zum Hauptinhalt

Fußballfans: Je mehr Strafen, desto mehr Feuerwerk

Die Fußballverbände verhängen Rekordstrafen gegen Vereine wegen Fan-Verfehlungen, doch die Probleme und der Dissens werden dadurch immer größer. Auch unterhalb des Profifußballs nehmen die Spannungen zu - zum Beispiel in der Regionalliga Nordost, wo der SV Babelsberg 03 derzeit zuhause ist.

Potsdam - Die Bilder haben ihn entsetzt, sagt Rainer Milkoreit. Der Präsident des Nordostdeutschen Fußballverbandes (NOFV) sah am Montagabend, was Millionen Fernsehzuschauer auch sahen: Beim DFB-Pokalspiel zwischen dem FC Hansa und Hertha BSC (0:2) wurde reichlich Pyrotechnik gezündet, zeitweilig standen Plastikstühle in Flammen, Rostocker Fans brannten demonstrativ ein Hertha-Banner ab. Die Partie musste zweimal unterbrochen werden. Trotz vorheriger Hinweise und der Einsatzbereitschaft von 1700 Polizisten waren die Ausschreitungen nicht zu verhindern.

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) reagiert zunächst, wie er es immer tut und tun muss. Er hat Ermittlungen aufgenommen. Das DFB-Gericht wird beide Vereine zu erheblichen Geldstrafen verurteilen. Es sind die üblichen Reflexe und Konsequenzen des DFB – und auch des NOFV.

Bringen die Geldstrafen überhaupt etwas?

Der hat erst vor wenigen Wochen die beiden Regionalligisten SV Babelsberg 03 und FC Energie Cottbus zu drastischen Geldstrafen verurteilt, nachdem beim Brandenburg-Derby Ende April reichlich Pyrotechnik loderte. Doch während Vereine wie Cottbus und Babelsberg betonen, dass es wenig hilfreich ist, sie ausschließlich zu sanktionieren, der Verband sie aber bei der Frage nach mehr Sicherheit in ihren Stadien weitestgehend allein lässt, sieht Milkoreit derzeit keine andere Möglichkeit, als die Vereine zu bestrafen. „Wen sonst?“, fragt er. „Sie sind verantwortlich.“

Doch bringt das was? In der notorisch klammen vierten Liga, dem derzeit sportlichem Zuhause des SV Babelsberg 03, zumindest nur bedingt. „Es gibt in der Fanszene ein gewisses Verständnis, dass man besser nichts mehr machen sollte“, sagt Max Hennig vom Fanbeirat des SV Babelsberg 03 (siehe Interview).

Verbände avancieren zum Feindbild der Fans

Anders in den höheren Ligen: Zu 1,82 Millionen Euro wurden 49 der 56 deutschen Erst- bis Drittligavereine im Laufe der letztjährigen Saison verurteilt – wegen Fehlverhaltens der Fans, vor allem weil diese Pyrotechnik zündeten. Doch je mehr Strafen, desto mehr Feuerwerk in den Stadien. „Die Vorkommnisse in den Stadien sind in den vergangenen Wochen intensiver geworden. Die Anzahl steigt“, sagt NOFV-Präsident Milkoreit. Die Strafen scheinen nichts zu bewirken: „Aktuell gibt es dafür keine Akzeptanz, weil da reine Willkür herrscht“, erklärt das Max Hennig vom SVB-Fanbeirat.

Es ist ein Prinzip der wechselseitigen Reaktion: Während Verbandsfunktionäre immer mehr Fanvergehen beklagen, spricht die Fanszene von einer Bestrafungsspirale – die auch der SV Babelsberg 03 derzeit zu spüren bekommt: 7000 Euro soll er wegen der Vorkommnisse vom vergangenen April zahlen, womit der Viertligist – was die Höhe der Strafe betrifft – in die Bundesliga aufgestiegen ist. Mit ihren Sanktionen avancieren die Verbände zum Feindbild vieler Fans. In der ersten Runde des DFB-Pokals am vergangenen Wochenende kam es in mehr als zwei Dutzend Stadien zu Protestbekundungen. Mit „Krieg dem DFB“ sind die aktuellen Fanproteste überschrieben, auch die Kommentare über den NOFV im Zusammenhang mit dem SVB-Urteil in den Fanforen klingen alles andere als wohlgesonnen. Milkoreit, bis zum vergangenen November selbst DFB-Vizepräsident, meint indes: „Den DFB als Feind gibt es nicht.“ Beim Deutschen Fußball-Bund allerdings wird sich mit den zunehmenden Anfeindungen beschäftigt. Dessen Vertreter trafen sich vor wenigen Tagen in Frankfurt am Main im Rahmen der AG Fankulturen mit Fanvertretern, Fanprojektlern und Fanbeauftragten – um unter anderem die aktuellen Proteste zu thematisieren.

