiblich“, sagt Jänike.

"Heftige" Bedingungen bei Wettkämpfen in Sibirien und Estland

Noch ist sie in dicke Kleidung gehüllt, unter anderem einen langen, roten Mantel. Eine Uhr mit integriertem Thermometer, die ihr Ehemann Ralf ins Wasser gelegt hat, kündigt ihr an, was gleich auf sie zukommt: Nur 3,5 Grad Celsius hat die Havel. „Das ist noch halb so wild“, meint sie. Bei Wettkämpfen in Estland beziehungsweise Sibirien sei das Wasser auch schon minus 0,5 Grad und die Luft minus 14 Grad kalt gewesen. „Das ist heftig.“

In ihrer Jugend war die gebürtige Berlinerin als Leichtathletin aktiv, hatte aber auch schon eine große Leidenschaft für das Schwimmen. Im Alter von 38 Jahren begann Jänike dann, intensiv an ihren Schwimmfähigkeiten zu feilen. „Da war ich noch so eine richtige Warmduscherin, bin selbst im Sommer nur mühsam in den See gegangen“, erzählt sie und lacht.

Bei Wettkämpfen – wie hier im russischen St. Petersburg – wird zuweilen das Schwimmbecken im dicken Eis freigeschnitten.
Bei Wettkämpfen – wie hier im russischen St. Petersburg – wird zuweilen das Schwimmbecken im dicken Eis freigeschnitten.

© Andrey Pronin/dpa

Der Wandel setzte in den Osterferien 2014 ein. Die Lehrerin in einer Gemeinschaftsschule in Berlin-Charlottenburg absolvierte damals ein Trainingslager auf Mallorca, um sich generell für Langdistanzen im Freiwasser zu rüsten. Viele Teilnehmer nutzten das Camp, um einen sogenannten Kältenachweis zu erbringen, der für die Durchquerung des Ärmelkanals notwendig ist. Sechs Stunden bei unter 16 Grad sollten durchgehalten werden. Jänike machte mit. „Nach dreieinhalb Stunden bin ich unterkühlt raus. Als einzige hatte ich es nicht geschafft“, erinnert sie sich an die „ärgerliche Enttäuschung“. Doch kurz danach traute sie sich vor Helgoland gleich noch mal in die Nordsee – zwölf Minuten lang bei neun Grad. „Das lief gut. Da habe ich gemerkt, dass sich der Körper schon besser angepasst hat.“ Daraufhin wollte sie mehr, recherchierte zu Trainingsmethoden und entdeckte, dass es sogar spezielle Wettkämpfe gibt. „Ich war fasziniert von den Bildern. Da war mir klar: Das möchte ich auch machen“, sagt Jänike, während sie sich mit Armkreisen und kleinen Hüpfern für das Training leicht aufwärmt.

Acht WM-Medaillen und Gesamtsieg in der Weltcupserie

Zwei internationale Verbände organisieren Wettkämpfe und jährlich zwischen ihnen wechselnde Weltmeisterschaften. Beim Verband der Eisschwimmer stehen lediglich die 1000 Meter im Programm, bei den Winterschwimmern reicht das Spektrum mit mehreren Distanzen von 25 bis 1000 Meter. Geschwommen wird auf 25 Meter langen Bahnen – zwischen Stegen oder in Becken, die aus Pontons gebaut oder sogar im dicken Eis freigeschnitten werden. Bei der vergangenen Winterschwimm-WM waren fast 1400 Aktive am Start. Es sei eine ganz besondere Gemeinschaft, sagt Jaqueline Jänike. „Ein Haufen Verrückter, der sehr familiär und herzlich ist.“

Nächste Woche kommt die Szene im slowenischen Bled wieder zu Welttitelkämpfen zusammen. Jänike, deren Stärke auf den Bruststrecken liegt, möchte dann trotz Verletzungsproblemen der vergangenen Monate erneut Edelmetall aus dem eiskalten Wasser fischen. Die Frau, die 2011 nach Potsdam gezogen war, hat bisher eine WM-Bilanz von einmal Gold, zweimal Silber und fünfmal Bronze vorzuweisen. Ihr größter Triumph ist der Gesamtsieg in der Weltcupserie 2018/19.

