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Zum 90. Geburtstag von Joachim Mückenberger: Visionär und Retter

Der Babelsberger Joachim Mückenberger verhalf der Defa zu ihrer größten Blüte und startete später als Chef der Potsdamer Schlösserverwaltung das erste große Sanierungsprogramm. Heute kennen nur wenige diesen Mann. Ein Porträt zum 90. Geburtstag.

Von Peer Straube

Potsdam - Der Mann hat den Park Babelsberg gerettet und den Marstall in der Breiten Straße. Er hat die wichtigsten Preußenschlösser vor dem Verfall bewahrt. Und er hat die Defa künstlerisch auf einen neuen Weg gelenkt und ist dafür von der SED bitter abgestraft worden. Es gibt wohl nur wenige Persönlichkeiten in Potsdam, deren Verdienste um die Stadt so groß sind, deren Wirken der breiten Öffentlichkeit aber so unbekannt ist wie Joachim Mückenberger. Vier Jahre lang war er Chef der Defa, weitere 24 Jahre Herr über die Potsdamer Schlösser und Parks. Heute wird Mückenberger 90 Jahre alt.

Ein phänomenales Gedächtnis

Besucht man ihn in seinem Haus in Babelsberg, wird schnell klar, wo auch heute noch Mückenbergers Interessen liegen: Das Wohnzimmer dominiert ein riesiges, mit Büchern vollgestopftes Regal; antike Möbel sowie unzählige Gemälde, Drucke und historische Darstellungen bestimmen das Bild. Trotz seines Alters ist er noch immer eine beeindruckende Erscheinung, groß gewachsen, das dichte Haar schlohweiß – und ausgestattet mit einem phänomenalen Gedächtnis lässt er die prägenden Jahre in seinem Leben Revue passieren.

Geboren in Chemnitz als Sohn eines Bäckers, lernt der junge Joachim zunächst bei der Deutschen Reichsbahn und lässt sich dort zum Reichsbahninspektor ausbilden. Trotz eines vermeintlich kriegswichtigen Berufs muss er in den Krieg, an die Westfront und gerät dort erst in US-amerikanische, dann in französische Kriegsgefangenschaft. Nicht lange nach seiner Rückkehr tritt er in die noch jungen SED ein. Linke Ansichten haben in der Familie Tradition. „Mein Vater war in der SPD, mein Bruder auch“, sagt Mückenberger. Sein 16 Jahre älterer Bruder Erich wird in der SED rasch Karriere machen und es bis zum Politbüromitglied bringen, dem innersten Machtzirkel der Partei.

Mit 35 Jahren zum Generaldirektor der Defa

Schon früh interessiert sich Joachim Mückenberger für Kunst und Kultur – er studiert in Leipzig Gesellschaftswissenschaften mit Schwerpunkt Kulturwissenschaften und schließt mit Diplom ab. Elf Jahre arbeitet er in der für Kultur zuständigen Abteilung des Zentralkomitees (ZK) der SED, bevor er 1961 – mit nur 35 Jahren – zum Generaldirektor der Defa ernannt wird. Gerechnet hat er damit nicht und tritt sein Amt mit „gemischten Gefühlen“ an, wie er vor Jahren in einem Interview mit dem heutigen Chef der Defa-Stiftung, Ralf Schenk, zu erkennen gibt. „Bammel vor der Verantwortung“ habe er gehabt, einen Betrieb mit 2700 Mitarbeitern leiten zu müssen, erzählt Mückenberger. Er zieht von Berlin nach Babelsberg und lebt sich schnell ein. In nur vier Jahren gelingt ihm, das bis dato vergleichsweise dröge DDR-Kino gehörig aufzumischen. In seiner Ägide erlebt die Defa ihre größte Blüte, es entstehen einige ihrer bis heute wichtigsten und beliebtesten Filme: „Ich war 19“, „Die Abenteuer des Werner Holt“, „Nackt unter Wölfen“. Anders als seine Vorgänger versteht er es, die Filmschaffenden wieder zu motivieren. Ein „möglichst breit gefächertes Repertoire“ ist sein Ziel – die Studios sollen Genrevielfalt bieten und nicht nur Problemfilme. Als Folge entstehen mit „Karbid und Sauerampfer“ und „Mir nach, Canaillen!“ zwei der besten Defa-Komödien. Mit der Verfilmung der Romanreihe „Die Söhne der Großen Bärin“ legt Mückenberger auch den Grundstein für die DDR-Western, in denen zumeist der jugoslawische Schauspieler Gojko Mitic den jeweiligen „Chefindianer“ spielt. Am wichtigsten für diese Zeit aber sind jene Filme, die schließlich auch das Ende der Ära Mückenberger besiegeln: Mit „Das Kaninchen bin ich“, „Denk bloß nicht, ich heule“, „Der Frühling braucht Zeit“ und vor allem „Spur der Steine“ werden in der Defa Filme gedreht, die sich kritisch mit dem Sozialismus auseinandersetzen.

