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Brandenburger Fußball-Schiedsrichter: „Schiedsrichterei ist ein Leistungssport“

Jan Seidel ist Referee-Assistent in der 1. Fußball-Bundesliga. Eine fordernde Aufgabe. Ans Aufhören hat der Brandenburger, der einst selbst bei den Potsdamer Kickers spielte, trotz der üblichen Pöbeleien nie gedacht.

Sie werden verachtet, wenn sie eine falsche Entscheidung treffen, und sie werden auch gehasst, wenn sie eine richtige Entscheidung treffen. Sie polarisieren, denn Freud und Leid liegen für Tausende Fußballfans jedes Wochenende meist nur einen kurzen Pfiff weit auseinander. Die Schiedsrichter sind der Feind, gegen den gepöbelt wird, auf und neben dem Platz. Doch für Bundesliga-Schiedsrichterassistent Jan Seidel steht die Leidenschaft im Vordergrund, mit der er sich seinem eigenen Sport widmet – der Schiedsrichterei. Und diese Leidenschaft kann ebenso groß sein wie die Begeisterung der Fans auf den Rängen.

Ans Aufhören habe er nie gedacht, sagt Jan Seidel aus Oberkrämer (Oberhavel). Auch nicht in seinem ersten Jahr, als er mit 14 Jahren aus einer Idee seines Vaters heraus einen Lehrgang mitmachte. „Nur drei Wochen später war ich Schiedsrichter“, erzählt der gebürtige Berliner. Was das aber in der Praxis bedeutet, kannte er damals nur aus der Perspektive des Fußballers. An sein erstes Spiel als Unparteiischer in Beelitz erinnert sich Jan Seidel heute noch. Eine D-Jugend-Mannschaft habe er damals gepfiffen, die Spieler kaum jünger als er selbst. „Aber in diesem Alter sind es meist nicht die Spieler auf dem Feld, sondern die Eltern am Rand, die die Aggressivität reinbringen.“ Nicht wie viele andere, die bereits im ersten Jahr die Pfeife wieder an den Nagel hängen, blieb Seidel dabei. Wenig Zeit für Entwicklung bleibt gerade den jungen Schiedsrichtern, denn wer eine Perspektive nach ganz oben haben will, sollte mit 16 Jahren bereits Männerspiele in den unteren Ligen und mit 18 Jahren Partien auf Landesebene leiten. Den ständigen Prüfungsstress, dem die Referees ausgesetzt sind, sieht dabei kaum jemand. Auf dem Feld geht es den meisten nur darum, was richtig und was falsch ist. Inzwischen ist Seidel hinter dem Zossener Stefan Lupp, der für die Weltmeisterschaft in Brasilien nominiert ist, der am höchsten eingestufte Brandenburger Schiedsrichter.

Das Bauchgefühl ist besonders wichtig

„Doch Fußball ist nie nur schwarz oder weiß", meint der 29-Jährige, der seit eineinhalb Jahren in der höchsten deutschen Spielklasse an der Linie steht. In den vielen Graubereichen, in denen er entscheiden muss, sei das Bauchgefühl besonders wichtig. „Wenn ich als Assistent auch nur einen Restzweifel habe, lasse ich die Fahne lieber unten.“ Gerade das Zusammenspiel mit seinem Schiedsrichter müsse klappen. Mit Daniel Siebert und Harm Osmers hat er einen guten Rhythmus gefunden, der die Arbeit auf dem Platz erleichtert. „Man muss sich miteinander einspielen und ich muss wissen, was für ein Typ mein Hauptschiedsrichter ist." Je nach Typ und Spielverlauf müsse er sich anders an der Linie verhalten.

Jan Seidel ist nicht der Typ, der sich gerne in den Mittelpunkt stellt. Er ist der Ruhige, der die Anonymität des Assistenzdaseins mag. „Uns kennt außerhalb des Platzes so gut wie niemand, da geht es den bekannten Schiedsrichtern anders. Die werden auf der Straße schon einmal angesprochen." Vorrangig positiv, versichert Seidel, der für seinen Heimatverein Grün-Weiß Brieselang amtiert. Und auch wenn die Männer und Frauen an den Linien weniger häufig im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, hat sich ihre Rolle in den letzten Jahren doch verändert. Mehr Mitspracherecht der Assistenten an den Entscheidungen hat schon in so manch kniffliger Situation geholfen.

Er läuft 12 bis 13 Kilometer pro Spiel

Auf dem Platz verkörpere er eine Rolle, meint Seidel, der im vergangenen August im spanischen Sevilla seinen ersten Schiedsrichtereinsatz auf internationaler Bühne hatte. Die Rolle „Schiedsrichter“, die von ihm vor allem Durchsetzungsvermögen und sicheres Auftreten verlangt, aber ebenso auch Fingerspitzengefühl für die Situationen. „Wenn ich weiß, dass diese oder jene Mannschaft gerade im Abstiegskampf steckt, der Trainer vielleicht schon zur Diskussion steht, kann ich auch die Emotionen, die von der Bank kommen, viel besser einschätzen." Vorbereitung sei da das A und O, nicht nur was Tabellensituation und Taktikanalyse der Mannschaften betrifft. Auch körperlich müssen die Schiedsrichter topfit sein, denn die durchschnittliche Laufstrecke eines Bundesligaschiedsrichters liegt bei 12 bis 13 Kilometern pro Spiel.

Auf dem Platz ist da Ausdauer gefragt, an der Linie wird eher Schnelligkeit verlangt. „Ich muss immer auf der Höhe sein, weil schon ein halber Meter meine Perspektive verzerrt.“ Dass er sich regelmäßig Sprintduelle mit den schnellsten Bundesligaspielern liefert, gehört dazu. Dafür trainiere er drei bis vier Mal in der Woche, dazu kommen spezielle Schiedsrichtertrainingseinheiten. Und das alles neben seiner täglichen Arbeit als Bankkaufmann in der Investitionsbank Berlin.

Hilfreiche Erfahrungen für Berufs- und Privatleben

„Schiedsrichterei ist ein Leistungssport“, sagt Jan Seidel: sechswöchige Trainingspläne, Schiedsrichterlehrgänge nahezu jeden Monat und jedes Wochenende Fahrten durch das gesamte Bundesgebiet - die Zeit ist da immer knapp. Doch gerade Eigenschaften wie Durchsetzungs- oder Kritikfähigkeit kommen ihm auch im Berufs- und Privatleben immer mehr zugute. „Und außerdem kannst du als Schiedsrichter nie sagen, du hast verloren", meint Seidel, den die Kritik und die Hasstiraden gegen die Schiedsrichter nicht stören. Die besten Spiele seien für ihn immer, wenn die Stimmung gut ist, von ihm als Schiedsrichter aber niemand etwas will. „Aber es würde mir vermutlich auch fehlen, wenn die Emotionen im Spiel nicht mehr da wären", sagt Seidel lächelnd.

Und obwohl es sich für ihn leichter lebe, wenn er kein Fan von irgendeinem Verein ist, begeistert sich Jan Seidel für den deutschen Fußball und sitzt ebenso wie Millionen andere vor dem Fernsehbildschirm, wenn internationale Spiele anstehen. „Jedes Spiel ist für mich eine Weiterbildung." Und dann kann Jan Seidel in dem immer besser werden, was für ihn die wahre Leidenschaft am Fußball ausmacht: sein Leben als Schiedsrichter. 

Chantal Willers

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