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Ukrainische Soldaten fahren auf einem gepanzerten Mannschaftswagen (APC) auf einer Straße in der östlichen Region Luhansk nahe Bachmut (Symbolbild)

© AFP/Anatolii Stepanov

„Sjewjerodonezk war die Hölle auf Erden“: Ukrainische Soldaten schildern das Grauen an der Front

Fehlende Munition, Unterernährung, Schlafentzug und viele Tote: Ukrainische Soldaten berichten von ihren Erfahrungen bei der Schlacht um die Region Luhansk.

Nachdem die russischen Truppen die ostukrainische Region Luhansk unter ihre Kontrolle gebracht haben, suchen viele Verteidiger:innen Schutz in Bachmut im Gebiet Donezk oder sammeln Kraft für die nächste Schlacht, während Russland seine Offensive im Donbass fortsetzt. Bachmut liegt 64 Kilometer südwestlich von der durch Russland besetzten Stadt Sjewjerodonezk. Dort hat die Nachrichtenagentur AP mit einigen ukrainischen Soldat:innen über ihre Erfahrungen an der Front gesprochen.

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„Wenn es irgendwo eine Hölle auf Erden gab, dann in Sjewjerodonezk“, schildert etwa Artem Ruban der AP die Lage an der Front. Etwa drei Wochen lang kämpften die ukrainischen Truppen in Sjewjerodonezk einen immer aussichtsloser werdenden Kampf gegen die russischen Angreifer. „Das waren keine menschlichen Bedingungen“, fügte der Soldat hinzu. „Die innere Stärke unserer Jungs hat es ihnen ermöglicht, die Stadt bis zum letzten Moment zu halten.“

Sein stellvertretender Kommandeur betrachtet den Kampf um Sjewjerodonezk trotzdem als „Sieg“. Den Verteidigern sei es gelungen, die Verluste in der ehemaligen Frontstadt zu begrenzen und den russischen Vormarsch länger als erwartet aufzuhalten. „Ihre Armee erlitt enorme Verluste, und ihr Angriffspotenzial wurde ausgelöscht“, erklärt Leutnant Wolodymyr Nazarenko seine Einschätzung. Doch nun gleiche die Stadt nur noch einer „niedergebrannten Wüste“.

Sowohl der Leutnant als auch der ihm unterstellte Soldat zeigten sich zuversichtlich, dass die Ukraine alle besetzten Gebiete zurückerobern und Russland besiegen werde. Sie betonten, dass die Moral weiterhin hoch sei. Doch nicht alle ukrainischen Soldat:innen, mit der die Nachrichtenagentur AP in Bachmut geredet hat, sind so zuversichtlich. Sie wollen ihre vollen Namen nicht nennen.

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Fehlende Munition und psychische Herausforderungen

„Im Fernsehen zeigen sie schöne Bilder von der Front, der Solidarität, der Armee, aber die Realität sieht ganz anders aus“, sagt etwa Oleksiy. Seinem Bataillon sei schon nach wenigen Wochen im Kampf die Munition ausgegangen. Auch die nun angekündigten Waffenlieferungen aus dem Westen könnten am derzeitigen Kriegsverlauf nichts ändern, glaubt der Soldat.

Alleine in den ersten drei Tagen im Kampf hätte seine Einheit 150 Soldaten verloren. Viele von ihnen seien an Blutverlust gestorben, da sie – aufgrund der ununterbrochenen Angriffe – nicht abtransportiert werden konnten. Oleksiy spricht gegenüber der Nachrichtenagentur aber auch von psychischen Herausforderungen. „Den Kommandanten ist es egal, ob du psychisch kaputt bist. Wenn du ein funktionierendes Herz hast, wenn du Arme und Beine hast, musst du zurückgehen.“ Nach eigenen Aussagen kämpft er seit 2016 gegen die prorussischen Separatisten.

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Zwei ehemalige Büroangestellte aus Kiew, die sich erst nach Beginn des russischen Angriffskrieges der Armee angeschlossen haben, attestieren den ukrainischen Streitkräften eine „schreckliche Organisation“ und „unlogische Entscheidungen“. Viele Kamerad:innen hätten sich an der Front geweigert zu kämpfen. Einer von ihnen fügte hinzu, er rauche täglich Marihuana. „Sonst würde ich den Verstand verlieren und desertieren. Das ist die einzige Möglichkeit, wie ich damit zurechtkomme.“

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„Es ist hart, unter ständigem Stress zu leben, unter Schlafentzug und mit Unterernährung“, sagt auch ein ehemaliger Lehrer aus Slowjansk. „All diese Schrecken mit eigenen Augen zu sehen – die Toten, die abgerissenen Gliedmaßen. Es ist unwahrscheinlich, dass die Psyche eines Menschen das aushalten kann.“ Trotzdem sei seine Motivation, die Ukraine zu verteidigen, ungebrochen, bekräftigt er im Gespräch mit AP.

„Wir sind die Nachkommen von Kosaken, wir sind frei und mutig. Das liegt uns im Blut“, sagt Mariia. Die 41-Jährige kommandiert einen Zug aus etwa 40 Soldat:innen. Nach eigenen Angaben ist die ehemalige Anwältin 2018 in die ukrainische Armee eingetreten. Ihr Mann kämpfe derzeit an der Front. „Wir werden bis zum Ende kämpfen.“ (Tsp)

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