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Spuren im Schlamm. Beim Crosslauf zählt die abseitige Strecke.

© p-a/DPPI

Sport: In kurzen Hosen durch den Frost

Für Crossläufer beginnt jetzt die Saison

Am Bremer Werdersee sieht man sie jetzt wieder, diese Spezies in freier Wildbahn. Gegen halb sieben Uhr abends taucht Woche für Woche im Dämmerlicht eine Gruppe von dunkel bekleideten Männern an der Spitze des Deichs auf. Mit langen Schritten läuft das Rudel über die taufeuchte Wiese Richtung Badestrand. Während die Sonne am Ufer untergeht, schaufeln sich die schlaksigen Sportler über den Sand des verwaisten Strands. Wieder auf festem Boden, geht es in enger Formation über nasses Gras bis zu den Hängen eines Bergs. An der Steigung legt jeder noch einmal zu, um als erster im Wäldchen auf dem Gipfel anzukommen. Dann sind sie wieder verschwunden, in den langen Schatten der Bäume.

Was ein wenig wie das geheime Training einer Elite-Militäreinheit aussieht, ist tatsächlich ein beliebter Breitensport. Crosslauf heißt das Querfeldeinlaufen, das die Mitglieder des Marathon-Club Bremen jeden Mittwochabend üben. „Ab November spaltet sich die Laufgemeinschaft in Schönwetterathleten, die lieber in der Halle trainieren und solche, die sich quälen wollen“, sagt Marian Skalecki, der Trainer der Laufgruppe. Der niedersächsische 3000-Meter-Meister würde bei norddeutschem Regenwetter zwar auch lieber seine Bahnen unter einem Dach ziehen, trotzdem treibt es ihn an den windigen Strand des Werdersees. Der Abwechslung wegen. „Cross ist das Gegenteil vom Laufen in der Halle – man ist dem Wetter ausgesetzt, es ist schlammig, härter zu laufen.“ Crosslauf bezeichnet eigentlich alle Läufe, die abseits von ausgewiesenen Wegen stattfinden. Die erhöhte Schwierigkeit macht zugleich den Reiz aus: Ständig müssen die Läufer aufpassen, dass sie nicht über Wurzeln stolpern, auf nassem Gras ausrutschen oder im Schlamm steckenbleiben. Da die Läufe nur im Winter stattfinden, kann es auch vorkommen, dass die Teilnehmer sich durch kniehohen Pulverschnee schaufeln müssen.

„Das ist schon was anderes, als wenn man so auf dem Ku’Damm vor sich hin läuft. Da muss man sich schon konzentrieren“, sagt auch Karl-Heinz Flucke. Der 65-jährige Berliner organisierte gerade zum 50. Mal den Crosslauf der LG Süd auf der Zehlendorfer Rennbahn mit. Ursprünglich fand das Rennen im Herbst und im Frühjahr statt und konnte wegen der isolierten Lage West-Berlins mit bis zu 1300 Teilnehmern zählen, darunter viele US-Soldaten und Pfadfinder. Dieses Jahr erreichten 283 Läufer das Ziel.

Eine gute Strecke sieht so aus wie die Rennbahn in Zehlendorf: eine Steigung am Anfang, wechselnde Untergründe aus Gras und Sand mit Wurzeln als Schwierigkeit und ein welliges Streckenprofil. Aber jede Crosstrecke ist anders. „International läuft man eher auf geradem Terrain, teilweise sogar auf Golfplätzen“, erzählt Flucke. Einmal habe ein Veranstalter kurz vor Start Wasser auf die Strecke gekippt, „um englische Verhältnisse zu kriegen“.

Die Engländer brachten die Disziplin „Cross Country“ nach Europa, Nordamerika und nach Afrika, wo bei trockenen Verhältnissen auf Weltklasseniveau gelaufen wird. Vor allem Kenianer und Äthiopier holen sich auf den hügeligen Staubpisten ihrer Heimat die nötige Ausdauer und dominieren seit den Achtzigerjahren die jährlich im März stattfindenden Crosslauf-Weltmeisterschaften. Die Marathon- Weltrekordlerin Paula Radcliffe war die letzte Europäerin, die den Weltmeistertitel holen konnte. Wie viele ambitionierte oder professionelle Athleten war sie eigentlich Bahn- und Straßenläuferin und nutzte im Winter die Crossläufe, um ihre Kraftausdauer für die Hauptsaison im Sommer zu schulen.

„Crossläufe gehören neben den langen Dauerläufen und Tempodauerläufen zum Wintertraining dazu“, sagt Trainer Skalecki. Zudem verhilft das Berganlaufen zu einem raumgreifenden Schritt, die verschiedenen Bodenbeschaffenheiten schulen Koordination und stärken die Muskulatur. Crossläufe sind deshalb auch attraktiv für weniger Ambitionierte. Nach dem Wettkampf scharen sich die Teilnehmer mit Kaffeebechern um die Gulaschkanone. „Die Atmosphäre bei uns ist familiär“, findet Flucke.

Etwas Lust, sich zu quälen, gehört dazu, wenn man bei Minusgraden bergauf und bergab wetzt. Warum es trotzdem so viele Begeisterte gibt, wusste Alan Silitoe in der Erzählung „Die Einsamkeit des Langstreckenläufers“ zu berichten: „Ich fühle mich wie der erste Mensch, weil ich kaum einen Faden am Leib habe und in ärmellosem Hemd und kurzer Hose auf die frostigen Felder rausgeschickt werde.“

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