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PNN-Serie: Meine WM: Bodenständig im „Zeppelin“

Mit der Serie "Meine WM" zeigen die PNN, wie Potsdamer und Brandenburger das globale Fußballspektakel erleben. Teil zwei: Die Fußballkneipe "Zeppelin"-Sportsbar in Potsdam-West ist ein Fossil in der Stadt - dort rollt der Ball und spielt das Leben.

Am Tag danach ist alles ruhig. Das blaue Licht der Jägermeister-Leuchtgirlande wandert von einem Kettenglied zum nächsten. Immer wieder von vorn. Mehr bewegt sich nicht in der Zeppelinstraße 39. Draußen ruckelt die Straßenbahn durch Potsdam-West, der Abend liegt ruhig unter dem frühsommerlichen Wolkenhimmel. Und in der „Zeppelin“-Sportsbar schießt Harry Kane das 1:0 für England gegen Tunesien. Doch der Montagabend macht nicht sonderlich Lust auf Fußball-WM. Siesta am Tag danach – nach der Niederlage der Deutschen gegen Mexiko.

„War doch gut gestern“, sagt Hagen Zander. Ihm gehört die „Zeppelin“-Fußballkneipe, die vielleicht letzte ihrer Art in dieser Stadt. Seit zwölf Jahren knipst Zander, den alle nur Hagen nennen, hier an jedem Tag den Bildschirm an und lässt den Ball rollen. Nachmittags um Fünf wird angezapft, früh um Vier gehen die Lichter aus. Bei manchem Gast auch schon eher, je nachdem. „Tolles Entertainment“ nennt Hagen das, was in seiner Kneipe passiert. Damit hat er recht. Hier lässt es sich gut unterhalten über die kleinen und großen Dinge des Lebens, hier lebt eine bodenständige Streitkultur über Abseits, Fouls und Fehlentscheidungen. Manchmal wird hier Politik gemacht, manchmal ein Heiratsantrag. Wer als Fremder kommt, fühlt sich schnell in der „Zeppelin“-Fußballwelt zuhause und geht angeheitert durch einen Cocktail aus unverkrampfter Geselligkeit, klarer Ansprache und märkischem Herzblut wieder heim.

Hier sind sie alle eins: Fußballfans und per Du

Oben, im Gastraum, waren Sonntag alle Tische voll. Auch unten, wo sonst nur die Bayern-Fans unter sich sind, strahlten die frisch gewaschenen weißen DFB-Fantrikots der Herren und schmückten schwarz-rot-goldene Blumenketten die Dekolletés der Damen. Und draußen vermasselte die deutsche Nationalmannschaft auf einem riesigen Bildschirm ihren WM-Start vor der Hof-Kulisse der „Zeppelin“-Sportsbar. Doch Hagen war zufrieden. Er zapfte reichlich Bier, auf den Tischen tanzten im Wechselschritt volle und leere Gläser über schwarz-rot-goldene Bierdeckel, seine Kollegin Cindy hatte hinter dem langen Holztresen alle Hände voll zu tun und huschte ständig mit Nachschub schnellfüßig durch den Gastraum. Während Jogi Löw und seine Jungs ins WM-Turnier stolperten, lief es in der Wirtschaft rund.

Im „Zeppelin“ atmet der Charme alter Kneipenkultur. Wie ein Fossil mischt sich die Kneipe unter Trattorias, Cucinas, Tavernas, Sushibars und Coffeeshops auf der Potsdamer Gastrokarte. An die Wand sind Fanschals von Real Madrid, Juventus Turin und FC Liverpool genagelt, vom SV Babelsberg 03 und von Eintracht Potsdam West. Gleich neben der Tür am Hintereingang steht ein Tippspiel-Automat – ein Empfangsgerät für Ergebnisprognosen, Hoffnungen, Wünsche und Träume. Wenn in der Champions League die Bayern oder Dortmund spielen, sind selbst Stehplätze rar. Dann drängen sich die Gäste dicht auf dem abgewetzten Dielenboden, das Bier in der Hand und jubeln oder leiden im Kollektiv. Bei einer verpassten Chance stöhnt und raunt der „Zeppelin“-Chor in Moll, bei einem Tor jubelt er in den verschiedensten Klangfarben. Ob rot, blau oder schwarz-gelb, ob Busfahrer, Politiker, Hartzer oder Student, ob im Blaumann, Anzug oder in Trainingshosen – in der „Zeppelin“-Bar sind sie alle eins: Fußballfans und per Du. Freud und Leid sind hier Stammgäste und finden die gleiche Antwort: noch ’nen Bier! Hier gehen Fußball und Kneipe noch zusammen ohne hippes Zubehör, ohne veganes Schnitzel und grüne Smoothies. Hier gibt es Bier und Schnaps und hausgemachte Buletten mit sauren Gurken, Knacker und Würzfleisch. Und an guten Tagen, wenn Bayern München gewonnen hat, spendiert Hagen auch mal ’nen Kurzen aufs Haus.

