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Erst lesen, dann Judo-Abc. Seit fünf Jahren helfen Trainer und Vereinsmitglieder des UJKC den Flüchtlingskindern in ihren Reihen beim Lernen.

© Knut Radowsky/UJKC

Brandenburger Deichmann-Förderpreis für UJKC Potsdam: Ohne Wissen kein Sport

Im Potsdamer Judoverein UJKC lernen Flüchtlingskinder nicht nur kämpfen. Ein ausgezeichnetes Projekt.

Potsdam - Ramsan Baliev ist voller Überzeugung, dass er irgendwann Olympiasieger wird. Der 14-jährige Judoka und Potsdams Nachwuchssportler des Jahres 2018 strotzt vor Selbstbewusstsein, glaubt an den ganz großen Erfolg und dass er dann ein gemachter Mann ist. In Tschetschenien, seinem Herkunftsland wäre das so. In der nordkaukasischen Republik hat Judo einen ganz anderen Stellenwert als in Deutschland, wo es die Kampfsportart allenfalls zu medialer Wahrnehmung schafft, wenn ein Kämpfer für Schwarz-Rot-Gold im olympischen Finale kämpft.

Dass mit Judo in Deutschland kein Geld zu verdienen und es daher wichtig ist, eine ordentliche Schulausbildung zu haben, ist einer wertvolle Lektion, die Ramsan Baliev lernen musste. Beigebracht hat ihm diese Conny Radowsky, die vor fünf Jahren bei UJKC das Projekt „Wir kämpfen gemeinsam!“ mitinitiierte, bei dem Kindern von geflüchteten Familien beim Lernen geholfen wird.

Für sein Engagement erhielt der UJKC am gestrigen Donnerstag den Deichmann-Förderpreis. Den Scheck für das Preisgeld in Höhe von 1000 Euro überreichten Brandenburgs Sportministerin Britta Ernst (SPD) und Ulrich Effing, Projektleiter des Förderpreises.

Vor dem Training wird gemeinsam lesen, schreiben und rechnen geübt

Gemeinsam mit Elf-und Zwölfklässlern der Potsdamer Sportschule holt Conny Radowsky 25 Flüchtlingskinder vor dem Judo-Training auf die Tatami, um mit ihnen lesen, schreiben und rechnen zu üben. Conny Radowsky, deren beide Kinder selbst auf die Sportschule im Luftschiffhafen gehen und beim UJKC trainieren, hat aufmerksam beobachtet, dass es an vielen Dingen fehlte, als vor einigen Jahren vermehrt Flüchtlingskinder in der Trainingshalle des UJKC auftauchten. Vor allem tschetschenische Kinder standen auf der Matte – unter den Geflüchteten aus dem Nordkaukasus spricht es sich schnell herum, wo in Potsdam Kampfsport trainiert werden kann. „Das geht rum wie ein Lauffeuer“, weiß Conny Radowsky.

Für UJKC-Cheftrainer Mario Schendel ist der junge Ramsan Baliev eines der größten Talente, das der Verein in den vergangenen Jahre hatte. Generell seien die tschetschenischen Kinder in ihrer motorischen Entwicklung für einen Zweikampfsport viel weiter als deutsche Kinder im gleichen Alter. „Das hat viel mit der Tradition von Kampfsportarten in Ländern wie Tschetschenien zu tun“, meint Schendel. Doch würde es für Ramsan Baliev nicht die vielversprechende sportliche Perspektive geben ohne das Lern- und Schulprojekt des UJKC. „Er wäre an unserem Leistungssportsystem mit Sportschule als wichtigen Baustein gescheitert“, sagt Schendel. Denn die Aufnahme an die Sportschulen setzt ein hohes schulisches Niveau voraus, das Ramsan Baliev ohne die Lese- und Mathestunden auf der Judomatte nicht erreicht hatte. Er war in diesem Jahr der erste aus der UJKC-Gruppe der Flüchtlingskinder, der es an die Sportschule geschafft hat – für die sieben Schulplätze, die ab der 7. Klasse an junge Judoka vergeben werden, gab es mehr als 50 Bewerber weit über die märkischen Landesgrenzen hinaus.

Vermittlung wichtiger Werte im sportlichen und schulischen Bereich

Für Conny Radowsky ist es ein Erfolg, dass Ramsan Baliev den Sprung auf die Sportschule geschafft hat. „Das spornt auch die anderen an“, sagt die 46-jährige freiberufliche Korrektorin. „Unser Ziel ist, dass wir jedem mindestens einmal pro Woche bei den Hausaufgaben helfen oder auf spielerische Art und Weise das Lesen und Rechnen beibringen“, sagt Conny Radowsky. Erst wenn die Aufgaben erledigt sind, darf trainiert werden. Neben den schulischen Aspekten geht es auch darum, dass den Kindern Werte vermittelt werden, die dem Judo eigen sind und zum gesellschaftlichen Miteinander gehören. „Achtung, Pünktlichkeit, Ordnung, Respekt gegenüber Frauen, Hilfsbereitschaft, Fairness, Höflichkeit“, sagt die ehrenamtlich tätige Pädagogin. Besonders freut sie sich, dass seit einem halben Jahr zum ersten Mal ein Mädchen aus Tschetschenien beim UJKC trainiert. „Das ist für diesen Kulturkreis ein enormer Schritt, dass ein Mädchen Kampfsport macht“, sagt sie.

Für Brandenburgs Sportministerin Britta Ernst ist das Projekt des UJKC eine gute Antwort auf die Frage, die sich mit der großen Flüchtlingswelle 2015 stellte: Wie kann und soll Integration aussehen. Dass der Sport bei dieser Aufgabe eine große Rolle spielen könne, wurde damals viel zitiert und betont. Der UJKC habe sich der Aufgabe gestellt und verantwortlich gezeigt. Wie schwierig das ist, hat das Schuh-Unternehmen Deichmann selbst erfahren. Deichmann habe 2015 viel für Integration von Geflüchteten getan und „über das Budget an Ausbildungsplätzen Azubis eingestellt“, erzählte Projektleiter Ulrich Effing. „Das hat nicht immer funktioniert, weil sich die sprachlichen Barrieren als großes Problem darstellen“, so Effing.

Beim UJKC wurde dafür ein Schlüssel gefunden: Über die gemeinsame Sprache des Sports wird Vertrauen gewonnen, Wissen und Verständnis vermittelt.

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