zum Hauptinhalt

Sport: Nach fünf Monaten Training zu Olympia-Bronze

Friedrich Gottlob von Stülpnagel gilt als erster Potsdamer Medaillengewinner bei Olympischen Spielen – am 9. August 1936 in Berlin

Friedrich Gottlob von Stülpnagel gilt als erster Potsdamer Medaillengewinner bei Olympischen Spielen – am 9. August 1936 in Berlin Von Hans Groschupp Mit preußischen Tugenden zur Ehre Olympias könnte man die sportlichen Ambitionen des einstigen Potsdamer Infanterieregimentes Nr. 9 (IR-9) überschreiben. Schon der Kavalleriegefreite Franz Wanderer hatte den olympischen Marathonlauf 1928 in Amsterdam bestritten. Nun, 1936 in Berlin, soll das IR-9 wieder für Schlagzeilen sorgen. Mit dem Geschlecht derer von Stülpnagel weiß man etwas anzufangen, aber Leutnant Friedrich Gottlob von Stülpnagel ist bis dato noch unbekannt – am 9. August 1936 gewinnt er als erster Potsdamer Sportler eine Medaille bei Olympischen Spielen der Neuzeit. So wie auf dem Sportgelände Luftschiffhafen, auf dem Standortsportplatz des IR-9 in Bornstedt oder in der Wünsdorfer Heeressportschule wird überall in Deutschland, ja in der ganzen Welt trainiert. Für Leutnant Friedrich Gottlob von Stülpnagel folgt die kürzeste Olympiaqualifikation aller Zeiten. In der Heeressportschule Wünsdorf werden seit 1916 die Sportoffiziere der einzelnen Regimenter ausgebildet. Turnusmäßig werden die Auszubildenden zu Lehrgängen abgeordnet. Neben diesem Dienst leistet sich die Wehrmacht, wie schon zuvor die Reichswehr, dort den Luxus eines eigenen Leistungssportbereiches. Im April 1936 ist Leutnant von Stülpnagel 23 Jahre alt. Sein Regimentskommandeur hat ihn wieder einmal für vier Wochen nach Wünsdorf befohlen. Wen soll er sonst schicken? Stülpnagel ist Junggeselle und macht das nicht zum ersten Mal. Der Großgewachsene schielt zu den Olympiakandidaten und darf mit den Fünfkämpfern, die für die Olympischen Spiele 1940 in Tokio vorgesehen sind, trainieren. Neidvoll blickt von Stülpnagel zu den Eliten für 1936. Schließlich darf er auch dort mittrainieren. Hermann Westerhaus ist der Trainer. Er entdeckt das Talent des 1,88 Meter großen Leutnants für den langen Sprint über die 400-m- Strecke und erneuert die Abordnung um weitere vier Wochen. Als sich die zweite Abordnung dem Ende neigt, will Trainer Westerhaus erneut verlängern. Von Stülpnagel wird tatsächlich immer schneller. Nach den Gaumeisterschaften folgen die Deutschen Meisterschaften, die gleichzeitig die Olympiaqualifikation darstellen. Westerhaus hatte seinem Schützling das Prinzip der Renneinteilung, das wohl noch heute gültig ist, eingeimpft: Beginnen wie ein 200-Meter-Sprinter, auf den nächsten 100 Metern versuchen das Tempo zu halten und dann auf den letzten 100 Metern Augen zu und durch. Es funktioniert. Von Stülpnagel läuft mit 49,1 Sekunden Hausrekord und wird hinter dem Berliner Helmut Hamann, der in 48,8 Sekunden einkommt, Zweiter des 1. Vorlaufes über 400 Meter. Im Endlauf wiederholt der Potsdamer das Prinzip. Hamann gewinnt in 48,9 vor Voigt (49,0) und von Stülpnagel (49,1). Damit ist die Olympiateilnahme gesichert und eine weitere Abordnung notwendig. Von Stülpnagel befürchtet wieder, diese nicht zu bekommen. Er irrt sich. Ein letzter Testwettkampf wird im Olympischen Dorf in Elstal angesetzt. Der Leutnant gewinnt den Lauf und wird dennoch nicht für den Einzelwettbewerb nominiert. Ein Außenstehender protestiert. Es ist der Oberst des Leutnants. Man erklärt ihm, dass man gegen Amerikaner und Kanadier in der Einzelentscheidung keine Chance hätte und dass deshalb die schnellsten 400-Meter-Läufer in der Staffel an den Start gehen würden. Sieben Tage nach Eröffnung der Spiele fällt am 8. August der Startschuss zum ersten Vorlauf. Helmut Hamann läuft die Staffel für Deutschland an. Friedrich von Stülpnagel als Zweiter holt den Kanadier Edwards vor der letzten Kurve ein. Er übergibt an Harry Voigt. Schlussläufer ist der Dresdner Rudolf Harbig. Deutschland qualifiziert sich hinter Kanada für den Endlauf einen Tag später. Ein neuer Tag, ein neues Glück. Der Kanadier Fritz läuft die erste Teilstrecke am schnellsten an, mit deutlichem Abstand dahinter die USA, noch ein wenig schlechter die Briten und die Deutschen. Von Stülpnagel läuft den zweiten Abschnitt schneller als der Kanadier Edwards und holt auf. Als nächster läuft Harry