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Wo geht’s hin? Die EM ist ein Wegweiser für Torben Schmidtke.

© imago/Camera 4

Paralympischer Schwimmsport in Potsdam: Neues Handicap

Die Klassifizierung im paralympischen Sport sorgt immer wieder für Unmut. Nun wurde der Potsdamer Top-Schwimmer Torben Schmidtke in eine andere Startklasse eingestuft. Dadurch wankt seine Karriere. Die derzeit laufende EM soll ihm aufzeigen, wie es weitergeht.

Von Tobias Gutsche

Torben Schmidtke grinst. Fröhlich wedelt er mit der deutschen Fahne umher. Er freut sich über die Ehre. Bei der Europameisterschaft der paralympischen Schwimmer diese Woche in Dublin ist es der Mann vom SC Potsdam, der Deutschland zur Eröffnungsfeier repräsentiert. Das passt. Schließlich ist Schmidtke seit Jahren ein prägendes Gesicht der nationalen Para-Schwimmszene. Doch hinter ihm liegt eine Zeit mit Rückschlägen. Und vor ihm eine ungewisse Zukunft.

"Das ist das Doping des Behindertensports"

Es ist eine auf den ersten Blick kleine Veränderung, die allerdings eine große Auswirkung auf seine bisher so erfolgreiche Karriere hat. Statt in der Startklasse SB6 muss Torben Schmidtke seit diesem Jahr in der SB7 antreten. Das ist das Resultat der Klassifizierungsüberprüfungen in Kopenhagen und Berlin. Für den mehrfachen Paralympics- und WM-Medaillengewinner sowie Weltrekordler auf den Bruststrecken ist die Umstufung ein Schock, denn dadurch wird er nun zusammen mit weitaus schnelleren, weil weniger beeinträchtigten Konkurrenten gewertet. „Das war sehr schwer zu verdauen. Man fühlt sich sehr niedergeschlagen, wenn man plötzlich raus ist“, sagt der 29-Jährige, dessen Beine und der linke Arm nicht vollständig ausgebildet sind – eine sogenannte Dysmelie. „Ich weiß, dass ich weltweit gesehen in dieser Startklasse eigentlich keine Chance habe. Die Weltspitze ist mir einige Sekunden voraus.“

Paralympischer Sport lebt von der Klassifizierung. Es braucht die Einteilung in Startgruppen, um den mit unterschiedlichsten Handicaps antretenden Athleten irgendwie einen fairen Wettkampfvergleich zu ermöglichen. Doch von Gerechtigkeit sei wenig zu spüren, kritisieren Aktive und Trainer. Torben Schmidtke haderte einmal lautstark damit, dass bei den Klassifizierungstests einige Sportler betrügen. „Sie werden gefragt, ob sie den Arm beugen können, und sagen nein. Dann siehst du, wie sie den Arm beugen. Einige lassen sich mit dem Rollstuhl reinschieben und draußen siehst du sie rumhampeln und Fußball spielen“, erzählte er. Das sei „das Doping des Behindertensports“. Plötzlich schwimmen dann Leute gegeneinander, deren körperliche Einschränkungen überhaupt nicht im Verhältnis zueinander stehen würden. „Wo ist die Realität?“ Torben Schmidtke war stets ehrlich bei den Überprüfungen. Aber er versuchte natürlich, seinen Schwimmstil zu optimieren. Bundestrainerin Ute Schinkitz berichtet, dass der gebürtige Schweriner jahrelang getüftelt habe, um einen möglichst effektiven Beinschlag mit seinen Dysmelien zu erreichen. „Beim Wassertest im Rahmen der Klassifizierung wurde ihm diese Weiterentwicklung nun zum Nachteil ausgelegt“, sagt Schinkitz. Auch deshalb sei die Enttäuschung über die Versetzung in Startgruppe SB7 so groß.

Windpocken warfen Torben Schmidtke zurück

Bei der Europameisterschaft in Dublin stehen für die SB7-Klasse am heutigen Mittwoch die 100 Meter Brust auf dem Programm. Schmidtkes wichtigste Strecke, über die er 2012 Silber und 2016 Bronze bei den Paralympischen Sommerspielen holte. „Ich werde auf neue Gegner treffen und muss selbst erst einmal gucken, wer da jetzt neben mir schwimmt“, sagt er. Mit großen Erwartungen springe er nicht ins Wasser.

