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Kein Weißer in Sicht. Der Abstand deutscher Läufer zur Weltspitze der Marathonläufer hat nahezu ein kosmisches Ausmaß. Ein ehrgeiziges Projekt mit einem ehemaligen Potsdamer Coach soll den Rückstand etwas verkürzen.

© Foto: John MacDougall/AFP

Deutsche Marathonszene: Der Aufholjäger

Die deutsche Straßenlaufszene hängt im internationalen Vergleich weit hinterher. Das soll sich ändern - mit einem Förderprojekt, an dessen Spitze der frühere Potsdamer Marathontrainer Dieter Hogen steht.

Am vergangenen Sonntag ist die Laufwelt von Deutschland noch etwas mehr entrückt als sie es ohnehin schon war. Als der Kenianer Eliud Kipchoge den Berlin-Marathon mit neuem Fabel-Weltrekord von 2:01:39 Stunden beendete, hat sich der Abstand der aktuell besten deutschen Marathonläufer zur Weltspitze in eine nahezu kosmische Dimension verwandelt. Zwölf Minuten langsamer läuft der in diesem Jahr beste Deutsche hinterher – mehr als vier Kilometer Rückstand. Bei den Frauen sind die Abstände ähnlich. „Wir sind zu weit weg“, sagte Dieter Hogen am vergangenen Freitag im Rahmen der Pressekonferenz, bei der die Top-Läufer aus Ostafrika für den Berlin-Marathon vorgestellt wurden und kein deutscher Athlet genannt werden konnte, der auch nur annähernd im Bereich der Weltspitze laufen kann. Und genau er soll helfen, das zu ändern: Dieter Hogen, der ehemalige Lauftrainer des ASK Potsdam.

Der 65-Jährige kehrt zurück an seine Wurzeln, nachdem er 25 Jahre in den USA und Kenia gearbeitet und gelebt hat. Der Berliner Marathonveranstalter SCC Events hat ihn als Trainer zurückgewonnen für eine im Sommer gestartete Initiative, um den deutschen Straßenlaufsport wieder mehr Klasse und Format zu geben. „Wir wollen ein Marathon-Trainingsteam aufbauen und als größter deutscher Laufveranstalter einen aktiven Beitrag leisten“, sagt Mark Milde, Renndirektor des Berlin-Marathons. „Mit Dieter Hogen haben wir dafür einen sehr guten und renommierten Trainer gefunden.“

Hogen führte Uta Poppig in den Marathon-Weltelite

Hogen weiß, wie Weltklasse-Athleten geformt werden. Als er kurz nach dem Mauerfall mit seiner damaligen Athletin Uta Pippig zunächst nach Berlin und dann in die USA zog, begann er bald darauf, kenianische Läufer zu coachen. Uta Pippig wurde zu einer der weltbesten Straßenläuferinnen ihrer Zeit: Dreimal gewann sie den Boston-Marathon, dreimal in Berlin, einmal triumphierte sie in New York. Seine Athleten aus Kenia führte Hogen zu Siegen bei den großen City-Marathons in Boston und Chicago. Als sein Schützling Evans Rutto 2003 mit 2:05:50 Stunden in Chicago gewann, galt dies damals als das schnellste Marathon-Debüt. Er coachte den 3000-Meter-Weltrekordler Daniel Komen und die spätere Weltmeisterin Edna Kiplagat.

Der Kontakt nach Deutschland ist nie abgerissen. Allein durch die Verbindung zu den Renndirektoren der großen deutschen Marathons in Berlin und Frankfurt, bei denen seine kenianischen Athleten am Start waren, nahm er Notiz von der Entwicklung – oder eher Stagnation – der deutschen Laufspitze. Wenn er in Deutschland war, weilte er häufig in Potsdam, wo er engen Kontakt zu dem in diesem Jahr verstorbenen Lauftrainer Jürgen Bruns hielt. Während seiner Zeit beim ASK Vorwärts Potsdam hatte Hogen vor allem mit damals jugendlichen Athleten Erfolg und – wie er später rückblickend sagte – auch den meisten Spaß an seiner Arbeit. Zu den später erfolgreichsten Läufern zählte Jens-Peter-Herold, der in Seoul Olympiabronze über 1 500 Meter gewann und zu diesem Zeitpunkt vom Potsdamer Erfolgstrainer Bernd Dießner betreut wurde.

