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Erfahrungen weitergeben. Bodo Platt ist Sprecher der Zeitzeugen-Initiative am ehemaligen KGB-Gefängnis in der Leistikowstraße.

© Andreas Klaer

ZUR PERSON: „Wir fühlten uns von Anfang an ausgegrenzt“

Bodo Platt, früherer Häftling im KGB-Gefängnis Leistikowstraße, über seine Haftzeit und den Dauerkonflikt um die Gedenkstätte

Herr Platt, kommen Sie eigentlich gern nach Potsdam?

Ja und nein. In Verantwortung vor dem, was wir als ehemalige Häftlinge erlebt haben, um diese Erfahrungen weiterzugeben, bin ich immer gern nach Potsdam gekommen. Andererseits werden durch die Besuche auch immer wieder die alten Wunden aufgerissen.

Sie haben im früheren KGB-Gefängnis in der Leistikowstraße eingesessen, sind heute Sprecher der Zeitzeugeninitiative und Kritiker der neuen Dauerausstellung. Unter welchen Umständen kamen Sie 1948 in das Haus?

Ich war 17 Jahre alt. Durch die Erlebnisse des Krieges waren wir einerseits sehr ernst geworden. Andererseits waren wir aber auch noch richtige Kindsköpfe. Aus dieser Verfassung herausgerissen zu werden und in eine Gefängniszelle gesteckt zu werden, war traumatisch.

Sie wurden in Ihrer Heimatstadt Görlitz verhaftet und kamen im Mai 1948 in die Leistikowstraße.

Da kam ich in die Einzelzelle im Obergeschoss, ein richtiger Pferch. Ich musste von morgens um sechs bis abends 22 Uhr auf einer Pritsche mit baumelnden Beinen sitzen, ohne die Möglichkeit, mich zu bewegen – weil kein Raum da war. Dazu kam das Gefühl des Ausgeliefertseins in den Verhören. Da wurde einem klar gemacht: Am Ende bekommst du sowieso 20 Jahre Arbeitslager.

Was wurde Ihnen vorgeworfen?

Man warf mir vor, in einer faschistischen Organisation gewesen zu sein: beim Deutschen Jungvolk, einer Unterorganisation der Hitlerjugend. Außerdem soll ich Mitglied in einer Spionage-Organisation gewesen sein.

Wie lange dauerte die Haft in Potsdam?

Ein halbes Jahr. Ich saß in verschiedenen Zellen, auch im Keller. Das war eine schlimme Zeit: Die Zellen waren abgedunkelt, die Wände nass. Dann der Gestank: Unsere Notdurft mussten wir in eine Milchkanne verrichten. Wir konnten uns kaum säubern, es gab Ungeziefer, Läuse, Flöhe – meine Beine waren übersät mit aufgekratzten, eiternden Pusteln. Das waren absolut unmenschliche Verhältnisse.

Ein Tribunal verurteilte Sie zu 20 Jahren Haft. Was ging in Ihnen vor?

Ich bin anschließend in die Zelle gekommen und hab wie ein kleines Kind die Jahre an den Fingern abgezählt. Da wurde mir erst bewusst, was das bedeutet: 20 Jahre. Ich würde erst mit 38 wieder aus dieser Gefangenschaft entlassen. Das war eine ungeheure Vorstellung – ich habe das auch in meinen Erinnerungen so beschrieben. Solche Szenen sollten in der neue Dauerausstellung aber nicht vorkommen. Stattdessen sollte dort ein Textstück von mir zu lesen sein, wo ich nebenbei erzähle, wie man am Sonntag die Rotarmisten beim Fußballspiel hörte. Dagegen habe ich protestiert.

In dem Buch beschreiben Sie auch die Monate in Sachsenhausen und später in Russland, wo Sie in Inta in Sibirien unter erbärmlichen Bedingungen fünf Jahre lang im Kohleschacht arbeiteten – bis Sie vorzeitig entlassen wurden und im Januar 1956 wieder nach Deutschland kamen. Wie haben Sie die Rückkehr erlebt?

Wir sind am Grenzbahnhof Herleshausen angekommen. Das werde ich nie vergessen: Wie mein Name aufgerufen wurde – und dann sprang ich auf und schrie auf Russisch: „Jest“ – hier bin ich. Der Name wurde abgehakt. Dann durfte ich mit meinem kleinen Bündel durch die Bahnhofssperre gehen – in die Freiheit.

Die Erinnerung bewegt Sie immer noch.

Ja. Vom Wiedersehen mit meiner Mutter wenig später in Radolfzell am Bodensee, wo sie mitterlweile wohnte, brauche ich Ihnen nicht zu erzählen...

Wie haben Sie in den Alltag gefunden?

Das Ankommen ging rasch. Aber das war nur körperlich. Es dauerte lange, bis man sich in diesen Geist der Zeit, des Wirtschaftswunders, einpassen konnte. Eigentlich wollte niemand von meinen Erlebnissen hören. Der Krieg war erst zehn Jahre vorbei, deshalb wollte man in die Zukunft schauen, vergessen.

