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ZUR PERSON: „Die Garnisonkirche kann nichts dafür“

Lea Roshs Engagement für das Holocaust-Denkmal in Berlin war einmalig – dennoch sprüht sie nun auch für ihre Potsdamer Projekte vor Tatendrang. Ein Gespräch über Judenverfolgung, ihren Vater, Theater, Stadtschlösser und

Frau Rosh, lassen Sie mich eingangs etwas Sie möglicherweise Erfreuendes erzählen. Ich hatte in diesem Jahr in einer Potsdamer Schule eine Begegnung mit Sally Perel

Mit wem?

Sally Perel, das ist der Mann, der Hitlerjunge Salomon war.

Richtig.

Seine Eltern wurden in Auschwitz vergast. Er erzählte, dass er kein Grab für sie hatte, an dem er trauern konnte. Nun hat er das Holocaust-Mahnmal in Berlin, zu deren Hauptinitiatoren Sie gehören, zum Grab seiner Eltern auserwählt. Er geht jetzt dorthin und erinnert sich dort seiner Eltern.

Ja, das höre ich von vielen Besuchern mit einer entsprechenden Biografie. Klar.

Und die deutschen Reaktionen?

Na ja, die sind sehr unterschiedlich, sehr positiv, aber auch negativ. Ich hab neulich ein kleines Päckchen gekriegt, fünf Stücke Seife drin, mit dem Text „Grüße aus Auschwitz – von David, Stella, Lea, Benjamin und Sarah“. Juden sind zu Seife verarbeitet worden. Und das schicken die mir dann. Das ist auch eine Reaktion.

aber das ist erschütternd.

Ja sicher. Aber bösartige Dinge dieser Art kriege ich einige, wenn auch nicht jeden Tag. Normalerweise erkenne ich das schon an der Schreibmaschinenschrift und am Kuvert. – Das ist die eine Seite. Die andere ist, dass wir unglaublich viele positive Rückmeldungen kriegen. Auch von Leuten, die sagen, wir waren immer dagegen, jetzt sind wir dafür, wunderbar, ganz überzeugend.

Sie haben sich mit einem unglaublichen Engagement für das Holocaust-Mahnmal eingesetzt. Wenn sie sich mit gleicher Stärke für Potsdamer Ziele einsetzen, haben die Potsdamer einiges zu erwarten

Schauen Sie, das ist nicht zu vergleichen. Potsdam ist Theater, Kammeroper, Potsdam ist etwas Schönes. Das Holocaust- Mahnmal war das Ergebnis einer 20 Jahre langen Beschäftigung von mir. Ich habe ja sehr viele Filme gemacht zum Thema Vernichtung des europäischen Judentums. So ein Engagement ist nicht wiederholbar. Das ist ja auch ein Thema, was einen immer wieder angreift und auch empfindlich macht. Ich bin sehr froh, dass das abgeschlossen ist. Obwohl mich das Thema nicht los lässt, wir machen ja Führungen und Seminare zum Thema Antisemitismus und Rechtsradikalismus unter Jugendlichen. Das heißt, ich bin nach wie vor mit diesem Thema beschäftigt, aber natürlich anders, nicht mehr so intensiv und vor allem nicht mehr mit der Frage ,Wirds was oder wirds nichts’. Das ist ausgestanden.

Die Hoffnung auf den Neubau einer jüdischen Synagoge in Potsdam gehört natürlich auch noch zu diesem Thema

Ja. Das finde ich alles positive wunderbare Geschichten. Diese Sache hier, dieses Denkmal, war eben auch mit den Anfeindungen und mit den Fragwürdigkeiten ein ganz anderes Kaliber. Jetzt ist eigentlich alles nur noch angenehm und leicht.

Wie kam es eigentlich zu ihrem besonderen Engagement für jüdische Opfer des Nationalsozialismus?