Jaqueline Jänike fühlt sich wohl in der klirrend kalten Havel.
Jaqueline Jänike fühlt sich wohl in der klirrend kalten Havel.

© Andreas Klaer

Für die 1000 Meter braucht die Lok-Schwimmerin rund 20 Minuten. „Bis etwa 600 Meter geht es immer noch gut. Aber danach wird man extremst langsamer, man baut schnell ab, weil die Muskulatur fest wird“, erklärt sie. Betreuer und Kampfrichter beobachten akribisch bei den Rennen, ob der Körper womöglich versagt und eingegriffen werden muss. Erst einmal hat Jänike bislang einen Blackout erlitten: Nach einem Wettkampf im Chiemsee hatte sie mit Kreislaufproblemen zu kämpfen.

Früher war sie im Winter "dauerkrank" - das hat sich geändert

Aufgrund des Risikos geht die Extremsportlerin auch nie alleine ins winterliche Freiwasser. Dreimal pro Woche versucht sie, neben dem Hallentraining auch draußen ihre Einheiten umzusetzen. Entweder an der Nuthemündung, am Lok-Sportplatz in der Berliner Straße oder im Heiligen See. Immer dabei ist ihr Mann Ralf. Einige Zeit lang machte er auch mit – bis er seinen inneren Schweinehund irgendwann nicht mehr für das regelmäßige Training überwinden konnte. „Der hat bei mir nicht nur gegrunzt und gebellt, sondern gebissen“, illustriert er.

Hinter ihm und seiner Frau liegt die Havel ruhig. Bloß ein Schwanenpaar sowie ein paar Enten sind unterwegs. Und nun bekommen sie menschliche Gesellschaft. Jaqueline Jänike pellt sich aus den dicken Klamotten, stapft mit ihrem grün-schwarzen Schwimmanzug kompromisslos ins Wasser und taucht ein. Als sie ihr Pensum von rund 20 Minuten abgespult hat, kommt die Potsdamerin schwerfällig zurück an Land. Ihre Haut ist krebsrot, die Muskeln zittern verkrampft, Finger und Zehen seien leicht taub, sagt sie und klingt dabei anders als zuvor. Das Sprechen ist durch die Kälte eingeschränkt. Wichtig sei es, anschließend schnell die Körpermitte wieder warm zu kriegen. Dick anziehen und Tee trinken helfen. Was auf den ersten Blick nicht gesundheitsfördernd aussieht, sei aber genau das, meint Jänike. „Früher war ich von November bis April dauerkrank. Seitdem ich Winterschwimmen mache, schlagen bei mir deutlich weniger Infekte durch. Und wenn doch, gehen sie viel schneller wieder weg.“

Das große Ziel von Jaqueline Jänike ist es, die Eismeile zu schaffen. 
Das große Ziel von Jaqueline Jänike ist es, die Eismeile zu schaffen. 

© Andreas Klaer

Die abgehärtete Sportlerin, die im Sommer auch schon 42 Kilometer die Weser stromabwärts schwamm, schwört auf ihre frostige Form der Prävention. Sie liebt es, sich – wie unlängst im Heiligen See – gar durch eine dünne Eisschicht zu kämpfen. Und sie hat ein großes Ziel: die Eismeile. Jene rund 1600 Meter bei weniger als fünf Grad Celsius Wassertemperatur sind keine offizielle Wettkampfdistanz, sondern vielmehr eine Selbstverwirklichung unter genauer Aufsicht. „So wie Bergsteiger den Mount Everest bezwingen wollen, wollen wir die Meile schaffen.“ Jaqueline Jänike möchte irgendwann rauf auf diesen schwimmerischen Gipfel des Eisbergs.

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