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Kleine Kugeln, große Debatte. Gummi-Granulat wie auf dem neuen Kunstrasenplatz des FSV Babelsberg 74 kann sich schädlich in der Umwelt auswirken, wenn es etwa durch den Wind dorthin getragen wird. Oder von den Spielen – an Toni Ölke vom Teltower FV (u.) dürfte nach dieser Aktion gegen FSV-Kicker Maximilian Hoffmann einiges kleben bleiben. 

© Benjamin Feller

Diskussion um Kunstrasenplätze: Wirbel um aufgewirbelten Gummi

Ein mögliches Verbot von Synthetik-Granulat auf Kunstrasenplätzen wird heiß diskutiert. Hintergrund ist der Umweltschutz. Die Stadt Potsdam kündigt bereits künftigen Verzicht an.

Von Tobias Gutsche

Potsdam - Stolz blickte Olaf Schaefer voraus. „Diese Veränderungen sind ganz wichtig für die Zukunft unseres Vereins“, sagte der Vorsitzende des FSV Babelsberg 74 vergangenes Jahr, als klar war, dass auf der FSV-Anlage an der Rudolf-Breitscheid-Straße ein alter Fußball-Kunstrasenplatz erneuert und das Naturfeld auch auf künstliches Grün umgestellt wird. Kostenpunkt aller Maßnahmen: rund eine Million Euro. Das Land und die Stadt erteilten hohe Förderungen, zudem steuerte der Verein nach eigenen Angaben selbst 150.000 Euro bei. Inzwischen erstrahlen die Plätze mit neuem Geläuf. Doch sind sie – und hunderte andere solcher Sportflächen – plötzlich in ihrer gegenwärtigen Existenz bedroht.

Fragwürdige Studie befeuerte die Diskussion

Die Europäische Union (EU) plant zum Umweltschutz ein Verbot von Mikroplastik. Die Prüfung beinhaltet dabei auch jenes Gummi-Granulat, das – wie beim FSV Babelsberg 74 – als Füllmaterial auf Kunstrasenplätze gestreut wird. Werden die kleinen Kügelchen durch Wind, Regen oder Anheften an Kleidung, Schuhen und Haut in die Natur getragen, könnten sie diese schädigen. Befeuert wurde die Debatte durch eine Studie des Fraunhofer Instituts. Deren Behauptung: Allein in Deutschland würden jährlich 8000 bis 11.000 Tonnen Mikroplastik von den Sportplätzen in die Umwelt gelangen. Mittlerweile räumt das Institut nach Kritik zwar ein, dass die Zahlen nur auf Schätzungen beruhen und demnach nicht wissenschaftlich fundiert sind, doch ist längst ein großer Wirbel um das aufgewirbelte Gummi entstanden. Ein mögliches Verbot der Mikroplastik im Sportgeschehen ab 2022 innerhalb der EU beunruhigt viele Vereine.

Auch der Fussballplatz der Potsdamer Kickers an der Kirschallee ist ein Kunstrasen mit Gummi-Granulat.
Auch der Fussballplatz der Potsdamer Kickers an der Kirschallee ist ein Kunstrasen mit Gummi-Granulat.

© Andreas Klaer

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) geht von mehr als 6000 Kunstrasenplätzen hierzulande aus, die dank ihrer größeren Widerstandsfähigkeit, besseren Wetterresistenz und ihres geringeren Pflegebedarfs von den Clubs sehr geschätzt werden. Laut Hersteller Polytan, dem Marktführer, sowie der RAL-Gütegemeinschaft Kunststoffbeläge in Sportfreianlagen sind etwa 3500 Plätze mit Gummi-Granulat verfüllt. Durch die Verwendung dieses Materials werden annähernd Eigenschaften wie auf Naturrasen erreicht und durch die gute Dämpfungswirkung auch das Verletzungsrisiko gesenkt. Alternativen zum Kugel-Kunststoff sind Befüllungen mit Kork, Sand, Hybridrasen (Mix aus Kunst- und Naturboden) oder Systeme ohne Verfüllung.

13 Kunstrasenplätze in Potsdam, 119 im märkischen Fußball-Spielbetrieb

Wie der Fußball-Landesverband Brandenburg auf PNN-Anfrage aufschlüsselte, sind in der Mark neben rund 100 Mini-Feldern, die dem Training dienen, derzeit 119 Kunstrasenplätze für den Wettkampfbetrieb gemeldet. Das entspricht einem Anteil von 11,5 Prozent des gesamten Bestands von Fußballstätten, die brandenburgweit für Liga- oder Pokalspiele zugelassen sind. Informationen zur jeweiligen Art der Befüllung liegen dabei nicht vor. Im Fußballkreis Havelland, zu dem Potsdam gehört, beträgt die Kunstrasenplatz-Anzahl 34.

