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Asiens Beste vor Potsdams Kulisse. Die chinesische Diskuswerferin Yang Chen sorgte beim Werfertag für Staunen und einen Stadionrekord.

© Peter Könnicke

Chinesische Diskuswerferinnen machen Wettkampfstation in Potsdam: Weltklasse auf dem Sportplatz

Der Werfertag von Lok Potsdam ist ein liebenswerter Wettkampf. Alles ist an diesem Freitagabend perfekt, als sogar chinesische Diskusathletinnen in den Ring treten. Nur die deutsche Kugelstoß-Olympiasiegerin Astrid Kumbernuss fehlt.

Potsdam - Das Maßband zieht sich. Der Blechstreifen schmiegt sich über 60 Meter auf den grünen Rasen des Potsdamer Lok-Sportplatzes. „Stadionrekord“, ruft Klaus-Dieter Spey begeistert. Die neue Rekordinhaberin versteht nicht wirklich, was gerade passiert ist. Yang Chen lächelt freundlich, als Spey ihr mit hochgerecktem Daume signalisiert: „Klasse!“

Seit 20 Tagen tourt eine Delegation chinesischer Werferinnen durch Deutschland. Die deutsche Kugelstoß-Olympiasiegerin Astrid Kumbernuss navigiert die Weltklasse-Athletinnen aus Fernost zu Werfertagen nach Brandenburg/Havel, nach Halle oder Braunschweig. Ende Mai waren sie beim internationalen Diamond-League-Meeting in Stockholm, wo Yang Chen Dritte wurde mit 64,25 Metern. Der Lok-Sportplatz an der Berliner Straße in Potsdam, vorigen Freitagabend, ist die letzte Station der Chinesinnen, am Tag danach endet ihr Deutschland-Trip.

Internationaler Hauch in charmantem Ambiente

Es ist nicht ganz das diamantene Flair der Weltklasse-Meetings von Rom, Oslo, Monaco oder eben Stockholm. Um den Lok-Platz legt sich eine Aschenbahn, aufgeweicht von den starken Gewittergüssen der Vortage. Jürgen Claus, der Chef der Leichtathletiksparte des Eisenbahnersportvereins, steht zwischen Weitsprunggrube und Speerwurfanlauf auf frischem Kies. „Das ist neuer Tennenbelag“, sagt er und beschreibt ein Gemisch aus Sand und Lehm. 60.000 Euro hat das gekostet, die Hälfte dafür kam vom Land, die andere Hälfte hat der Verein bezahlt. Ein Tartanbelag wäre viel zu teuer gewesen. Dennoch schwärmt Claus lokalpatriotisch von einer „super Anlage“. 

Die drei Chinesinnen Yang Chen, Su Xingue und Bin Feng sind die Attraktion des Abends. Mitbekommen wird es niemand, Zuschauer sind nicht da. Und Bin Feng wird kurz vor dem Wettkampf verkünden, dass sie nicht mitmacht, weil sie sich nicht gut fühlt. „Wir hatten auch schon Werfer aus Neuseeland hier und aus Amerika“, sagt Spey. Der Lok-Werfertag ist als offizieller Wettkampf des Deutschen Leichtathletikverbandes ausgeschrieben, die Resultate finden sich in den nationalen und internationalen Ergebnislisten wieder. „Unser Werfertag wird ganz gern angenommen, um sich vor einer Meisterschaft noch einmal zu testen“, sagt Spey stolz, dann ergänzt er: „Von Altersklassen-Werfern.“ Also den Senioren.

Das China-Duo macht den Lok-Werfertag an diesem Freitagnachmittag international. „Fiftyseven ...“, liest Wolfgang Kreemke, die Lauf-Ikone des Vereins in seiner Funktion als Kampf- und Messrichter am Ende des Maßbandes ab. „Sprich mit mir Deutsch!“, ruft Spey, der seinen massigen Körper in einen Plastestuhl gedrückt hat, vor sich einen Campingtisch, auf dem er mit einem Kugelschreiber die Weiten in ein Wettkampfprotokoll einträgt. Spey ist elffacher Senioren-Weltmeister in verschiedenen Wurfdisziplinien. „Früher hab’ ich Stabhochsprung gemacht“, sagt er. 4,90 Meter sei er gesprungen. „Das sieht man heute nicht mehr“, sagt der 69-Jährige und verweist auf seine füllige Figur.

Auch der Potsdamer Henning Prüfer knackt den "Stadionrekord"

Die Freitagabend-Konkurrenz ist überschaubar. Um den Diskusring herum stehen eher lustlos ein paar Mädchen eines Zehlendorfer Sportvereins und versuchen, in sechs Durchgängen die Diskusscheibe auf den Rasen zu befördern. Es gelingt ihnen mehr schlecht als recht, nach jedem Versuch verlieren sie mehr und mehr die Lust. „Schaut mal hin, wie die das machen“, versucht Spey den müden Nachwuchs zu animieren und zeigt auf die beiden Chinesinnen. Yang Chen, amtierende Asienmeisterin, und Su Xingue donnern den Diskus konstant an die 60-Meter-Marke heran. Ein langes „Boah“ begleitet die Scheiben auf ihren Flugbahnen. Die altehrwürdige Lok-Werfer-Gilde ist fachkundig. Die älteren Herren, die ein paar Meter weiter an der Kugelstoßanlage schwere Eisenkugeln in den Sand wuchten, schauen immer wieder herüber, wenn die beiden Diskuswerferinen mit den roten Shirts in den Ring steigen. Auch Christa Helmke staunt: „Das ist schon fantastisch, mit solchen Sportlerinnen in einem Wettkampf zu stehen.“ Helmke ist 78 Jahre alt und erklärt, dass Diskuswurf ja eigentlich nicht so ihre Disziplin ist, sondern „der Speer“. Im März hat sie in Polen bei den Senioren-Hallenweltmeisterschaften die Goldmedaille gewonnen. 

Während auf der Havel hinter dem Lok-Sportplatz ein Partyfloß in den Abend tuckert, liefern sich die Diskus-Generationen einen ungleichen Wettkampf. Für Yang Chen protokolliert Klaus-Dieter Spey im vierten Durchgang euphorisch den neuen Platzrekord von 60,75 Meter. Eines der Zehlendorfer Mädchen bekennt nach ihrem vierten Fehlversuch: „Ich hab’ keinen Bock mehr.“ Christa Helmke wirft aus dem Stand. Und mitten drin in der Damenkonkurrenz dreht sich Henning Prüfer mit weit aufgerissenen Augen durch den Diskusring. Der 23-Jährige vom SC Potsdam ist von der Talentschmiede am Luftschiffhafen ans andere Ende der Stadt gekommen, um ein paar bessere Trainingswürfe zu machen. Der U20-Vizeweltmeister von 2014 kämpft inzwischen bei den Erwachsenen um den internationalen Anschluss. Die Diamond League ist weit weg. Mit 63,14 Metern in dieser Saison ist er derzeit der fünftbeste deutsche Diskuswerfer. Am Freitag wirft Prüfer 61,71 Meter. „Stadionrekord“, jubelt Klaus-Dieter Spey noch einmal. Noch zwei Tage später spricht er von einem wunderbaren Wettkampf. Nur dass Astrid Kumbernuss nicht da war, fand er schade.

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