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Schauplatz für den Showdown. Die Kanuten wie Sebastian Brendel und Ruderer werden auf dem Sea Forest Waterway um die Medaillen kämpfen. 

© privat

Ein Jahr vor den Olympischen Spielen 2020: Sebastian Brendel zur Stippvisite in Tokio

Der Potsdamer Top-Kanute Sebastian Brendel testete die Olympia-Regattastrecke. Nun weiß er, was ihn bei den Sommerspielen 2020 erwartet: schwere Bedingungen, viel Begeisterung und ein Hauch Heimat.

Von Tobias Gutsche

Die Saison 2019, daraus macht Sebastian Brendel keinen Hehl, ist für ihn die enttäuschendste seiner Leistungssportkarriere. Auf seiner Paradestrecke über 1000 Meter im Canadier-Einer musste der erfolgsverwöhnte Kanute stets der Konkurrenz den Vortritt lassen, meist reichte es nicht einmal für eine Medaille. Wie bei den Weltmeisterschaften, als seine lange Zeit der WM-Dominanz endete und er Vierter wurde.

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Insofern sei der Jahresabschluss nun eine Wohltat für ihn gewesen. Denn auf der Olympia-Regattastrecke in Tokio gewann Brendel unlängst das offizielle Testrennen für die Sommerspiele 2020. Zwar seien nicht alle Top-Leute am Start gewesen, immerhin aber Vizeweltmeister Tomasz Kaczor aus Polen, betont er. „Trotzdem war dieser Sieg gut für mein Gefühl.“ Und noch wichtiger war der Trip nach Fernost, um wertvolle Erfahrungen zu sammeln.

Brendel hadert mit dem Termin für die Sommerspiele

Wie schon hinsichtlich Olympia 2012 in London und 2016 in Rio wollte Sebastian Brendel auch diesmal wieder die Chance nutzen, im Jahr davor einen Eindruck von den Gegebenheiten zu bekommen, unter denen das Fünf-Ringe-Event stattfinden wird. Erst recht, weil innerhalb des europäisch geprägten Kanusports Wettkämpfe in Asien sehr selten sind. Für den Dreifach-Olympiasieger ist es gar Neuland. Nach seinem Aufenthalt in Tokio, dem er noch einen mit Gold und Silber veredelten Supercup-Start in China anschloss, kann der Athlet des KC Potsdam im OSC bereits prophezeien: „Olympia 2020 wird von den Bedingungen her ein sehr schwieriger Wettkampf. Vielleicht der schwierigste, den ich je hatte.“

Angefangen beim Klima. Dies bezeichnet er als „brutal“. Hitze bei hoher Luftfeuchtigkeit werden den Athleten zusetzen. Zur Testregatta im September zeigte das Thermometer um die 30 Grad Celsius. Bei den Spielen, die Ende Juli und Anfang August ausgetragen werden, sind gut und gern 35 bis 38 Grad zu erwarten. Es ist die heißeste Phase im Jahr in der Region. Brendel hadert deshalb. „Ich kann nicht nachvollziehen, warum man die Wettbewerbe nicht einfach später ausrichtet – zum Schutz der Sportler. Damals ging das“, sagt er mit Verweis auf Tokios erste Olympische Spiele 1964.

Den Trip nach Tokio unternahmen Sebastian Brendel und sein „Mentor“ Jürgen Eschert gemeinsam.
Den Trip nach Tokio unternahmen Sebastian Brendel und sein „Mentor“ Jürgen Eschert gemeinsam.

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Zu diesen legte der zwölffache Weltmeister nun eine Zeitreise hin. Mit bester Begleitung. Sein „Mentor“, wie er Jürgen Eschert selbst nennt, trat die Reise ebenfalls an, um an den Ort zurückzukehren, wo der heute 78-jährige Potsdamer seinen größten sportlichen Erfolg feierte. Im Canadier-Einer über 1000 Meter wurde Eschert 1964 Olympiasieger. „Das ist schon eine besondere Geschichte“, meint Brendel. „Zwei Sportler aus einem Verein: Der eine hat in Tokio schon gewonnen, der andere träumt davon, da in derselben Disziplin zum dritten Mal nacheinander Einer-Olympiagold zu holen – oder wenigstens eine Medaille.“

