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Einer der ersten Turbine-Importe. Natalia Bunduki kam 1994 zu Turbine Potsdam. Bevor sie ihre Fußballkarriere startete, war die Moldawierin im Speerwurf aktiv.

©  PNN-Archiv

45 Jahre Turbine Potsdam: Aus einer Schnapsidee wird eine Erfolgsgeschichte

Auf der Betriebsfeier des VEB Energieversorgung wurde Ende 1970 angeregt, eine Frauenfußball-Mannschaft in Potsdam zu gründen. Das geschah dann am 3. März 1971: Turbine entstand. 45 Jahre später, im Jahr einer großen personellen Zäsur, feiert der Verein Jubiläum.

Wer in seiner Historie mehrfacher deutscher Meister geworden ist, nationale und internationale Pokale gewonnen hat, gehört zweifelsfrei zu den Besten seines Fachs. Der 1. FFC Turbine Potsdam kann das mit Fug und Recht von sich behaupten. Er ist einer der erfolgreichsten Frauenfußballclubs in Deutschland. Die nationale Bilanz des Vereins, der 2005 den Uefa-Womenscup sowie 2010 die Champions League gewann und damit zweimal auf Europas Thron saß, ist ellenlang. Die Frauen bringen es auf sechs deutsche Meisterschaften, drei Pokalsiege, sieben Hallencups sowie zu sechs DDR-Meisterschaften. Mit zehn Meistertiteln bei den B-Juniorinnen ist Potsdam sogar deutscher Rekordmeister.

Am kommenden Freitag wird nun bei einer Festveranstaltung im Filmpark Babelsberg das 45-jährige Bestehen des Vereins gefeiert. Es mag zwar kein runder Geburtstag sein, aber dennoch ist dieses 45. Jahr ein ganz besonderes. Denn es bringt eine große personelle Zäsur mit sich: Bernd Schröder – der Mann, der Turbine groß machte – wird nach dieser Saison seine Cheftrainertätigkeit bei dem Brandenburger Club beenden und soll vom jetzigen Assistenzcoach Matthias Rudolph beerbt werden.

Bernd Schröder nimmt das Projekt Turbine-Frauen in die Hand

Die Geschichte von Turbine Potsdam begann mit einer handgeschriebenen Mitteilung am Schwarzen Brett in der Hauptverwaltung des einstigen VEB Energieversorgung. „Gründen Frauen Fußball Mannschaft. Bitte melden. 3. März 1971. 18 Uhr im Klubhaus ,Walter Junker’. BSG Turbine Potsdam Sektion Fußball“ stand darauf. Dieser Zettel hing dort unbehelligt seit der Jahreswende. Wer genau ihn aufgehängt hatte, ist unklar. Die Idee zur Gründung – das ist eindeutig überliefert – entstand auf der Betriebsfeier Ende 1970. Dort wurde viel getrunken, diskutiert und kritisiert. Auch das schwache Abschneiden des männlichen Fußballteams. Also sollten sich mal die Frauen probieren.

An besagtem 3. März kam Bernd Schröder – damals ein 29-jähriger Strohwitwer aus Freiberg – gerade vom Abendessen aus der Kantine und sah die versammelten Damen. Etwas ratlos wirkten sie, wussten nicht genau, wie es nun weitergehen sollte. „Es waren so viele junge Frauen da. Die konnte ich nicht hängen lassen, als ich gefragt wurde“, begründet der einstige Torhüter von Lok Leipzig und Stahl Silbitz, warum er die Sache in die Hand nahm. Schon am Abend darauf fand das erste Training mit 38 Frauen in der Sporthalle der damaligen Straße der Jugend statt. Aus der Schnapsidee wurde Ernst.

Immer auf der Suche nach Talenten

Fortan stand Schröder im Zwiespalt seiner Gefühle. Er wollte niemanden als untalentiert aussortieren, wusste aber auch, dass nur ein gewisses Engagement zum Erfolg führen würde. Deshalb nahm er seine Schützlinge in der Folge hart ran. Bei der Spiel-Premiere am 25. Mai 1971 gab es in Tangermünde ein 3:0. Am 12. Juni die erste Heimpartie, wieder gegen Tangermünde: Turbine siegte 5:1. Erst Ende des Jahres folgte mit dem 1:2 in Halberstadt die erste Niederlage im 13. Match. Ein Jahr später gewann Potsdam die erstmals ausgespielte Bezirksmeisterschaft, 1981 folgte DDR-Titel Nummer eins.