Naja, ich habe Geschichte studiert, aber auch schon bevor ich studierte, fand ich immer, der Holocaust ist das größte Verbrechen. Das hing doch über uns. Und später wurde mir erst klar, dass ein Teil meiner Familie auch jüdisch war. Meine Mutter hat nicht darüber gesprochen. Sie hatte alle Hände voll damit zu tun, uns vier Kinder vorm Verhungern zu bewahren. Meine Mutter hat zum Beispiel Stubben gerodet. Das war das Thema: Wie kriege ich die vier Kinder satt? Mein Vater ist in Polen umgekommen, gefallen, und meine Mutter stand da mit uns vier Kindern, ohne Geld. Insofern hat sie gar nicht über dieses Thema gesprochen. Ich habe nur einmal etwas mitgekriegt: Wir gingen in Schmargendorf über die Straße und da ging auf der anderen Seite eine Frau und meine ältere Schwester sagte zu meiner Mutter: „Die hat uns doch denunziert, die musst du jetzt anzeigen.“ Meine Mutter hat das nicht gemacht, sie konnte das nicht. Meine Mutter war eben eine unendlich gütige und wunderbare und herrliche Frau. Was sie gemacht hat: Sie hat eine Narzissin entnazifiziert, die uns aber auch geholfen hat. Die kam vier Mal zu uns und hat gesagt, „Frau Rosh, da ist wieder was im Busch gegen sie. Ich besorge ihnen eine Evakuierung.“ Da waren wir zum Schluss in Genthin, vorher im Ruhrgebiet, davor waren wir in Hoyerswerda und davor in Ostpreußen. Es war sehr schwierig, mit vier Kindern evakuiert zu sein, du hast ja nichts zu fressen und zu beißen gekriegt. In Hoyerswerda haben wir beim Bauern gewohnt. Die haben uns oben in der Kornkammer, wo die Ratten durchliefen, wohnen lassen. Als sie ein Schlachtefest gemacht haben, haben wir kein Fitzelchen Wurst oder Fleisch abbekommen. Da unten hat es gerochen und wir hatten Hunger. Meine Mutter ist dann zu Fuß über die vereiste Landstraße gegangen, um von der NSDAP-Stelle – meine Mutter als so genannte Halbjüdin – mit zwei Henkeltöppen Suppe zurückzukommen. Das waren unsere Evakuierungserfahrungen.

Sie sind durch die Evakuierungen wegen der Bombenangriffe der wahrscheinlichen Deportation entgangen. Was haben Sie noch von der Judenverfolgung mitbekommen?

Dass mein Großvater jüdisch war, dass der „Mein Kampf“ gelesen hatte, dass er schon 1926 gesagt hatte, wir müssen alle weg, weil die uns alle umbringen – er hatte die Papiere besorgt, seine Brüder sind alle umgekommen – das alles habe ich erst sehr viel später begriffen.

Hatten Sie die Idee für das Holocaust- Denkmal?

Ich lernte den Historiker Eberhard Jäckel kennen. Sein Lebensthema ist die Erforschung des Mordes an den Juden. Durch ihn wurde ich immer vertrauter mit dem Thema. Als wir in Israel waren, in Yad Vashem, hat er mir gesagt, guck mal, wir haben in Deutschland nichts Entsprechendes. Da habe ich gesagt: Müssen wir ändern, werden wir ändern, mach ich, wir bauen den Juden ein Denkmal! Ich wusste damals nicht, was das heißt.

Sie wussten nicht, was auf Sie zukommt?

Keine Ahnung. Ich habe gedacht, in drei Jahren haben wir das.

Wie lang hat es gedauert?

17 Jahre bis zur Eröffnung. Für mich war doch ganz klar, es war das größte Verbrechen gewesen, das größte Verbrechen der Deutschen. Klar, dass wir den Juden ein Denkmal bauen müssen, ganz klar, arschklar, oder?

Ja.

Das sahen andere aber ganz anders.

Sie haben sich nach dem Krieg ihrer jüdischen Wurzeln besonnen

Ganz langsam. Aber ich hätte das auch ohne meinen jüdischen Großvater, denke ich mal, hoffe ich mal, gemacht. Nach dem Holocaust, so einer Mordgeschichte, geht man doch nicht zur Tagesordnung über.

Als ihr Vater starb

der starb nicht, der ist durch den Krieg umgekommen. Mein Vater hat uns noch Ende 1944 eine offene Postkarte geschickt. Da hat er uns geschrieben, dass seine Kompanie, dass die Soldaten gezwungen werden, mit dem Gewehrkolben polnische Kinder und Frauen zu erschlagen. Er schrieb, dass sich die Familienväter weigern würden – und er auch. Das war dann auch die letzte Nachricht, die wir von ihm bekommen haben. Später haben wir die Nachricht erhalten, seine Einheit sei aufgerieben worden durch die russische Armee, in der Nähe von Krakau. Ich war dann da, nach einem Auschwitzbesuch, und hab dann hochgebockt diesen Panzer als Denkmal gesehen und dann diese Einheit, die da aufgeschrieben war Also wir wissen nicht, ob er zermalmt wurde durch einen Panzer. Oder ob die Deutschen ihn umgelegt haben, das wissen wir nicht.

Es wäre ihnen aber lieber, wenn ihr Vater ein Held gewesen ist durch seine Weigerung?

Wir wissen es doch nicht. Aber es wäre natürlich die richtige Haltung gewesen. Er hat ja auch geschrieben, alle Familienväter hätten sich geweigert, das zu tun.