Vorfälle trotz bereits hoher Sicherheitsvorkehrungen

Einen solchen Austausch gibt es auf der nordostdeutschen Fußballebene noch nicht. Zwar erkenne er an, so Milkoreit, „dass es für die Vereine ein schwieriges Feld ist“, für ausreichend Sicherheitsmaßnahmen zu sorgen. Aber eine andere Lösung, als dass „man sich vor einem Spiel noch intensiver austauschen muss“, hat er nicht. Auch die Idee einer personalisierten Eintrittskarte – wie sie der DFB in der jüngeren Vergangenheit Fans des Bundesligisten Eintracht Frankfurt vorgeschrieben hat – finde er gut. „So würde man wissen, wer ins Stadion geht.“ Doch ist die Skepsis bei Fans wie auch bei Fachleuten gegenüber personengebundenen Tickets und ihrer tatsächlichen präventiven Wirkung groß.

Bei gezielten Aktionen wie dem Missbrauch des Gästeblocks durch rechtsextreme Cottbuser Fangruppen als Bühne für Nazi-Gesänge vergangenen April kommen die Vereine – vor allem in den unteren Ligen – an ihre Grenzen. Nahezu mahnend betont Christian Lippold, Sicherheitsbeauftragter des SV Babelsberg 03, dass bei den getroffenen Sicherheitsmaßnahmen im Vorfeld des Cottbus-Spiels der Verein an die „Grenzen des Machbaren“ gestoßen sei. Tatsächlich wurden dem SVB weder von der Polizei noch im späteren Urteil des NOFV-Sportgerichts Versäumnisse attestiert. Auch Hansa-Präsident Robert Marien hatte nach dem Pokalspiel am Montagabend erklärt, dass die Verantwortung nicht allein bei seinem Klub zu suchen sei. „So etwas kann man sicher nur gesamtgesellschaftlich lösen, nicht allein als Drittligist.“ Fußball-Regionalligist Energie Cottbus hat bereits gehandelt und will im Kampf gegen Gewalt und Rassismus einen eigenen Bevollmächtigten für Vielfalt und Toleranz einsetzen. Bis spätestens 2018 soll diese Stelle ausgeschrieben werden. Hertha-Manager Michael Preetz sieht nach dem vergangenen Montagabend alle Parteien in der Pflicht: „Das wird ein Thema sein, das Vereine, Verbände und die Fanlager in den nächsten Wochen beschäftigen wird“, sagte er.

SVB möchte Aufhebung seiner Strafe und Neu-Verhandlung

Der nordostdeutsche Verbandschef Milkoreit baut auf die Kraft der Gesetze: „Bei solchen Auswüchsen ist mit deutschem Recht klare Sprache zu sprechen.“ Randalierer gehörten sofort vor den Richter und verurteilt. Schwierig nur, wenn sie vermummt und nicht identifizierbar sind und dann – nach gültiger bundesdeutscher Rechtsprechung – die Vereine in Haftung genommen werden. „Ich kenne den Dissens, dass die Vereine die auferlegten Strafen als nicht gerechtfertigt empfinden“, sagt der NOFV-Präsident. „Aber ich halte das zunächst für akzeptabel.“

Der SV Babelsberg 03 will das nicht akzeptieren. Weder die Strafe von 7000 Euro, zu welcher der Verein nach dem Cottbus-Spiel wegen des Abbrennens von Pyrotechnik verurteilt worden ist, hält der SVB für gerechtfertigt, noch die Begründung des Urteils: Weil ein Nulldrei-Fan in den nachweislich mit Rechtsextremen gefüllten Gäste-Fanblock „Nazischweine raus“ gerufen hat, soll der SVB bestraft werden. Der Verein hat beim NOFV-Präsidium beantragt, das Urteil aufzuheben und neu zu verhandeln. Am 21. September wird das oberste Verbandsgremium sich damit beschäftigen. „Vorher kann und will ich mich nicht dazu äußern“, sagt Milkoreit und bekennt dennoch: „Dass man keine Nazis im Stadion haben will, ist ja nur positiv zu sehen.“

+++

Lesen Sie weiter:

Interview: "Verbote funktionieren nicht", sagt Max Henning vom SVB-Fanbeirat im PNN-Interview. 

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false