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PNN-Olympiaserie "Rio ruft": Wo macht Training Sinn?

In 28 Tagen beginnen die Olympischen Spiele 2016. Mit der Serie „Rio ruft“ werfen die PNN einen Blick auf die hiesigen Leistungssportstrukturen und stellen die Potsdamer Rio-Teilnehmer vor. Folge 2: Märkische Standorte des Spitzensports.

Erfolg durch Effizienz! So könnte das Motto klingen, wonach der deutsche Spitzensport neu aufgebaut werden soll, um künftig eine größere Medaillenausbeute bei Olympischen Spielen zu erlangen. Ganz gleich, wie die Bilanz der anstehenden Spiele in Rio ausfallen wird: Der deutsche Leistungssport soll reformiert werden. Auch die Strukturen und Standorte in Brandenburg stehen auf dem Prüfstand. Zwangsläufig. Denn die Mark ist mit vier geförderten Stützpunkten – Potsdam, Cottbus, Frankfurt (Oder) und Luckenwalde – ausgestattet, die den Steuerzahler jährlich etwa acht Millionen Euro kosten. Da gehören Aufwand und Ertrag kritisch hinterfragt.

Vermutlich 25 der 353 Kadersportler aus Brandenburg werden in Rio starten. Rückblick: Bei den Sommerspielen 1988 in Seoul gewannen 34 von 61 märkischen Athleten eine Medaille, 1992 brachten Brandenburgs Olympioniken noch 20-mal Edelmetall aus Barcelona mit. Tradition und Ruhm der Vergangenheit sind bis heute ein Argument, an alten Standorten festzuhalten. „Die gab es ja schon zu DDR-Zeiten“, sagt der frühere Weltklasse-Turner Sylvio Kroll, der nunmehr den Frankfurter Stützpunkt leitet. „Aber“, so der 51-Jährige, „wir müssen uns schon die Frage stellen, ob wir in Brandenburg weiter alles machen.“

Mehrere Überschneidungen bei Standortförderung in Brandenburg

Zumindest, ob es nicht effizienter geht. Macht es Sinn, dass sich Brandenburg zwei geförderte Ringer-Standorte leistet? Nur weil in Luckenwalde im freien Stil und in Frankfurt griechisch-römisch gerungen wird? Warum pendeln Radsportler zwischen den beiden Stützpunkten Cottbus und Frankfurt hin und her? Reicht es nicht aus, sich auf den Frankfurter Standort zu konzentrieren, wo es seit 2014 eine der modernsten Radsporthallen der Welt gibt – Haupttrainigsstätte des Bundes Deutscher Radfahrer? Warum trainieren die talentierten Leichtathleten in den Sportschulen Cottbus und Potsdam, warum Judokas an Oder und Havel, statt Stärke, Synergien und Dynamik an einem Standort zu bündeln und zu entwickeln?

„Das sind Sportarten, die traditionell mit den Standorten verbunden sind“, begründet Kroll und schließt für die nahe Zukunft aus, dass diese aufgegeben werden. Gleichwohl er mit Bilanzen und Ergebnissen nicht zufrieden ist: „Ich hätte gern fünf oder mehr Olympiateilnehmer aus Frankfurt in Rio“, sagt er. Indes muss er sich mit dem Sportschützen Ralf Buchheim und Judoka Maren Kräh bescheiden, die seinen Stützpunkt an der Copacabana vertreten.