Während kenianische Läufer unter Hogens Trainingsregie an der Weltspitze liefen, blieben deutsche Straßenläufer quasi auf der Strecke. Es dauerte 27 Jahre, ehe vor zwei Jahren Arne Gabius den deutschen Marathonrekord verbessern konnte – auf 2:08:38 Stunden und damit fast exakt sieben Minuten vom neuen Weltrekord entfernt. Hogen habe sich in all den Jahren immer gefragt, ob es in Deutschland keine Talente mehr gebe; um es gleich selbst zu beantworten: „Das glaube ich nicht!“ Vor einigen Jahren hatte er auf dem Online-Portal leichtathletik.de betont, dass es an den Trainern liege „Spaß dabei zu finden, Talente zu entdecken und sie vorsichtig aufzubauen, ohne den Spaß am Sport zu vernachlässigen“. Gleichzeitig räumte er ein: „Ich bin selber mit schuld an der Situation des Laufsports hierzulande, denn ich mache selber nichts dafür, deutsche Talente zu entdecken und zu fördern“.

Gute Bedingungen - nur die Höhenluft fehlt

Nun übernimmt Hogen Verantwortung und warnt zugleich vor zu hohen Erwartungen. „Es bedarf vieler kleiner Schritte“, sagt er und spricht von zehn Jahren, die es unter Umständen dauern wird, um im Marathon weltweit den Anschluss zu schaffen. Die mittelfristigen Ziele für das neue Running-Team formuliert SCC-Events-Geschäftsführer Jürgen Lock so: „Wir wollen deutsche und europäische Spitze entwickeln.“

In angeregter Runde. Trainer Dieter Hogen (2.v.l.) mit seinen beiden Athleten Philipp Baar (2.v.r.) und Lisa Hahner gehören zu dem neuen ehrgeizigen Laufprojekt.
In angeregter Runde. Trainer Dieter Hogen (2.v.l.) mit seinen beiden Athleten Philipp Baar (2.v.r.) und Lisa Hahner gehören zu dem neuen ehrgeizigen Laufprojekt.

© Fritz Könnicke

Bereits im vergangenen Jahr weilte Dieter Hogen längere Zeit in Berlin, ist mit dem Rad viele Waldwege und Strecken in der Bundeshauptstadt und im Dreilinder Forst abgefahren. „Wir haben hier im Grunewald und im Berliner Umland hervorragende Bedingungen mit großen zusammenhängenden Trainingsgebieten für lange Läufe bis zu 40 Kilometern. Das Klima ist gut“, sagt er. Einzig die Höhe fehle, ansonsten seien alle Voraussetzungen gegeben, unter denen sich gut trainieren lasse und mit denen „man ganz seriös ein Team aufbauen kann“, so Hogen.

„Man will sich nicht mehr quälen“

Bislang sind es Lisa Hahner und Philipp Baar, die zu dem neuen Running-Team gehören. Erste zählt mit ihrer Zwillingsschwester Anna Hahner zu den derzeit besten deutschen Marathonläuferinnen. „Sie hat in den vergangenen drei Jahren ihr Potenzial angedeutet“, sagt Hogen. Nach überstandener Verletzung haben sie und Hogen vor wenigen Wochen die Zusammenarbeit begonnen. „Ich mag seine ruhige Art und wie er fürs Laufen begeistern kann“, sagt Lisa Hahner. Das Profil an Sportlern, mit denen Hogen zusammenarbeiten will, definiert er aus seiner jahrelangen Erfahrung: „Wir suchen Athleten, die von der Persönlichkeit und Einstellung für ihre Lebensweise bereit sind, unseren Weg mitzugehen“, sagt er.

Vor Jahren beklagte Dieter Hogen in einem Interview, dass der „Leistungsanspruch hier nicht mehr da ist. Man will sich nicht mehr quälen“. Und dennoch gab er sich überzeugt: „Wenn ich das Talent finden würde in Deutschland, würde es 2:03 Stunden laufen.“ Dass der Weg lang ist, ist nicht erst seit letztem Sonntag klar.

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