zum Hauptinhalt
Der Handlungsbedarf für DDR-Dopingopfer ist groß. Seit Oktober des Vorjahres meldeten sich 480 geschädigte Athleten beim Opfer-Hilfeverein.

©  dpa

Doping in der DDR: „Nicht noch einmal verraten“

Vor einem Jahr Jahr wurde im Land Brandenburg mehr Verantwortung von Politik und Sport für geschädigte DDR-Athleten angemahnt. Bislang wird viel gezögert und gewartet, aber wenig getan

Bernd Richter konnte nicht kommen. Der 56-Jährige lag in einer Schmerzklinik, als am vergangenen Montag im Potsdamer Landtag über „Die Lage der Dopingopfer heute“ diskutiert wurde. Der einstige Hammerwerfer des ASK Vorwärts Potsdam, der bis heute an den Dopingfolgen leidet, hätte sicher seinen Teil dazu sagen können. So wie er es schon vor Jahren getan hat. 2008, vor der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Berlin, hat sich Richter gemeinsam mit anderen Dopingopfern der ehemaligen DDR in einem offenen Brief an den damaligen Bundes-Innenminister Wolfgang Schäuble gewandt. In dem Schreiben kritisierten sie unter anderem den fehlenden Willen zur Aufarbeitung des Doping-Kapitels durch Politik und Sport. Glaubt man dem im Vorjahr gegründeten Verein „Doping-Opfer-Hilfe“ DOH, ist das bis heute so geblieben.

„Ich fühle mich wie eine Box, die immerzu sendet, aber keinen Empfänger hat“, sagt DOH-Vorsitzende Ines Geipel, einst selbst Leichtathletin in der DDR und nach der Wende engagierte Interessensvertreterin für Dopingopfer. Sie saß vor gut einem Jahr schon einmal im Landtag – damals vor der Enquetekommission zum Umgang mit der DDR-Vergangenheit, in der sie unter anderem die fehlende Hilfe für DDR-Dopingopfer in Brandenburg kritisierte. In ihrem Abschlussbericht empfahlt die Kommission daraufhin: „Politik, Sport und Gesellschaft sind aufgefordert, zu einem aktiven Umgang mit den DDR-Dopingopfern zu finden“. Insbesondere solle der Landessportbund (LSB) konkret helfen und Beratungsangebote finanziell unterstützen.

Der LSB sagte zu. Seine Führung begrüßte ein von Geipel vorgestelltes Konzept für eine Beratungsstelle für Dopingopfer. Bis 2016 wurden jährlich 15 000 Euro als Zuschuss verabredet – vorbehaltlich eines Beschlusses der LSB-Mitgliederversammlung. Den hat es bis heute jedoch nicht gegeben, sodass die Grüne-Landtagsabgeordnete Luise von Halem fordert: „Der Landessportbund muss seinen Ankündigungen endlich Taten folgen lassen." Als am vergangenen Montag herauskam, dass der LSB seine Mitglieder weder informiert noch befragt hat, zeigte sich Brandenburgs Aufarbeitungsbeauftrage Ulrike Poppe als Gastgeberin der Veranstaltung befremdet über das vermeintliche Desinteresse.

LSB-Präsident Wolfgang Neubert weist den Vorwurf der Inaktivität zurück. So verweist er auf eine Anfrage des LSB auf Mitgliedschaft im Doping-Opfer-Hilfe-Verein vom Mai vergangenen Jahres, die bis heute nicht beantwortet sei. Mit der Mitgliedschaft wolle der LSB deutlich machen, dass er das Anliegen des DOH mittrage und unterstütze. Zum anderen habe sich der Brandenburger Landessportbund nicht losgelöst von den anderen Bundesländern der Diskussion und Aufgabe zur Aufarbeitung stellen wollen. Denn das Konzept des DOH für eine Dopingopfer-Beratungsstelle sieht eine Beteiligung aller neuen Bundesländer vor. Bislang habe der DOH nach Kenntnis von LSB-Hauptgeschäftsführer Andreas Gerlach mit den zuständigen Stellen in den ostdeutschen Ländern noch gar keinen Kontakt aufgenommen. „Wir tragen das Konzept mit und auch eine finanzielle Beteiligung“, sagte Gerlach. Voraussetzung sei aber die Bereitschaft und Zusage der übrigen Bundesländer. Denn nur so sei das Konzept tragfähig umzusetzen. Auch LSB-Präsident Neubert betont: Solange es keine einheitliche Handlungsgrundlage und gesamtdeutsche Initiative gibt, werde der märkische LSB seinen Mitgliedern keine Entscheidung abverlangen.

Zudem zeigt sich Neubert irritiert vom Ton der gegenwärtigen Debatte. Er sehe den LSB zunehmend in eine Täterrolle gedrängt und als Angeklagten. „Das erschwert eine sachliche Auseinandersetzung", betonte er. Dennoch versicherte Neubert die nach wie vor gegebene Bereitschaft des LSB, im Rahmen seiner Möglichkeiten an der Unterstützung für DDR-Dopingopfer mitzuwirken. Er verwies dabei auf die Möglichkeit, dass sich Betroffene direkt unter einer eigens dafür eingerichteten Kontaktadresse beim LSB melden können.

Ines Geipel hat allerdings kein Verständnis für das Zögern und Abwarten und hätte sich den märkischen LSB in einer Vorreiterrolle gewünscht. Auch unabhängig von der Mitwirkung der anderen Bundesländer hätte der LSB aktiv werden können. „Wir haben ihm eine Liste mit 30 Namen von DDR-Dopingopfern gegeben, die in Brandenburg leben. Man hätte also längst beginnen können, aber passiert ist nichts“, sagt Geipel. Dabei sei der Handlungsbedarf groß und dringend: Nachdem der Hilfsverein seine Arbeit aufnahm, haben sich dort seit Oktober des Vorjahres laut Geipel 480 Betroffene gemeldet. „Sie wenden sich an uns im Vertrauen, dass ihnen geholfen wird“, sagt sie. Es wäre nicht zu verantworten, wenn die Betroffenen nun lange auf konkrete Hilfe oder Entschädigungen warten müssen. „Das wäre so, als würde man sie noch einmal verraten“, sagt Geipel.

Vielmehr erschrocken gemacht habe sie allerdings die Haltung von Brandenburgs Sportministerin Martina Münch (SPD) während der Podiumsrunde zu Wochenbeginn. „Da war nicht mal ein Ansatz von gefühlter Verantwortung zu spüren“, sagte die 53-Jährige. „Mit einem Bedauern ist es doch nicht getan, die Verantwortung des zuständigen Ministeriums und des Landes ist weitaus größer“, sagte Geipel.

Zur Startseite