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Sport: Das „Kuscheltier“ noch unterm Schreibtisch

Udo Beyer, Potsdams Kugelstoß-Olympiasieger von 1976 und dreifacher Weltrekordler, wird heute 50 Jahre jung

Udo Beyer, Potsdams Kugelstoß-Olympiasieger von 1976 und dreifacher Weltrekordler, wird heute 50 Jahre jung Sein liebstes „Kuscheltier“ war hart und rund – und liegt noch heute unterm Schreibtisch seines Reisebüros in Zentrum-Ost. „Ab und an fasse ich das Eisen auch mal an“, gesteht Udo Beyer. Der Olympiasieger von 1976, zweifache Europameister und dreifache Weltrekordler im Kugelstoßen – vor fünf Jahren in der Landeshauptstadt zu „Potsdams Sportler des 20. Jahrhunderts“ gewählt – feiert heute an der Havel seinen 50. Geburtstag. „Anfangs habe ich die Kugel gehasst“, erinnert sich Beyer, der daheim in Eisenhüttenstadt bis 1969 Handball spielte und mit 13, 14 Jahren die gegnerischen Keeper als Torschütze vom Dienst mit harten Würfen erschreckte, ehe er 1969 Leichtathlet wurde. „Eigentlich wollte ich nämlich Hammerwerfer werden. Aber weil es an der Sportschule keinen Hammerwurf-Trainer gab, ließ ich mich überreden, und mein Trainer Fritz Kühl schaffte es, dass ich der Kugel viel Sympathie entgegen brachte.“ Dann gab es für ihn „nur noch hundert Prozent und nicht weniger“, sagt er. Und wer damals einmal sah, wie Udo Beyer das kalte Metall vorm Stoßen ans unrasierte Kinn bugsierte, es drehte und wendete wie ein Kleinkind sein Kuscheltier, der glaubt das unbesehen. Vielen gilt er als der technisch beste Kugelstoßer der Sportgeschichte. An die 150 000 Mal hat er in seiner langen Laufbahn das runde Sportgerät gen Himmel gewuchtet und dabei ein imposantes Kapitel deutsche Leichtathletik-Erfolgsgeschichte mit geschrieben. Die begann 1972 mit dem Spartakiadesieg, führte ihn schon ein Jahr später zum EM-Titel der Junioren und ins Nationalteam und bescherte ihm dann Erfolge und Medaillen in Serie. Am 24. Juli 1976 in Montreal wurde er als 20-jähriger sensationell Olympiasieger, düpierte alle Favoriten. „Ich weiß noch jede Kleinigkeit von dem Wettkampf“, sagt Beyer heute. „Welche Kugel ich benutzt habe, welche Schuhe ich an hatte, was ich zwischen den Stößen getan habe.“ Später wurde er zweimal Europameister (1978, 1982) und dreimal Weltcup-Sieger, schraubte er den Weltrekord dreimal auf zuletzt 22,64 m, wurde er trotz des starken Kontrahenten Ulf Timmermann vom TSC Berlin von 1977 bis 1987 elfmal in Folge DDR-Meister. An vier Olympischen Spielen nahm der 1,94 Meter große Modellathlet teil. Zur selben Stunde, als er 1980 in Moskau Bronze holte, gewann sein Bruder Hans-Georg mit den DDR-Handballern in einem denkwürdigen Finale gegen Gastgeber Sowjetunion Gold, zwei Tage später wurde Schwester Gisela Vierte im Diskuswerfen. Bei Olympia 1988 fand sich Udo Beyer auf Rang vier wieder, 1992 in Barcelona scheiterte er mit 18,47 m schon in der Qualifikation. „Da wurde mir so viel Mitleid entgegen gebracht, dass mir klar wurde: Es ist Zeit aufzuhören“, weiß er noch. Nun wird er also 50 – wie fühlt man sich da? „Nicht anders als vorher“, meint Beyer, der vor zehn Jahren sein Reisebüro eröffnete. „Das hört sich nach einem gewaltigen Schritt im Leben an, ist aber ein ganz normales Datum. Das Altern kann man halt nicht aufhalten“ Resümiert der Familienvater sein halbes Jahrhundert, nennt er als schönste Erlebnisse den Olympiasieg „und meine Hochzeit“. Zwei Wochen