OSP Brandenburg betreut 353 Kaderathleten und rund 1500 Sportschüler

Dass Fusion erfolgreich sein kann, haben die märkischen Sportfunktionäre selbst bewiesen. 2008 wurden die beiden eigenständigen Olympiastützpunkte (OSP) Frankfurt (Oder)/Cottbus und Potsdam zum OSP Brandenburg zusammengefasst. Der damalige Landessportminister Holger Rupprecht versprach sich durch die Symbiose „noch mehr Teilnehmer und noch mehr Medaillen bei Olympischen Spielen sowie Welt- und Europameisterschaften“. Nach wie vor ist das mehr Hoffnung als Realität. „Aber die Arbeit auf administrativer Ebene ist wesentlich effizienter geworden“, sagt Kroll. Für die Funktion des OSP als Betreuungs- und Serviceeinrichtung für 353 Kaderathleten und rund 1500 Schüler an den Eliteschulen des Sports in Brandenburg wurde die Fusion als Qualitätsoffensive gefeiert.

Eine solche brauche es Kroll zufolge auch bei der Trainerarbeit an den einzelnen Stützpunkten, um sportlich wieder erfolgreicher zu sein. „Wir stehen vor einem Generationswechsel bei den Trainern“, sagt er. In den Trainingsgruppen müsse inhaltlich eine innovative Arbeit geleistet werden, die sich auch an neuen Erkenntnissen der Trainingswissenschaft und -lehre orientiert. Beim Boxen gehe man in Frankfurt neue Wege, indem man sich nicht gescheut hat, internationale Expertise zu holen und einen dänischen Box-Trainer am Stützpunkt eingestellt hat. „Seit 2004 haben wir keinen Olympiastarter mehr im Boxen gestellt“, illustriert Kroll den Handlungszwang. Bis 2020 habe Frankfurt als geförderter Box-Bundesstützpunkt eine Gnadenfrist – dann ist auch die durch Manfred Wolke, Henry Maske oder Axel Schulz begründete Tradition kein rettendes Argument mehr.

„Man muss weg vom Kirchturmdenken und Besitzstandswahrung“

Wie schwierig es ist, bestehende Strukturen zu ändern, zeigt der aktuelle Streit zwischen Deutschem Olympischem Sportbund und Fachverbänden. Nach den Spielen in Rio soll ein neues Leistungssportkonzept vorgestellt und ab 2017 umgesetzt werden. Es geht um veränderte Förderung der Stützpunkte, neue Strukturen in den Verbänden, modifizierte Kaderzahlen. „Einschneidende Veränderungen“ hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) angekündigt. Und schon gibt es „erste Verhinderungsstrategien“, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung jüngst berichtete – eine „Zerreißprobe des organisierten Sports“.

Doch selbst Funktionäre wie Kroll kommen nicht umhin zu sagen: „Man muss weg vom Kirchturmdenken und Besitzstandswahrung.“ Am Ende ginge es doch darum, dass die besten Sportler einer Disziplin da trainieren, wo die besten Trainer und die besten Bedingungen sind. „Auch wenn es manchmal wehtut, Talente abzugeben“, so Kroll. Und nicht nur Talente. Es geht auch um eine sinnvolle Verteilung von Geld, Posten und Positionen. Und dabei gebe es „eine große Gemengelage an Interessen und zu viele Mitspieler“. Daher scheint es fast Illusion, ein ausgewogenes Geben und Nehmen von Talenten, Trainern, finanzieller Förderung und effizienter Stützpunktarbeit frei von Neid, Eitel- und Befindlichkeiten über Ländergrenzen hinweg zu erreichen. „Aber wenn wir das schaffen“, meint Sylvio Kroll, „werden wir besser werden.“

Lesen Sie hier Folge eins der PNN-Olympiaserie "Rio ruft": Das System hinter den Medaillen.

Lesen Sie hier Folge drei der PNN-Olympiaserie "Rio ruft": Die Athleten, Ziele und Trainer.

Lesen Sie hier Folge vier der PNN-Olympiaserie "Rio ruft": Die Bilanz der Sommerspiele 2016.

Lesen Sie hier Folge fünf der PNN-Olympiaserie "Rio ruft": Die Paralympics.

Lesen Sie hier Folge sechs der PNN-Olympiaserie "Rio ruft": Die Bilanz der Paralympics 2016.

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