Die Landeshauptstadt selbst listet derzeit 13 Kunstrasenanlagen im Stadtgebiet auf, wie den PNN mitgeteilt wurde. Neun Plätze sind mit Gummi-Granulat befüllt, ein Feld mit Quarzsand, passenderweise das auf der Sandscholle in Babelsberg. Die beiden Hockeyplätze an der Templiner Straße kommen gänzlich ohne Füllung aus. Stadtsprecher Markus Klier sagt, dass angesichts des bestehenden Mangels von Sportfreiflächen in Potsdam der Einsatz von Kunstrasenplätzen weiter verfolgt werde. Auch, weil damit bessere Auslastungsmöglichkeiten erreicht würden. Die Stadt habe sich aber bereits schon vor dem Hochkochen der Thematik dazu entschlossen, bei künftigen Vorhaben "auf den Einsatz von Gummi-Granulat zu verzichten“, so Klier. Der im Bau befindliche Kunstrasenplatz am Kuhforter Damm in Golm werde eine Quarzsandfüllung bekommen. Für die Zukunft sollen auch andere Füllstoffe wie etwa Kork-Granulat geprüft werden.

Falls Verbot: Bestandsschutz und lange Übergangsphase gefordert

Zu klären wäre im Falle eines Verbots auch die Finanzierung für die Umrüstungen auf alternative Varianten. Von pro Platz mehreren zehntausend Euro Sanierungskosten ist die Rede. Sollte letztlich ein Wandel durch die EU verlangt werden, hoffe Potsdam, „dass es dabei eine unterstützende Förderung seitens des Landes, des Bundes oder des Fußballverbands geben wird“, sagt Klier.

Die Frauenfußball-WM 2015 in Kanada wurde ausschließlich auf Kunstrasen gespielt - hier fliegt das synthetische Granulat.
Die Frauenfußball-WM 2015 in Kanada wurde ausschließlich auf Kunstrasen gespielt - hier fliegt das synthetische Granulat.

© Carmen Jaspersen/dpa

Der nationale Verband hat sich Anfang dieser Woche positioniert. Nach einer Konferenz erklärte Erwin Bugar, DFB-Vizepräsident für Sportstätten und Umweltfragen, dass man Handlungsempfehlungen für die Vereine vorbereite. Aber eines, so Bugar, sei klar: „Der DFB und seine Landesverbände fordern einen Bestandsschutz der in Betrieb befindlichen Kunstrasenplätze. Möglichst lange Übergangszeiten sind im Sinne hunderttausender Amateurfußballer und -fußballerinnen unerlässlich, um den Sportbetrieb nicht zu gefährden.“ Zuvor hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) schon im Interview mit der „Welt am Sonntag“ angekündigt, sich für eine Übergangsfrist von sechs Jahren für bestehende Kunstrasenplätze einsetzen zu wollen. Erwin Bugar betonte aber: „Gleichzeitig muss natürlich an nachhaltigen und bestmöglich umweltverträglichen Lösungen für die Zukunft gearbeitet werden.“ Für eine objektive Einordnung seien aber valide Zahlen notwendig.

Brandenburg prüft, ob Förderung solcher Plätze fortgesetzt wird

Hierbei ergreift in Deutschland die Firma Polytan, die auch in Brandenburg und Potsdam zahlreiche Plätze gebaut hat, sowie die RAL-Gütegemeinschaft die Initiative. Einerseits wird von ihnen erklärt, dass modernes Granulat nur noch zu 30 Prozent aus Synthetik-Kautschuk bestehe. Der Rest komme aus Naturstoffen wie zum Beispiel Hanf. Und zum anderen sei die Füllmenge durch die Verwendung einer elastischen Unterschicht über die Jahre bereits stark reduziert worden. Die Fraunhofer-Studie gehe von zwölf Kilogramm Granulat pro Quadratmeter aus. Realistisch seien aber nur fünf Kilogramm, bei neuesten Modellen sogar lediglich 1,7 Kilo. Die Erfahrungen der Hersteller würden zeigen, dass auf einem deutschen Kunstrasenplatz jährlich etwa 200 bis 350 Kilogramm Granulat nach der Abtragung wieder aufgefüllt werden müssen. Legt man die Fraunhofer-Zahlen zugrunde, müssten es drei Tonnen sein. Allerdings räumt Polytan ein, dass in anderen Ländern Europas oftmals ein nicht so strenger Standard gilt und die dortigen Granulatmengen daher größer sind.

Obwohl die eingehende Analyse und Entscheidung der EU noch ausstehen, haben in Deutschland bereits Bundesländer auf politischer Ebene Konsequenzen gezogen. So wurde von Baden-Württemberg wie auch Rheinland-Pfalz beschlossen, Kunstrasenplätze mit Gummi-Granulat nicht mehr weiter zu fördern. Und in Brandenburg? Wo über viele Jahre der Bau solcher Sportstätten mit etlichen Millionen Euro unterstützt wurde! Da prüfe man, „wie wir mit dem Sachverhalt weiter umgehen“, heißt es aus dem Ministerium für Bildung, Jugend und Sport.

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