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Da muss er schlucken. Hagen Pohle hält nichts davon, die Wettkampfstrecken zu verkürzen.

©  Bernd Thissen/dpa

Potsdamer Geher gegen Reformpläne: Es droht „absolute Bedeutungslosigkeit“

Der Leichtathletik-Weltverband greift seinen Plan zur Modernisierung der Geh-Wettbewerbe wieder auf. Die Strecken sollen verkürzt werden. Davor warnen Athleten wie der Potsdamer Olympiateilnehmer Hagen Pohle. 

Von Tobias Gutsche

Potsdam - Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die Bedeutung dieser Redewendung bekommen derzeit die Geher zu spüren. Nachdem im Jahr 2017 die Pläne zu einer Reform ihrer Wettbewerbe aufgrund großen Widerstands der Aktiven noch ausgesetzt worden waren, treibt die zuständige Kommission des Leichtathletik-Weltverbands IAAF die Erneuerungsbestrebungen nun wieder voran. Bei einer Tagung am vergangenen Wochenende wurde ein Konzept entworfen, über das das IAAF-Council am 10./11. März entscheiden soll. Jenes Reform-Vorhaben zielt auf eine Kürzung der Strecken ab. Das sei aber „der falsche Weg“, kritisiert Hagen Pohle.

Der EM-, WM- und Olympiateilnehmer des SC Potsdam war bereits vor zwei Jahren das Sprachrohr der deutschen Gehergilde im Kampf gegen die Veränderungen. Damals hatten er und seine SCP-Kollegen Christopher Linke und Nils Brembach wie mehr als 9500 andere Unterstützer auch eine Petition unterzeichnet, die den Fortbestand der bisherigen olympischen Gehdistanzen forderte. Das zeigte nur kurzzeitig Wirkung. Die aktuelle Struktur mit den 20 und 50 Kilometern bei den Männern und das 20-Kilometer-Rennen der Frauen wurden bis zu den Sommerspielen 2020 in Tokio bestätigt.

10 und 30 Kilometer statt 20 und 50 Kilometer

Danach könnte dann alles anders werden. Einerseits soll die Anzahl der Wettbewerbe für den männlichen und weiblichen Bereich ausgeglichen werden, was einer grundsätzlichen Mission des Internationalen Olympischen Komitees entspricht und viel Zustimmung erhält. Allerdings sollen bei der Weltmeisterschaft 2021 als Übergangsjahr 20 und bloß noch 30 Kilometer im Programm stehen. Ab 2022 ist angedacht, die kürzere der beiden Strecken sogar nochmals auf zehn Kilometer zu halbieren.

Der Protest dagegen hat schon eingesetzt. Unter anderem wehren sich die aktuellen Weltrekordhalter und Olympiasieger über 50 Kilometer Yohann Diniz und Matej Toth – auch Deutschlands Geher haben einen Brief an den Vorsitzenden der Geherkommission Luis Saladie geschrieben. Sie warnen vor Distanzkürzungen. Hagen Pohle betont stellvertretend, dass die seit 1932 bei Olympia ausgetragenen 50 Kilometer die längste Strecke in der olympischen Leichtathletik ist. „Sie gibt dem Gehen ein Alleinstellungsmerkmal und verschafft dieser Disziplin auch deshalb immer wieder mediale Aufmerksamkeit und Anerkennung“, sagt er. Eine solche Besonderheit zu opfern, wäre in den Augen des 26-Jährigen keine sinnvolle Modernisierung. Es würde „nicht zur Rettung, sondern zur absoluten Bedeutungslosigkeit führen“, meint er.

Zu schnell - das widerstrebt der geforderten Technik

Doch die Oberen der Leichtathletik wollen weg von den ganz langen Kanten. Rund dreieinhalb Stunden braucht die Weltelite für 50 Kilometer gehen, 1:16:36 Stunde ist die Bestzeit über 20 Kilometer. Künftig soll alles kürzer und knackiger werden. Einfach schneller. Hagen Pohle, Medaillengewinner internationaler Nachwuchsmeisterschaften, glaubt allerdings nicht, dass die Attraktivität damit auch tatsächlich steigt. Zu schnell – das widerstrebt nämlich der geforderten Technik.

Beim Gehen muss eigentlich immer ein Fuß den Boden berühren. Je höher nun die Geschwindigkeit wird, droht der Erdkontakt zu verschwinden und die Sportler erzeugen Flugphasen. Die IAAF möchte in ihrem Reformpaket dem fliegenden Betrug durch den Einsatz elektronischer Gehrichter entgegenwirken. Statt einer optischen Beurteilung durch Menschen soll eine, womöglich in den Schuhsohlen integrierte, Technologie die Bewegungen überwachen. Das mache die Wertung zwar objektiver, doch die genaue Kontrolle werde gleichsam eine striktere Ausführung nach sich ziehen, erklärt Pohle: „Dadurch reduziert sich in gleicher Weise das Tempo und macht damit den Wettbewerb über zehn Kilometer auch wieder uninteressanter.“ Daher appelliert er wie viele seiner Kollegen dafür, die bisherigen Wege weiter zu beschreiten. 

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