Sie entschieden sich für das Gegenteil: Sie studierten Geschichte und Deutsch und wurden Lehrer und Schulleiter.

Ich glaubte, dass man diese Erlebnisse an junge Menschen weitergeben muss. Um eine Warnung weiterzureichen, sich mit Diktaturen nie wieder einzulassen.

Seit 2003 engagieren Sie sich auch in der Leistikowstraße als Zeitzeuge.

Ich hatte übers Internet erfahren, dass Engagierte das Haus zugänglich gemacht haben. Es gab regelmäßig Zeitzeugengespräche und wir waren froh, als 2007 der Grundstein für die Gedenkstätte gelegt wurde.

2009 wurde die Historikerin Ines Reich als Gedenkstättenleiterin berufen - an der Besetzung gibt es von Ihrer Seite bis heute scharfe Kritik. Wieso?

Wir fühlten uns von ihr von Anfang an ausgegrenzt. Ein Beispiel: Die Broschüren mit den Erlebnisberichten von ehemaligen Häftlingen durften plötzlich nicht mehr in der Gedenkstätte ausgelegt werden. Auch sonst fühlten wir uns in einer Bittstellerrolle. Wir durften die Räumlichkeiten nicht mehr nutzen wie vorher. Bei der Gestaltung der Gedenkstätte hatten wir kein echtes Mitspracherecht. Wir kritisieren die baulichen Veränderungen, die vorgenommen wurden: Da wurden zum Beispiel im Keller Fenster aufgebrochen, anderswo Glastüren eingebaut – ohne überzeugende Begründung.

Der Konflikt ist bei der Eröffnung der neuen Dauerausstellung im April 2012 eskaliert: Eine Menschenkette protestierte. Was stört Sie an der Ausstellung?

Die Texte verschweigen wesentliche Dinge. Ich habe das vorhin am Beispiel meiner Erinnerungen erklärt. Das Leiden der Häftlinge wird in der Ausstellung zu sehr ausgeklammert. Dadurch kommen die sowjetischen Offiziere relativ glimpflich davon. Die Menschen sollen aber erfahren, zu welchen furchtbaren Taten der sowjetische Geheimdienst fähig war.

Was ist in den gut sechs Monaten seit der Ausstellungseröffnung passiert?

Nach meinen Eindrücken hat sich bis jetzt wenig bewegt.

Ist die Gedenkstättenleitung für die Erarbeitung der geplanten weiteren Themenbereiche auf Sie zugekommen?

Nein. Und die Zeitzeugen sterben! Von 25 Leuten sind in den letzten Jahren vier aus dem Leben geschieden.

Das Verhältnis zwischen Zeitzeugen und Leitung ist weiter gestört?

Es gibt kein Vertrauen mehr. Wenn sich die personelle Besetzung nicht ändert, ändert sich mit Sicherheit auch nichts im Umgang mit der Ausstellung. Wir fordern eine Ablösung von Frau Dr. Reich und die Überführung des ehemaligen KGB-Gefängnisses weg von der Gedenkstättenstiftung.

Gab es mittlerweile die von SPD-Ministerpräsident Matthias Platzeck angebotene gemeinsamen Begehung des Hauses?

Ich habe zwei Termine aus Gesundheitsgründen absagen müssen. Der nächste Termin ist am 10. Januar.

Sie sitzen als einziger Zeitzeuge auch im zehnköpfigen Gedenkstättenbeirat.

An der letzten Sitzung habe ich aus Protest nicht teilgenommen.

Wieso?

Der Beirat ist salopp gesagt ein zahnloser Tiger: Die Mitglieder haben nur beratende Aufgaben. Da besteht nur formal ein Mitspracherecht. Da referiert die Gedenkstättenleiterin stundenlang über die Konzeption – und andere Tagesordnungspunkte fallen aus Zeitmangel unter den Tisch. Es ist auch vorgekommen, dass von mir angesprochene Probleme nicht im Protokoll auftauchten. Das ruft Argwohn hervor, wenn man so seine eigene Wirkungslosigkeit erfahren muss. Dabei müsste man doch offen und in Zusammenarbeit für das Gedeihen einer so wichtigen Gedenkstätte wirken. Dass das nicht passiert ist, ist mir unverständlich.

Das Gespräch führte Jana Haase.

Bodo Platt wurde 1930 im sächsischen Görlitz geboren. Er wuchs im schlesischen Liegnitz (Legnica) auf und kam 1946 mit seiner Familie zurück nach Görlitz.

1948 wurde er vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet, ins Untersuchungsgefängnis Leistikowstraße gebracht und zu 20 Jahren Arbeitslager in Sibirien verurteilt. Die Strafe wurde 1955 vorfristig aufgehoben, 1956 kam Platt zurück nach Deutschland.

Er studierte Geschichte und Deutsch und arbeitete 30 Jahre als Lehrer und Schulleiter einer Realschule bei Stuttgart, wo er heute lebt. 1994 wurde er durch die russischen Behörden offiziell rehabilitiert. Seit 2009 ist Platt Sprecher der Zeitzeugen-Initiative von früheren Häftlingen der Leistikowstraße. PNN

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