Schröder war ständig auf der Suche nach Talenten. Dabei konzentrierte er sich gern auch auf Leichtathletinnen, die von den Kaderschmieden aussortiert wurden. Die Läuferin Sabine Seidel etwa wurde nach intensiven Lockrufen eine starke Rechtsaußen und war später in zahlreichen Funktionen für Turbine aktiv: als Platzwartin und Mädchentrainerin.

Turbine macht nach dem Mauerfall auf sich aufmerksam

Eine sehr gute Mannschaft zu formen, war stets der Anspruch von Bernd Schröder. Daher blieb er auch beim Werben um neue Spielerinnen hartnäckig. Simone Römhold (später Thomas, danach Diestel) war so eine, die er unbedingt an die Havel locken wollte. Mit seiner gehobenen Position im Kombinat konnte er gut Arbeitsplätze und Wohnungen besorgen, Geld allerdings war knapp und jedwede Eigeninitiative gefragt. Bei einem Hallenturnier überzeugte Schröder schließlich die damals 17-jährige Mittelstürmerin von Motor Halle. An ihre erste Reise zu Turbine im Februar 1983 erinnert sich die spiel- und laufstarke Akteurin noch genau: „Der Bus von Halle nach Potsdam hat an 167 Stationen gehalten. Ich habe genau mitgezählt.“ Schröder war froh, sie für seine Elf gewonnen zu haben. „Simone“, erzählt er, „wurde eine unserer Schlüsselspielerinnen mit dem unbedingten Willen zum Siegen.“

Nach dem Fall der Berliner Mauer wurde zum 1. Januar 1990 die BSG in den SSV Turbine Potsdam überführt. Der düpierte wenige Tage später beim ersten Auftritt im Westen die gesamte Elite mit seinem Hallenturniersieg in Hagen. Man wurde auf die Spielerinnen aus Potsdam aufmerksam. Turbine litt darunter mehrere Jahre, denn die Grenzöffnung machte den Weg gen Westen interessant, nach Osten zog es hingegen zunächst niemanden.

Der Potsdamer Club sammelt Titel in Serie

Im Jahr 1994 gelang dann der Aufstieg in die Nordstaffel der Bundesliga, drei Jahre später wurde die Qualifikation für die neu eingeführte eingleisige erste Liga gepackt. 1999 verselbstständigten sich die Potsdamer Fußballerinnen zum 1. FFC Turbine, der 2004 seine erste gesamtdeutsche Meisterschaft gewann. In der nächsten Dekade folgte mindestens ein Titel pro Jahr, wodurch sich der Club bundes- und europaweit große Anerkennung erarbeitete.

Viele deutsche Top-Kickerinnen – wie die Weltfußballerinnen Nadine Angerer und Nadine Kessler – trugen in der Vergangenheit das Turbine-Trikot. Aber auch zahlreiche internationale Kräfte. Den Anfang machten 1994 die Russin Veronika Pimenova sowie Natalia Bunduki – eine Moldawierin, die zuvor Speerwerferin war. Später waren es Asse wie Cristiane aus Brasilien, die Japanerin Yuki Ogimi (früher Nagasato) und Genoveva Anonma aus Äquatorialguinea.

Turbine-Kickerinnen holten bislang neun olympische Medaillen

Nicht nur von Turbines Erfolgen als Verein weiß daher Bernd Schröder mit Stolz zu berichten, sondern auch von der Bilanz seiner Spielerinnen in ihren jeweiligen Auswahlteams: „Bisher haben 20 deutsche A-Nationalspielerinnen unser Dress getragen. Dazu kommen A-Nationalspielerinnen aus insgesamt 24 Nationen. Turbine-Fußballerinnen haben neun olympische Medaillen gewonnen.“

Einst in der Abwehr, jetzt im Kassenhäuschen: Lesen Sie hier einen Artikel über Giesela Liedemann - eine Turbine-Fußballerin der ersten Stunde, die ihrem Verein auch heute noch eng verbunden ist. 

Rainer Hennies

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