Voigt ein großes Rennen und erobert Rang 3. Rudolf Harbig kann die Bronzemedaille als Schlussläufer halten. Die Briten gewinnen. Die Amis sind enttäuscht über Silber. Die Deutschen liegen sich in den Armen. Sie haben ihr hochgestecktes Ziel, die Bronzemedaille, erreicht. Friedrich von Stülpnagel durchlief seinen Abschnitt in 47,8 Sekunden und gewinnt als erster Potsdamer Sportler eine Medaille bei Olympia. Kaum zu glauben, dass der Sohn des Kammerherrn von Kronprinz Friedrich-Wilhelm erst im April 1936 mit dem Training begonnen hatte. Eine Sensation in der Sportgeschichte, Deutschland gewinnt die Medaillenwertung der Olympischen Spiele von Berlin. Mit 33 Gold-, 26 Silber- und 30 Bronzemedaillen wird Deutschland vor den USA Sportnation Nr.1. Star der Leichtathletikwettbewerbe ist der farbige US- Sprinter Jesse Owens, der allein vier Goldmedaillen gewinnt. Ende 1937 beendet Friedrich von Stülpnagel den Leistungssport und widmet sich vorrangig seiner militärischen Laufbahn. Dabei ist ihm wie Ludwig Beck, dem Generalstabschef, der 1938 zurücktritt, das militärische Geschick Hitlers suspekt. 1939 heiratet Friedrich von Stülpnagel. Sein Onkel, General Carl- Heinrich von Stülpnagel, beschäftigt sich schon 1938 mit ernsthaften Putschplänen gegen Hitler. Am 20. Juli 1944 lässt er als Militärbefehlshaber in Frankreich alle 1200 in Paris stationierten Gestapo- und SS-Männer verhaften. Der ebenfalls in Frankreich stationierte Friedrich von Stülpnagel will seinem Onkel zur Seite stehen. Freunde erfahren vom Scheitern des Attentats und verhindern seine Abreise nach Paris. Sie retten sein Leben. Onkel Carl-Heinrich setzt sich die Pistole an die Schläfe und überlebte den Selbstmordversuch. 1942 werden Alfred und Gustav Flatow, die beiden jüdischen Turnolympiasieger von 1896, bei den Olympischen Spielen 1936 noch Ehrengäste, zu Reichsfeinden erklärt und im KZ Theresienstadt umgebracht. „Was der Sport will und erreichen muss, ist: ein wertvoller Helfer in der totalen Kriegsführung zu sein....“, schreibt die Potsdamer Tageszeitung im Februar 1943. Rudolf Harbig, der überragende deutsche Leichtathlet, Weltrekordler über 400 und 800 Meter, 1936 Staffelkamerad von Stülpnagels, bezahlt die eingeforderte Hilfe mit seinem Leben. Ihm gleich fallen viele bekannte Spitzensportler an der Front. Der ehemalige Kommandeur des Potsdamer IR-9 und Kommandant des Olympischen Dorfes, das den Beinamen „Dorf des Friedens“ trug, Werner-Albrecht Freiherr von und zu Gilsa, ist General der Infanterie geworden und im Mai 1945 Kampfkommandant von Dresden. Als er am 6. Mai Dresden kampflos räumen muss, um sich auf die Kammlinie des Erzgebirges zum letzten Gefecht zurückzuziehen, erteilt der General seinem Korps den Befehl, beim Rückzug die bereits ausgehängten weißen Fahnen der Bevölkerung zu ignorieren und nicht auf deren Besitzer zu schießen, wie es Einheiten der SS und der 4. Panzerarmee praktizierten. Am 9. Mai 1945 setzt von Gilsa seinem Leben ein Ende. Nach dem Krieg wird Friedrich von Stülpnagel 1951 hauptamtlicher Vorschriften-Sachbearbeiter beim Bundesgrenzschutz. Er heiratet zum zweiten Mal und wird Vater dreier Söhne. 1955 tritt er in die Bundeswehr ein. Seine Frau verstirbt schon 1958. Oberst Friedrich von Stülpnagel ist 1972 bei den Spielen von München Leiter des Verbindungsstabes der Bundeswehr. Hier trifft er wie schon 1968 in Mexiko-City seinen Brieffreund Jesse Owens wieder. Damals in Berlin hatten sie sich nur aus der Ferne des Olympiastadions gekannt. Nach seiner Pensionierung betreibt Friedrich von Stülpnagel ein Jagdgeschäft und engagiert sich als Funktionär im Modernen Fünfkampf. Nach der Wende kam Friedrich von Stülpnagel 1994 nach 50 Jahren erstmals wieder nach Potsdam. Aber er konnte sein Elternhaus, die Villa Stülpnagel im KGB- Viertel am Neuen Garten, nicht betreten. Die Nachmieter waren noch da. 1996 starb der erste Potsdamer Medaillengewinner bei Olympia, Friedrich von Stülpnagel, in Wolfratshausen. Die Geschichte über den ersten Potsdamer Medaillengewinner bei Olympischen Spielen ist Bestandteil des Buches über den Potsdamer Sport und seine Geschichte von Hans Groschupp. Der heute erschienene Artikel ist in voller Länge im Internet unter www.pnn.de/regionalsport nachzulesen.

Hans Groschupp

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false