kannte er seine Rosi, als er ihr schon einen Heiratsantrag machte. Keinen Moment seines Lebens will der heutige Jubilar ausblenden, auch nicht den schmerzlichen Verlust seiner damals elfjährigen Tochter Sophia, die im Frühjahr 2001 an den Folgen eines angeborenen Herzfehlers starb. Er wurde schwer mit dem Tod der geliebten „Kleinen“ fertig, aber er stürzte sich in die Arbeit, hielt sich an Ehefrau Rosi – die beiden sind inzwischen 29 Jahre verheiratet – und Tochter Katja (26) fest, die jetzt mit in seinem Reisebüro arbeitet. So schaffte er es, wieder nach vorn zu denken. Auch die Bindung zum Sport ist dabei erhalten geblieben. Die Kugelstoß- Szene verfolgt Udo Beyer weiter mit großem Interesse, die (bronzene) Medaille des Neubrandenburgers Ralf Bartels bei den Weltmeisterschaften am Sonnabend in Helsinki – wo er selbst 1977 Europacup-Sieger und 1983 WM-Sechster wurde – hatte er richtig vorausgesagt; ebenso eine Siegerleistung „zwischen 21,50 und 21,80 Metern“ – Weltmeister Adam Nelson aus den USA kam auf 21,73 m. Und als Mitglied des SC Potsdam litt er am Sonntag förmlich mit den beiden Geherinnen Melanie Seeger (11.) und Sabine Zimmer (23.) mit. Udo Beyer selbst stößt heuer keine Kugel mehr, dafür fährt er jetzt leidenschaftlich gern Rad – ein vom befreundeten Olympiasieger Lutz Heßlich umgebautes Mountainbike. „Zwei-, dreimal die Woche bin ich mit meiner Frau unterwegs – und die fordert mich dabei ganz schön“, weiß der Ex-Leichtathlet zu berichten, der einen großen Wunsch hat: „Ich hätte gern ein Rennrad, aber bei meinem Gewicht von 135 bis 140 Kilo stößt das an physikalische Grenzen. Irgendwann wird es Lutz Heßlich aber vielleicht doch schaffen. Das wäre mein schönstes Geburtstagsgeschenk!“ Ob Beyers Wunsch schon heute in Erfüllung geht, wird sich am Nachmittag zeigen, bei der großen Gartenparty in Babelsberg. Mutter Evamaria und Vater Hans- Georg werden ebenso dabei sein wie die fünf jüngeren Geschwister Hans-Georg und Gisela, Angelika und Peter – beide einst ebenfalls Handballerin bzw. Handballer des ASK Frankfurt – und Gudrun, die 1992 als Physiotherapeutin der deutschen Fechter auch Olympia-Flair erlebte. Außerdem haben sich viele Freun- de und einstige sportliche Weggefährten wie sein früherer Schweizer Rivale Werner Günthör angesagt. Als einstiger Kapitän der DDR-Leichtathletik-Nationalmannschaft pflegt der Potsdamer noch immer enge Kontakte zu vielen damaligen Sportfreunden. So wird die von Frau und Tochter organisierte heutige Feier, zu der Beyer 50 bis 60 Gäste erwartet, zu einem mittleren Traditionstreffen ehemaliger Sportgrößen und anderer Prominenz werden. Denn Beyer gehört auch zu Potsdams Prominenten, kann sich immer noch kaum vor Einladungen retten und genießt seine Popularität durchaus. „Die hat mich nie gestört, und meine damalige Wahl zum Sportler des Jahrhunderts erfüllt mich mit Stolz. Das hat mich in meiner Ansicht bestärkt, dass ich meinen Sport immer nicht nur für mich selbst machte, sondern auch, um meinen Mitmenschen Freude zu bereiten.“ Der Gedanke, zum „50.“ selbst in die Ferne zu verschwinden, sei ihm nie gekommen, sagt der Reisebüro-Inhaber. „Ich finde Feiern viel zu schön, als dass ich ausrücken würde.“ Heute Vormittag will er trotzdem noch im Büro sitzen und Kunden bedienen – und vielleicht sein kleines Lieblings-„Kuscheltier“ unterm Tisch mal wieder kurz antippen.

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