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Ost-westdeutsche Medienbiografie. Christoph Singelnstein, 65.

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RBB: Abschied von Christoph Singelnstein: Der Intellektuelle

Eine Ära zwischen Ost und West, zwischen crossmedialem Aufbruch und „Schnitt-Affäre“: RBB-Chefredakteur Christoph Singelnstein geht in den Ruhestand.

Neues Medienhaus, neue Programme, neuer Staatsvertrag – man hat das Gefühl, dass beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) derzeit kaum ein Stein auf dem anderen bleibt. Von daher passt das vielleicht schon, dass in zwei Tagen der Chefredakteur geht. Christoph Singelnstein wechselt mit 65 in den Ruhestand. Damit endet eine der interessantesten ost-westdeutschen Medienbiografien der jüngeren Vergangenheit, mit allen Höhen und Tiefen, den so ein Transformationsprozess vom studierten Theaterwissenschaftler über DDR-Rundfunk und ORB hin zum RBB mit sich bringt.

Grund genug für Singelnsteins Sender, dem Scheidenden am Dienstagabend 45 Minuten Sendezeit und prominente Laudatoren einzuräumen. Mit Abendschau“-Moderator Sascha Hingst und Menschen, denen Singelnstein als Journalist, Kollege, Konkurrent oder politischer Kopf begegnet ist. („Streitbar – Kantig – Unabhängig“, RBB, Dienstag, 23 Uhr 30)

Wer geglaubt hat, das könnte eine Kuschelsendung von Kollege zu Kollege werden, hat Christoph Singelnstein auch in diversen Rundfunkratssitzungen nicht erlebt. Der über sich selbst gleich zu Anfang der Sendung sagt: „Ich bin ein streitbarer Mensch, habe einen eigenwilligen Kopf.“

Den hat es bei allen Friktionen auch gebraucht, anfangs zwischen West und Ost, später zwischen alten und neuen IntendantInnen, zwischen linearem Fernsehen/Rundfunk und neuen Verbreitungswegen. „Das Arbeitsleben von Christoph Singelnstein war voller Umbrüche und Wenden“, sagt RBB-Intendantin Patricia Schlesinger. „Singelnstein war der erste crossmediale Chefredakteur in der ARD und ein Garant dafür, dass in unserer Berichterstattung auch gegen den Mainstream gebürstet wird.“

DDR-Journalisten, „die nicht beschmutzt waren“

Vor seiner zwölfjährigen Zeit als Chefredakteur beim RBB half Singelnstein, den ostdeutschen Rundfunk abzuwickeln, eine Kraftprobe für den „Intellektuellen“, wie ihn Matthias Platzeck, bekannt aus gemeinsamen Bürgerbewegungs-Zeiten, nennt. 1955 in Greifswald geboren, kam der studierte Theaterwissenschaftler 1982 zum Rundfunk der DDR und war dort Hörspiel-Dramaturg. Im August 1990 wurde er von Lothar de Maizière zum geschäftsführenden Intendanten des Rundfunk der DDR berufen.

1991 die Chefredaktion von Radio Brandenburg, dem Kultur- und Informationsprogramm des Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg (ORB). Fünf Jahre später Chefredakteur von Antenne Brandenburg, dann 2009 RBB-Chefredakteur.

Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse beschreibt Singelnstein als einen der wenigen DDR-Journalisten, „die nicht beschmutzt waren“ und die sowohl die Erfahrung als auch den „Mut hatten, sich in das Neue zu stürzen, eine neue Rundfunkanstalt umzustrukturieren, aufzubauen.“

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Wobei Singelnstein nicht alles gelang. Negativer Höhepunkt: das scharf kritisierte Sommerinterview mit Brandenburgs früherem AfD-Chef Andreas Kalbitz am See 2020, wonach der Chefredakteur entschied, im RBB künftig keine Sommerinterviews mehr zu bringen. Dazu 2013 die „Schnitt-Affäre“, mit viel Unmut in der Belegschaft: Singelnsteins Entscheidung, im Nachhinein einen in „Brandenburg Aktuell“ gesendeten TV-Beitrag um eine Frequenz kürzen zu lassen, die Ministerpräsident Platzeck bei einem öffentlichen Termin zum Pannen-Flughafen BER betraf. Das waren publizistisch nicht gerade die besten Eindrücke, die der RBB hinterlassen hat.

Das wird, mindestens, von der Ära Singelnstein bleiben. Und wahrscheinlich tut man dem SPD-Mitglied damit unrecht, der nach außen immer ein wenig mürrisch wirkt. Ruhestand des Charakterkopfes? Schwer vorstellbar. Ganz zurückziehen will sich der Journalist auch nicht. Er bleibt dem RBB als Berater erhalten. Neuer Chefredakteur des RBB wird zum 1. April David Biesinger, Leiter des Inforadios und der Abteilung Multimediale Information.

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