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Obdachlos. Wolfgang E. nach der Räumung in der Wohnung des Nachbarn.

© A. Klaer

Landeshauptstadt: Zwangsräumung vor Weihnachten

Mietschulden: Ein 64-Jähriger verlor am Donnerstag seine Wohnung. Das Obdachlosenheim lehnt er ab

Am Schlaatz - Fünf Tage vor Weihnachten ist die Wohnung eines 64-jährigen Mannes in Potsdam zwangsgeräumt worden. Angebote von verschiedenen Seiten, zum Obdachlosenheim Am Lerchensteig gefahren zu werden, lehnte der offenbar alkoholkranke Betroffene ab. Gegenüber den PNN sagte Wolfgang E. am späten Nachmittag strikt: „Eher sterbe ich!“ Er kündigte an, die Nacht unter freiem Himmel verbringen zu wollen. Der Mann ist gehbehindert und auf einen Rollator angewiesen. Nach eigenen Angaben leidet er unter Polyneuropathie, eine bestimmte Erkrankungen des peripheren Nervensystems.

Im Winter im Freien zu übernachten kann lebensgefährlich sein. In Potsdam und seinem Umland sind in der Vergangenheit bereits mehrere Obdachlose bei kalten Nachttemperaturen erfroren (siehe Kasten). Im Winter besteht für Obdachlose grundsätzlich die Möglichkeit, im Obdachlosenheim Am Lerchensteig im Potsdamer Norden Schutz vor der Kälte und eine Übernachtungsmöglichkeit zu finden

Wolfgang E. befand sich am Donnerstag gegen 11 Uhr gerade bei einem Nachbarn, der im selben Hausflur wohnt. Da öffnete eine Gruppe von Leuten – „mindestens zehn Mann“, wie der Betroffene sagte – seine Wohnung in der Straße Sperberhorst im Wohngebiet Am Schlaatz und wechselten das Türschloss aus. Bei der Räumung der Plattenbau-Wohnung waren auch ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung, Bereich Wohnen, und ein Mitarbeiter des sozialpsychiatrischen Dienstes anwesend, wie Stadtsprecher Jan Brunzlow am Donnerstag auf PNN–Anfrage mitteilte. Die beiden städtischen Verwaltungsbereiche seien „seit Monaten mit dem Fall beschäftigt, leider ohne Erfolg“, so der Stadtsprecher. Zahlreiche Hilfsangebote seien in den vergangenen Monaten unterbreitet worden, erklärte Brunzlow, „leider sind diese immer vom Betroffenen selbst abgelehnt worden“.

Offenbar sieht die Stadtverwaltung keine Möglichkeit, den Mann gegen seinen Willen von einer Übernachtung im Freien abzuhalten. Der Stadtsprecher: Der Mann „gilt als geschäftsfähig und trägt die Verantwortung für sein Leben selbst. Er kann somit weder zur Annahme der Hilfe noch in eine Therapiemaßnahme oder eine Notunterkunft gezwungen werden.“ Er habe auch am gestrigen Donnerstag jegliche Hilfe abgelehnt.

Der Termin der Zwangsräumung kurz vor dem christlichen Weihnachtsfest ist nach Angaben des Stadtsprechers vom Gerichtsvollzieher nach einem gerichtlichen Beschluss festgelegt worden: „Darauf haben wir keinen Einfluss.“ Der Sprecher des Vermieters Deutsche Wohnen, Julian Pinnig, sagte den PNN, die Zwangsräumung sei bereits im September beantragt worden: „Das timen wir nicht.“ Die Räumung selbst sei aus Sicht des Vermieters unvermeidbar gewesen – auch mit Blick auf die anderen Mieter im Haus. Die Wohnung des Betroffenen habe „extrem gerochen“, es habe Beschwerden darüber gegeben, dass „Wasser und Urin in die Wohnung darunter gelaufen ist“, sagte Pinnig. Es handele sich „um einen bedauerlichen Fall“, so der Sprecher weiter, „und wir machen es uns auch nicht leicht“. Ferner habe Wolfgang E. große Mietrückstände bei der Deutschen Wohnen, die über 90 000 Wohnungen verwalten, den Großteil in Berlin. Der nun von der Räumung Betroffene habe seit über einem Jahr keine Miete mehr bezahlt. Wohnberater des Unternehmens hätten lange versucht, mit dem Betroffenen eine Lösung zu finden. „Das hat alles nichts gebracht“, sagte der Sprecher und ergänzt: „Wir hatten keine Wahl mehr.“ Die Wohnungsräumung sei zum Schutz der anderen Mieter notwendig gewesen.

Wolfgang E. selbst bestreitet, Mietschulden zu haben. Er zeigte den PNN seine Kontoauszüge, aus denen hervorgehen soll, dass ihm nur die Mittel zur Grundsicherung vom Arbeitsamt überwiesen werden. Das Wohngeld werde direkt an den Vermieter entrichtet, sagte der nun Obdachlose. Zu seinem früheren Berufsleben erklärte Wolfgang E., er sei zu DDR-Zeiten Offizier „im Ministerium des Innern“ gewesen. Nach der Wende habe er in einem Kiosk gearbeitet. In der nun geräumten Wohnung habe er 15 Jahre lang gewohnt.

In den letzten Jahren hat es in Potsdam eine steigende Zahl von Kündigungen durch Vermieter als auch von angesetzten Zwangsräumungen gegeben. Wurden der Stadtverwaltung zufolge im Jahr 2010 noch 153 Zwangsräumungen angekündigt, waren es im Jahr 2011 bereits 197. Allein in der ersten Hälfte von 2012 waren es schon 104.

Am Donnerstagabend teilte der Flurnachbar den PNN mit, Wolfgang E. habe erklärt, er werde die Nacht im Keller des Plattenbaus verbringen.

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