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Handball in Potsdam: Steinadler im Höhenflug

Was für eine Geschichte: Die alte Garde des VfL Potsdam hat nach zwei packenden Spielen sensationell den brandenburgischen Handball-Landespokal gewonnen. Dafür wurde der "Rost abgeschüttelt" und gegen Schmerzen angekämpft. Letztlich waren die in früheren Zeiten entwickelte Routine und Siegermentalität die Trümpfe des Teams.

Aus einem ungläubigen Schmunzeln wurde ein Siegerlächeln, aus einer Schnapsidee eine triumphale Sektdusche. Der VfL Potsdam gewann mit seiner alten Garde ehemaliger Zweitliga-Spieler den Handball-Landespokal. In zwei dramatischen Spielen setzten sich die Steinadler im Final Four-Turnier in der MBS-Arena am vergangenen Samstag zunächst im Halbfinale gegen den amtierenden Brandenburg-Meister HSG RSV Teltow-Ruhlsdorf und am gestrigen Sonntag gegen den Oberligisten Ludwigsfelder HC durch.

„Unglaublich“ und „unfassbar“ waren die ersten Kommentare auf den Rängen und unter den VfL-Spielern, von denen die meisten ihre Karriere schon vor Jahren beendet haben, die sich einmal in der Woche zum Fußballkick treffen und den VfL nur deshalb im Landespokal vertraten, weil dessen Drittliga-Mannschaft und auch die zweite Mannschaft auf einen Start verzichteten.

Halbfinalspektakel bis ins Siebenmeterwerfen

Er habe ja etwas schmunzeln müssen, als ihn im Sommer die alten Teamkollegen anriefen, mit denen er vor zehn Jahren in der zweiten Handball-Bundesliga spielte und die ihm von der Idee berichteten, im Landespokal anzutreten, erzählt Victor Pohlack. Inzwischen lebt der einstige Torgarant des VfL in Oberhavel, arbeitet als Lehrer und ist fast 40 Jahre alt. Doch als er auf der Platte am Wochenende stand, habe er gemerkt, dass die Mechanismen noch funktionieren – und er noch immer die Qualitäten eines Goalgetters besitzt. Im mitreißendem Halbfinale gegen Teltow-Ruhlsdorf traf Pohlack allein in der zweiten Halbzeit achtmal. Die Dramaturgie des Spiels sah einen Schlagabtausch auf Augenhöhe vor. Auf mehr als zwischenzeitlich drei Tore ließen die Steinadler ihren Gegner nicht davon ziehen. Und als fünf Sekunden vor Spielende die HSG mit 28:27 in Führung ging, Steinadler-Teammanager Göran Böhm seine Mannschaft im Timeout auf den rettenden Spielzug einschwor, Pohlack auf Marc Thiele passte und der vom Kreis mit gleichzeitigem Ertönen der Schlusssirene den Ball ins obere Toreck jagte, tobte die Halle. Auch in der zehnminütigen Verlängerung schafften die alten Haudegen wiederum Sekunden vor Schluss den Ausgleich und gewannen schließlich das Siebenmeter-Werfen.

Und es war eine gute Idee, dass sich die Handball-Veteranen am Samstagabend ihren Physiotherapeuten Stefan Ruhle samt Massagebank in die Umkleidekabine bestellt hatten. Trotz der therapeutischen Maßnahme vermutete der 42-jährige Marc Thiele: „Es wird morgen früh verdammt wehtun. Da will uns keiner laufen sehen.“ Sein Teamkollege Björn Rupprecht, der am kommenden Mittwoch seinen 39. Geburtstag feiert, gestand nach dem gestrigen Finale: „Die Frage war, ob wir es zum zweiten Spiel fit genug auf die Platte schaffen. Wenn ja, dann haben wir auch eine Chance.“ Sie schafften es – mit Salben und reichlich Adrenalin gegen die Schmerzen. Und „zum Glück gegen Ludwigfelde“, wie Teammanager Göran Böhm befand, denn Grün-Weiß Werder als anderer möglicher Finalgegner „hätte uns in Grund und Boden gerannt“, so der einstige VfL-Recke. Doch schied Werder in einem gleichfalls spannenden Halbfinalspiel gegen seinen Oberliga-Rivalen Ludwigsfelde 29:30 aus – hier fiel das entscheidende Tor ebenfalls Sekunden vor Schluss.

Und wie wird von den Haudegen gefeiert?

Auch der Ludwigsfelder HC legte im Endspiel rasant los und führte schnell mit 4:0. Erst mit ihrem sechsten Angriff gelang den Steinadlern durch Marc Thiele der erste Treffer. Lange Zeit hielt der Oberligist die Potsdamer auf Distanz, führte Mitte der zweiten Halbzeit zeitweilig mit fünf Treffern. Doch bei den VfL-Routiniers sind nicht nur alte Handball-Mechanismen gespeichert, sondern auch eine Comeback-Mentalität. „Schon in Zweitliga-Zeiten haben wir oft die Spiele erst am Ende gerissen“, erinnerte sich Böhm. So auch gestern: Tor um Tor verkürzten sie den Rückstand, zehn Minuten vor Schluss zog der VfL durch einen von Rupprecht verwandelten Siebenmeter gleich, mit einem Doppelschlag brachte Stephan Mellack die alte Garde viereinhalb Minuten vor Schluss erstmals nach vorn und riss die immer lauter werdenden Zuschauer von ihren Sitzplätzen. Und als Thoralf Tietze im VfL-Tor den letzten Ludwigsfelder Wurf parierte, waren das 29:28 und die Pokalsensation perfekt.

„Dass wir gut Handball spielen können, wussten wir“, sagte der zwölffache Final-Torschütze Björn Rupprecht. „Aber wir sind ja etwas in die Jahre gekommen und mussten zunächst etwas Rost abschütteln.“ Doch dann waren Routine, Siegermentalität und Sensationslust nicht mehr zu stoppen. „Jetzt wird gefeiert“, kündigte Rupprecht trotz aller sichtbaren Erschöpfung an: „Altersgerecht, aber formvollendet.“

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