Lassen Sie uns über Potsdam reden. Wie kam es zu ihrem Engagement für das Hans Otto Theater?

Ich war Vorsitzende des Förderkreises für das Gorki-Theater. Das habe ich gerne gemacht, sechs Jahre lang. Der Intendant Bernd Wilms hatte mich zu meiner Überraschung gefragt, ob ich den Förderkreis übernehmen will. Dann ging Wilms ans Deutsche Theater, es kam Volker Hesse. Dann wurde der Vertrag von Hesse nicht verlängert. Ich habe mich sehr gut mit ihm verstanden. Das war keine Absage an Armin Petras, aber ich habe mir gesagt, nun noch der dritte Intendant, das muss vielleicht nicht sein. Aber ich war Vorsitzende, ich habe es gerne gemacht und hätte es wohl auch noch ein bisschen weiter gemacht, wenn ich nicht mit Uwe-Eric Laufenberg über ein Theaterprojekt gesprochen hätte, das dann am Hans Otto Theater realisiert wurde. Die Geschichte eines Berliner Jungen, der Auschwitz überlebt hat. Das Projekt hieß „David Salz“. In dem Zusammenhang sind wir auf den Förderkreis gekommen und Uwe hat zu mir gesagt, du machst ja hier den Förderkreis für das Gorki-Theater und unser Förderkreis liegt völlig danieder, die haben keine Lust und keine Zeit mehr. Er hat gefragt, würdest du nicht ? Und dann habe ich gesagt, wenn ihr alle wollt, dass ich das mache, mache ich das gern. Ich habs gemacht wegen Laufenberg, wegen des Theaters, wegen Potsdam und dachte, da kann man ein bisschen was helfen und was machen. Mir gefällt auch das Programm, das Laufenberg macht.

Wie sieht ihre Arbeit als Förderkreis-Chefin konkret aus?

Wir hatten 30 Mitglieder da und die haben wir erstmal in einem halben Jahr auf hundert hochgeschraubt. Ich hab erstmal alle Freunde und Freundinnen, die in der Hauptsache aus Berlin sind, angehaun und gesagt, ihr kommt da rein. Und ich hab den Vorstand übernommen mit Christian Czychowski und mit Ulf Sieg, die es in Potsdam vorher gemacht haben – ich kann ja nicht reinkommen und sagen, ich kann alles besser. Und ich hab drei aus dem Westen mitgebracht, also mich und dann Klaus Bacher und Etta Timm. Dann haben wir erstmal ein bisschen Aufräumarbeiten gemacht, gesehen, wie man das machen kann. Wir haben mit Laufenberg gesprochen, was das Theater zuliefert – die Mitglieder des Förderkreises können Gespräche mit dem Intendanten haben und können an Generalproben teilnehmen. Wir haben also mit dem Intendanten ein Programm bis Mai entwickelt. Dann wollen wir Theaterreisen machen, die müssen organisiert werden. Das ist eine Sauarbeit. Man muss ein Theater haben, zu dem die Leute relativ einfach hinkommen. Wir fliegen nicht nach San Francisco, sondern wir fahren nach Gotha oder Eisenach.

Es geht also nicht nur um Geld, sondern um inhaltliche Arbeit?

Ja sicher. Die Potsdamer sind etwas schwerfällig, das habe ich schon gemerkt. Mit Etta Timm haben wir bei der Premiere von „Effi Briest“ mit den Aufnahmeformularen dagestanden und die Leute angesprochen. Die sind auch sehr interessiert und hören zu Es hat bisher nicht einer daraufhin seinen Beitritt erklärt. Das wundert mich schon. Da muss man sich noch was anderes einfallen lassen. Wir haben mit Uwe beschlossen, dass wir einen Theaterball machen im Sommer. Wir müssen überlegen, wie wir die Leute anreizen, Mitglieder zu werden. Es kann nicht sein, dass 70 aus Berlin kommen – Westberlin – und nur 30 aus Potsdam. Und dann stehen die Potsdamer da und beschweren sich, dass sie von den Berlinern abgehängt werden. Dann sollen sie ihren Hintern hochheben und kommen, sie sind uns jedenfalls sehr willkommen.

Sie werden auch Dozentin an der Potsdamer University of Management and Communication?

Ein Freund von mir, Eberhard Knödler-Bunte, hat mich gefragt, ob ich nicht das Institut für Medien aufbauen würde. Das mache ich zusammen mit Kurt Rittig, das läuft im nächsten Jahr an. Wir machen Kurse für Manager über Interviews, Sprechen, sich Bewegen vor der Kamera, wie führt man Gespräche, wie leite ich Diskussionen.