Das KCP-Duo fuhr zum Sagami-See, rund eineinhalb Stunden außerhalb von Japans Hauptstadt. Vor 55 Jahren war er Schauplatz der olympischen Paddelrennen. „Malerisch schön mit Bergpanorama“, berichtet Brendel. Eschert traf beim Besuch auf einen japanischen Kontrahenten aus seinem Olympiarennen und durfte in einem restaurierten Holzboot von einst eine Runde auf dem Wasser drehen. „Das war alles sehr bewegend. Gänsehaut-Momente“, sagt Eschert.

Wettkampf auf Wellenbrecher-Inseln in der Bucht von Tokio

Sein sportlicher Nachfahre wird jedoch an anderer Stelle darum kämpfen, sich ähnliche Glückserinnerungen zu verschaffen. 1964 fand Kanu und Rudern getrennt statt, weil der Sagami-See nicht lang genug ist für die 2000-Meter-Distanz der Ruderer. Das Internationale Olympische Komitee verlangt inzwischen aber eine gemeinsame Anlage. Sie entstand in der Bucht von Tokio. Dort wurden ab 1973 zwei Inseln künstlich angelegt, zwischen denen ein Wasserkanal führt. Der Sea Forest Waterway dient, jetzt mit Spundwänden an beiden Enden geschlossen, als Regattastrecke. Die Wettkampfstätte sei anders als 2012 in London zentral gelegen, sagt Brendel, doch sei sie nicht annähernd so landschaftlich reizvoll wie 2016 am Fuße des Zuckerhuts in Rio. „Es gibt wahrlich schönere Orte zum Paddeln oder Ruderern“, meint er. So habe ihn der Rundblick am 2000-Meter-Startpunkt stutzen lassen. „Rechts ein Containerhafen wie in Hamburg und links ein Chemiewerk.“ Letzteres war ihm immerhin vertraut: „Wie zu Hause in Schwedt.“

Weitaus mehr als die Aussicht treibt Brendel jedoch die Windproblematik um. Die Inseln wurden als Wellenbrecher in die Bucht gesetzt. „Das sagt schon alles“, schnauft er. „Da bläst es immer ordentlich drüber.“ Zumeist vom Meer kommend, also von rechts, was für ihn als Linkspaddler zum Nachteil ist, weil er dann mehr Aufwand für das Steuern betreiben muss. Beim Testwettkampf kam der Wind jedoch täglich aus anderen Richtungen, im Finale von links. „Ich hoffe einfach, das nächstes Jahr faire Bedingungen für alle herrschen.“

"Das Essen ist sehr gewöhnungsbedürftig"

Auf jeden Fall werden es Olympische Spiele mit perfektionistischem Anspruch und viel Begeisterung – das zeichne sich, anders als in Rio, schon ab. „Die Leute sind voller Vorfreude. Es gibt bereits viele Fanshops, in jedem Supermarkt werden Olympia-Artikel verkauft“, erzählt Brendel. „Und alle sind so freundlich.“

Bei aller Gastfreundschaft der Japaner musste er jedoch einen Makel feststellen: „Das Essen ist sehr gewöhnungsbedürftig.“ Zum Frühstück standen Reis, Fisch und Suppen auf dem Tisch. „Nicht unbedingt das, was ich brauche.“ Vorsorglich hatte der Potsdamer diesmal schon Müsli mitgenommen. Für nächstes Jahr überlegt er sich, einen Vorrat an „Brandenburger Urkraft“ mitzunehmen. Jenes Brot, das er in Kooperation mit der Bäckerei Exner kreiert hat. Neben dem Chemiewerk à la Schwedt würde das zusätzlich ein Heimatgefühl in Tokio vermitteln.

Aber ehe es soweit ist, warten noch rund zehn Monate harten Trainings auf ihn. Mitte Oktober steigt Sebastian Brendel wieder ins Boot. An Bord ist der Ansporn, es nach dem enttäuschenden Jahr 2019, nochmal allen zu beweisen. Vor allem sich selbst, seinem größten Kritiker.

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