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Erfolgreich. Auf das Konto der Potsdamer Sportschule gehen bislang 130 olympische Medaillen, davon 68 in Gold.

©  dpa

Sportschule Potsdam: Mit der Salamitaktik zum Abitur

An der Potsdamer Sportschule können die Schüler ihre Prüfungen zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife über mehrere Jahre verteilen – dieses Modell ist in Deutschland einzigartig.

Von Tobias Gutsche

Für Klaus-Rüdiger Ziemer war die sechste Bundeskonferenz der Eliteschulen des Sports ein Heimspiel. Sie fand vor zwei Monaten im Kongresshotel am Templiner See statt. Nur unweit von der Potsdamer Sportschule entfernt, die er seit 1996 leitet. Die „Traumerfüllungsmanufaktur“, wie Ziemer sie gerne bezeichnet, zählt bundesweit zu den erfolgreichsten ihrer Art. Und zu den innovativsten. Das wurde auf der Konferenz deutlich.

In einem Referat informierte Ziemer darüber, wie in seiner Einrichtung die sportliche und schulische Laufbahn in Einklang gebracht werden. Vor allem von einem Aspekt zeigten sich die Zuhörer der 42 weiteren Eliteschulen begeistert: vom Modell des additiven Abiturs. Mit diesem offiziell von der Kultusministerkonferenz genehmigten Projekt haben die Potsdamer Pionierarbeit in Deutschland geleistet. Dass Jugendliche ihre Prüfungen zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife über bis zu drei Jahre verteilen können, ist bislang nämlich nur an der Sportschule der brandenburgischen Landeshauptstadt möglich.

„Das Abitur war seit Bismarcks Zeiten unverändert. Dass wir es geschafft haben, es neu zu denken, ist eine Sensation“, findet Ziemer, der betont, dass die Prüfungen ganz regulär im Rahmen des landeseigenen Zentralabiturs abgelegt werden. „Es ist in allen Belangen vergleichbar und bedarf keiner Sonderregelungen.“ 20 von den rund 70 bis 80 Absolventen einer Jahrgangsstufe gehen diesen Weg zur Hochschulreife. „Statt alle Prüfungen binnen weniger Wochen zu schreiben, schneiden diejenigen das Ganze in Scheiben. Für die Kompetenzentwicklung zur Studierfähigkeit macht das in unseren Augen keinen Unterschied“, findet Klaus-Rüdiger Ziemer.

Additives Abitur geht mit Schulzeitstreckung einher

Voraussetzung für ein additives Abitur ist die sogenannte Schulzeitstreckung. Eine seit vielen Jahren bewährte Praxis, bei der die zwölfte Schulstufe auf einen Zeitraum von zwei Jahren ausgeweitet wird. Damit summiert sich die Schulzeit auf insgesamt 14 Jahre. Auf die letzten drei portioniert können talentierte Athleten dann ihre vier Pflichtprüfungen ablegen. Zum Beispiel: eine im ersten Jahr, eine im zweiten, zwei im dritten. Oder: zwei, null, zwei. Oder, oder.

„Je nachdem, wie man die Saison-Schwerpunkte im Sport setzt, kann somit die schulische Beanspruchung dosiert werden. Und genau darum geht es hier: Ohne die Leistungsansprüche bei der Benotung zu senken, soll eine Entlastung in der Schule geschaffen werden, damit das Talent noch besser entfaltet werden kann“, erzählt Ziemer, der das Modell des additiven Abiturs als passgenau für Sportler empfindet. „Sie streben immer nach Zielen und machen gerne Haken hinter etwas. Wenn jemand also bereits im ersten Jahr einen Haken hinter Mathe setzen möchte, wird das durch diese Form möglich.“ Danach ist der Kopf frei für andere Dinge. Für neue Ziele.

Schule ist das Wichtigste - und Medaillen das "Allerwichtigste"

Im Fall, dass tatsächlich schon in Jahr eins der Prüfungsphase ein Fach komplett abgeschlossen werden soll, erhält ein Schüler den Lehrstoff im doppelten Umfang vermittelt. Beispielsweise acht statt vier Stunden Mathe in der Woche. „Nur so können schließlich die relevanten Themen aus zwei Jahren in eins gepackt werden.“ Einzeln oder in Kleingruppen werden die Jugendlichen dann unterrichtet. Wenn sie in Trainingslagern sind, erhalten sie die Inhalte auf einer e-Learning-Plattform im Internet.

Eine hochwertige schulische Ausbildung, erläutert Ziemer, sei die wichtigste Säule im Profil der Potsdamer Sportschule. „Medaillen sind für uns aber das Allerwichtigste“, nutzt der Deutschlehrer den Superlativ des Superlativs. „Daran werden wir gemessen. An sportlichen Erfolgen.“

Vor diesem Hintergrund berichtet er mit Stolz von der Bilanz aus dem Jahr 2014. Bei internationalen Meisterschaften gewannen seine Schüler 20-mal Edelmetall, davon zwölf goldene Plaketten. Ein zuvor noch nie erreichtes Ergebnis. Zu den Medaillengewinnern gehören unter anderem Fußballerin Pauline Bremer, Diskuswerfer Henning Prüfer, Fünfkämpfer Fabian Liebig und die Judoka Philipp Galandi sowie Martin Setz. Allesamt haben sie obendrein ihr Abitur erfolgreich bestanden. Mit der Salamitaktik.

+++ Diskuswerfer Prüfer: Keine Abstriche in Sport und Schule +++

Am 27. Juni endet die Schulzeit für Henning Prüfer. Dann bekommt er im Audimax der Universität Potsdam sein Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife überreicht. Seine letzten beiden Prüfungen im Rahmen des additiven Abiturs hat der Sportschüler, der im vergangenen Sommer U20-Vize-Weltmeister im Diskuswurf wurde, dieses Jahr in Deutsch und Sport abgelegt. 2013 war er mündlich in Geschichte gefordert, 2014 folgte Mathe. „Mir hat es sehr geholfen, die Prüfungsphase zu strecken“, sagt der 19-Jährige, der mit seinen Ergebnissen zufrieden sei. „Hätte ich alle Prüfungen in einem Jahr absolvieren müssen, wäre das für mich nicht so gut ausgegangen – davon bin ich überzeugt.“ 

Additiv zum Abitur. Henning Prüfer verteilte seine Prüfungen an der Sportschule.
Additiv zum Abitur. Henning Prüfer verteilte seine Prüfungen an der Sportschule.

© privat

Durch das additive Abitur habe er keine Abstriche in Sport und Schule machen müssen. Nichts blieb auf der Strecke. „Daher kann ich allen Sportlern an unserer Schule empfehlen, diese Möglichkeit zu nutzen“, erklärt das Kraftpaket, das sich nun bei der Sportfördergruppe der Bundespolizeibewerben möchte. Aufgenommen wurde der gebürtige Rostocker, der im Mai eine neue Bestleistung erzielt hat (65,03 Meter), derweil ins deutsche Team für die U20-EM. Mitte Juli wird Prüfer den Diskus bei den Titelkämpfen in Schweden durch die Luft jagen

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