Im schummrigen Kneipenlicht blüht die Expertenrunde auf

„Hier wird noch Handwerk gemacht“, schwört Martin. Der 49-Jährige ist Stammgast in der „Zeppelin“-Bar und gerade am Ende einer Leidensphase: Sein Verein, der Hamburger SV, ist nun tatsächlich abgestiegen. Und auch bei den Deutschen hat Martin für die WM so eine Vorahnung, dass nach der Vorrunde schon Schluss ist. Dafür lobt er, dass es bei Hagen immer lange geht. „Da kannst du Mitternacht aus dem letzten Zug fallen – hier kriegst du immer noch ein Bier“, sagt er und deutet rüber auf die andere Straßenseite zum Bahnhof Charlottenhof, vom dem sich die blaue Eisenbahnbrücke über die Zeppelinstraße und vorbei am Hinterhof spannt. Wenn die Züge kommen, rattern sie direkt an den Kneipenfenstern vorbei. „Sport“ legt Martin fest, „findet hier statt.“

Zumindest Taktikanalysen und Kaderdebatten. Mexiko hat gewonnen, unten auf dem Hof legt Hagen noch ein paar Bratwürste und Steaks auf den Grill, oben kassiert Cindy die Kundschaft ab, die eilig weg will, und am Tisch direkt vor der Leinwand wird Tacheles geredet: Zu viel Bayern-Spieler in der deutschen Mannschaft, zu viel Harmonie und sowieso hätten Petersen und Sané mitgemusst nach Russland. Im schummrigen Kneipenlicht blüht die Expertenrunde auf. Cindy schenkt nochmal nach und auf dem Hof serviert Hagen zum Bier trockenen Humor. „Deutschland hat den Grundstein für tolle Spiele gelegt“, sagt er, denn nun könnte es ja schon im Achtelfinale gegen Brasilien gehen.

Zander ist im „Zeppelin“, was Rehhagel einst in Bremen war

Optimismus gehört zu seinem Geschäft. Mit einer ordentlichen Portion Zutrauen schloss er im November 2006 zum ersten Mal die „Sportsbar“ auf. Nach der Wende wechselten die Wirte hier ständig. Bevor Hagen kam, war es das „Schmankerl“, in dem den Gästen bayerische Haxen aufgetischt wurden. Heute ist Hagen Zander im „Zeppelin“, was Otto Rehhagel einst bei Werder Bremen war. Einer, der lange durchhält und bleibt. Er ist ein Mann mit breiten Schultern, respektablem Bauch und kräftigem Händedruck, mit dem er seine Gäste begrüßt. Er ist in Potsdam geboren, hat Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik gelernt, später in einer Versicherungsagentur gearbeitet, ehe er „in die Gastronomie so reingerutscht“ ist und in der Zeppelinstraße 38 die richtige Adresse für seine Leidenschaft fand. Über ein gutes Dutzend Bildschirme rollt der Ball. Samstags ist Bundesliga, dienstags, mittwochs und donnerstags Europapokal, zweite und dritte Liga gibt es auch. Man kann sich vorn am langen Tresen verankern und dennoch in die Primera Division nach Spanien segeln, in die Seria A nach Italien abdriften oder nach England in die Premier League. An Silvester kann man Liverpool gegen Manchester gucken. „Und wenn es ausgestrahlt würde, würde Hagen auch Relegationsspiele der dritten bolivianischen Liga zeigen“, ist Stammgast Martin überzeugt. Unten, aufm Klo, kann man den Fahrplan studieren: Eine Monatsliste aller Spiele, für die Hagen den Fernseher anmacht, inklusive Darts-WM, Boxen und Superbowl.

Später am Sonntagabend stolpert auch Brasilien mit einem 1:1 gegen die Schweiz in die WM, was die deutschen Fans etwas tröstet. Für Hagen Zander geht ein Tag dann perfekt zu Ende, „wenn die Stimmung gut war und das Ergebnis stimmt“. Als Bayern München 2013 das Triple holte, war das für ihn so ein Tag. Oder als Mario Götze bei der letzten WM im Finale gegen Argentinien das 1:0 schoss. „Wir hatten auch schon viele schöne Champions-League-Abende“, sagt Hagen, überlegt kurz und meint dann: „Einfach viele schöne Abende.“

"Zeeplin"-Bar bietet Potsdams "Public Viewing der Herzen" 

Für Martin, der seit elf Jahren in Potsdam lebt, ist die „Zeppelin“-Kneipe so etwas wie eine Fankurve im Stadion. „Wie eine Familie“, sagt er und steigert sich schließlich zu der pathetischen Feststellung, dass das hier Potsdams „Public Viewing der Herzen“ sei. Morgen, wenn Deutschland gegen Schweden ums Überleben bei dieser Fußball-WM spielt, wird die ganze Familie wieder zusammenkommen. Hagen wird das Bier kalt gestellt haben und auf dem Hof den Grill anwerfen.

Als am Montag Harry Kane kurz vor Schluss des 2:1 für England schoss, machte das „Zeppelin“ noch immer Atempause. Nur im Raucherzimmer saßen Hagen und drei Gäste. Genug, um Skat zu spielen.

Lesen Sie hier Folge eins der PNN-Serie "Meine WM": Singen wie die Gauchos.
Lesen Sie hier Folge drei der PNN-Serie "Meine WM": Welche Gasse? 
Lesen Sie hier Folge vier der PNN-Serie "Meine WM": Schaschlik, Wodka und ein Märchen.

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