Es gibt zwei jüdische Gemeinden in Potsdam. Glauben Sie, beide sollten ihre Differenzen angesichts des Projekts eines Synagogenneubaus zurückstellen?

Ach Gott, wissen Sie, die Juden sind nicht alle die gebackenen Engel. Überall streiten sich die Leute. Die Auseinandersetzungen in den Gemeinden kommen auch durch die russischen Juden. Sie werden aufgenommen, wenn sie sagen, sie sind Juden. Das ist eine enorme Herausforderung. Aber in diese Auseinandersetzung mische ich mich überhaupt nicht ein. Da habe ich Null Bock drauf, ich bin ja auch nicht Mitglied der jüdischen Gemeinde. Ich bin ja auch nicht Jüdin. Ich bin aus allen Kirchen ausgetreten. Ich bin evangelisch und katholisch erzogen worden, bin aber absolut überzeugte Atheistin. Zum Judentum überwechseln wäre mir viel zu anstrengend. Ich fühle mich zu den Juden außerordentlich hingezogen. Und ich trete ohne wenn und aber für das Existenzrecht Israels ein. Auch wenn da in der Politik gravierende Fehler gemacht werden.

Das Vorgehen der israelischen Armee führt zu vielen Opfern auf palästinensischer Seite

Und das Vorgehen der Palästinenser führt zu vielen Opfern auf jüdischer Seite, das wollen wir nicht vergessen. Das wissen Sie doch, Sie wissen doch, wie die Busse in die Luft fliegen, was in den Restaurants an Bomben hoch geht. Die beste Freundin meiner Freundin ist in der Mensa der Universität von Tel Aviv in die Luft geflogen. Also, das ist ein kompliziertes Thema.

Das stimmt. Ich möchte Sie noch etwas zu Potsdam fragen. Glauben Sie, die Synagoge sollte aus geschichtlichen Gründen vor der Garnisonkirche und dem Stadtschloss aufgebaut sein?

Also, ich sage jetzt keinen Zeitplan. Ich finde, Garnisonkirche ja, die Synagoge ja – das sind wir doch einfach der Geschichte schuldig. Aber ich meine auch ja zu Stadtschloss und Landtag.

Sie sagten, Garnisonkirche ja?

Na sicher, natürlich muss man dieses Gebäude wieder aufbauen. Das wäre doch wunderbar.

Die Garnisonkirche – trotz des „Tages von Potsdam“ 1933, als sich Hindenburg und Hitler dort die Hand reichten?

Dafür kann doch die Kirche nichts, also, das Gebäude kann nichts dafür. Die Kirche hat sehr versagt, die protestantische und die katholische. Denken sie an das Konkordat mit Hitler. Aber das Gebäude gehört in die Silhouette, ins Straßenbild von Potsdam. Ich bin auch absolut für das Stadtschloss in Potsdam. Ich bin nicht für die Wiedererrichtung des Stadtschlosses in Berlin. Aber in Potsdam, da gehört es hin, das ist dort jetzt solch eine Brache. Und dass der Landtag da rein kommt finde ich richtig. Das wieder aufzubauen, mit den Teilen die man hat, das finde ich gut.

Und warum nicht in Berlin?

Dieses Berliner Schloss fand ich nie so richtig schön. Aber das allein ist es nicht. Sie können das Berliner Stadtschloss nicht füllen, wir haben keinen Bedarf für das riesige Gebäude und: Wir haben keine Monarchie mehr, wir haben einen regierenden Bürgermeister und einen guten dazu.

Das Interview führte Guido Berg

Lea Rosh ist bekannt als Fernsehjournalistin, Publizistin, aber vor allem als Wegbereiterin des Denkmals für die ermordeten Juden Europas in Berlin. Am 10. Mai 2005 wurde es eingeweiht. Nun engagiert sie sich für Projekte in Potsdam, für die Kammerakademie, eine neue Synagoge, für das Hans Otto Theater, dessen Förderkreis sie leitet. Lea Rosh wurde am 1. Oktober 1936 in Berlin geboren. Sie studierte Geschichte, Soziologie und Publizistik an der FU Berlin. Als erste Frau moderierte sie das ZDF-Politikmagazin „Kennzeichen D“. Sie war auch die erste Funkhausdirektorin – beim NDR in Hannover. Sie wurde mit der Carl-von- Ossietzky-Medaille und dem Schillerpreis der Stadt Mannheim ausgezeichnet. Für das Buch zum Film „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ erhielt sie gemeinsam mit dem Historiker Eberhard Jäckel den Geschwister-Scholl-Preis.

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