Nicht zuletzt, weil die neue Startklasse nur eine Schwierigkeit darstellt. Auch gesundheitliche Probleme hatten Torben Schmidtke innerhalb des vergangenen Jahres heftig aus der Bahn geworfen. Ausgangspunkt dafür war eine Windpockenerkrankung im Sommer 2017. Sie verhinderte einen Start bei der Weltmeisterschaft in Mexiko. Diese musste zwar aufgrund des schweren Erdbebens vor Ort um einige Monate nach hinten in den Dezember verschoben werden, doch selbst bis dahin war Schmidtke nicht annähernd fit. „Ich habe hart trainiert, aber es ging gar nichts. Ich konnte einfach nicht schnell schwimmen und habe mich richtig schlecht gefühlt“, erinnert er sich zurück. Es wurde auch im neuen Jahr nicht besser. Wieder wurde er bei Ärzten vorstellig. Die mühsame Ursachenforschung ergab, dass bei ihm der Windpockenvirus überaus aggressiv zuschlug und seinen Körper nachhaltig schwächte. Acht Wochen Zwangspause wurden verordnet.

Schmidtkes größter Antrieb: der Spaß

Nur noch genauso viel Zeit blieb zur EM-Vorbereitung. Eigentlich überhaupt nicht ausreichend. Im Trainingslager auf Lanzarote habe er „das Bestmögliche aus der Situation gemacht“. Sein größter Antrieb: der Spaß. „Den sollte man sich auch nicht nehmen lassen. Ich betreibe seit 14 Jahren Leistungssport und habe schon tolle Erfolge gefeiert. Schwimmen ist meine Leidenschaft“, sagt Torben Schmidtke, der bisher viele Medaillen, aber noch keinen internationalen Meisterschaftssieg erkämpfte. Er sei „geil auf Gold“, sagte der SCP-Athlet vor einiger Zeit. Aufgrund der bitteren Umstufung ist der Traum vom Titel sehr vage geworden. Daher möchte Schmidtke gar nicht weit nach vorne blicken. Paralympics 2020 in Tokio, das ursprüngliche Ziel, derzeit kein Thema. „Ich möchte erst abwarten, wie die EM läuft, und dann werden wir sehen, in welche Richtung es geht.“

Wichtig ist für Torben Schmidtke das Wissen darum, nach einem Karriereende fest im Berufsleben stehen zu können. Seit dem 1. Januar dieses Jahres ist er Beamter auf Probe bei der Bundespolizei, für die er bereits seit 2013 im Referat Materialmanagement tätig ist. Den Weg dorthin fand Schmidtke durch eigene Offensive. Bei der Verleihung des Silbernen Lorbeerblattes nach den Paralympics 2012 traf er auf den damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich – und fragte ihn kurzerhand, ob er nicht einen Job für ihn hätte. „Es klappte bei der Bundespolizei. Ein Glückstreffer“, meint Torben Schmidtke. Er ist dankbar. Dem Schwimmsport. Dieser hat ihm viel gegeben. Im Becken und auch außerhalb davon.

+++ Maike Naomi Schnittger holt EM-Gold +++

Einen goldenen Start in die Europameisterschaft erlebte das paralympische Schwimmteam des SC Potsdam. Zum Auftakt in Dublin holte Maike Naomi Schnittger den Titel über 400 Meter Freistil. Neben der Doppel-Weltmeisterin von 2017, die im Vorfeld der EM durch eine Handverletzung und einen Infekt geplagt worden war, sowie Torben Schmidtke sind noch drei weitere Potsdamer Aktive am Start. Während Verena Schott (Brandenburgischer Präventions- und Rehabilitationsverein) mit einem Medaillengewinn liebäugelt, dürfen die SCP-Talente Gina Böttcher und Jasmin Beutler wertvolle Erfahrungen bei den Erwachsenen sammeln. 

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