Im Machtzentrum der SED ist man erbost, Walter Ulbricht tobt, Erich Honecker auch. Auf dem 11. Plenum rechnen die Parteigranden mit der nach ihrer Ansicht aufmüpfigen Künstlerszene im Land ab. Dass es Kritik geben würde, ahnt Mückenberger, nicht aber, dass sie „so geharnischt sein“ würde. Er habe nicht geglaubt, erzählt Mückenberger rückblickend, dass gleich die halbe Defa-Jahresproduktion verboten werden würde. Berufsverbote – etwas, dass es offiziell gar nicht gab – werden ausgesprochen. Es trifft neben Regisseuren und Drehbuchautoren auch Mückenbergers Frau Christiane, die als Filmwissenschaftlerin arbeitet. Das 11. Plenum wird als „Kahlschlag-Plenum“ in die Geschichte eingehen, die vorsichtige Liberalisierung der Kunst- und Kulturszene nimmt ein jähes Ende. „Die schlimmsten Folgen waren, dass wichtige Regisseure wie Frank Beyer in ihren besten Jahren keine Filme mehr machen durften“, sagt Mückenberger bedauernd. „Und dass eine Entwicklung, die für den weiteren Weg der Defa hätte bestimmend sein müssen, so rigoros unterbrochen wurde.“

Man wollte ihn auch aus Potsdam weghaben

Auch Mückenbergers Kopf rollt. Gregor Gysis Vater Klaus, damals DDR-Kulturminister, schickt ihm seine Entlassungsurkunde. Doch der SED reicht das nicht, man will ihn auch aus Potsdam weghaben. Die Parteiführung befürchtet, sein Nachfolger werde es schwer haben, wenn womöglich alte Defa-Kollegen immer wieder Mückenbergers Rat einholten. Doch der weigert sich zu gehen. Jobangebote, etwa ein eigens geschaffener Posten des 3. Sekretärs in der Suhler Bezirksleitung des Kulturbundes, schlägt er aus. Schließlich managt er 1966 die Vorbereitungen zum 450. Jahrestag der Reformation und zum 900-jährigen Bestehen der Wartburg.

Dann macht ihm der Kulturfunktionär Helmut Hanke, Ehemann der damaligen Potsdamer Oberbürgermeisterin Brunhilde Hanke, ein Angebot, das er nicht ablehnen kann: Mückenberger soll Generaldirektor der Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci werden, dem Vorläufer der heutigen Schlösserstiftung.

Ein Projekt, das wieder Begeisterung weckt

Ein „ziemliches Chaos“ habe 1967 bei seinem Amtsantritt geherrscht, erzählt Mückenberger schmunzelnd. Sein Vorgänger Wolf Schubert sei lange krank gewesen, die Schlösserverwaltung de facto ohne Leitung. Die Moral der Mitarbeiter sei entsprechend schlecht gewesen. „Ich habe gefühlt, dass ich ein Projekt finden muss, das wieder Begeisterung weckt“, sagt Mückenberger. Er findet es mit dem Schlosstheater im Neuen Palais. Es wird restauriert und zum 20. DDR- und 200. Geburtstag von Friedrichs II. größtem Schloss 1969 eingeweiht.

Nach einer ersten Bestandsaufnahme startet Mückenberger ein Restaurierungsprogramm – es ist das erste seit der Kaiserzeit. Weil weder während der Weimarer Republik noch in der Zeit der Nazidiktatur grundlegende Instandsetzungen an den Preußenschlössern durchgeführt wurden, ist es ironischerweise nun ausgerechnet die DDR, die Friedrichs altes Erbe konserviert – wo doch die Öffentlichkeit bis heute die DDR-Zeit vor allem für den weiteren Verfall dieser Schlösser verantwortlich macht. Im Allgemeinen lässt man Mückenberger machen, doch es kommt durchaus auch zu absurden Situationen. So habe der 1. Sekretär der Potsdamer SED-Bezirksleitung Werner Wittig ihm einmal vorgeschlagen, im Damenflügel des Schlosses Sanssouci lieber Kunst und Kultur des einfachen Mannes auszustellen als Rokokomöbel aus friderizianischer Zeit, erzählt Mückenberger sichtlich amüsiert.

Schlösserverwaltung aus dem DDR-Kulturministerium herausgelöst

Ein strategischer Coup ermöglicht es, auch in der Mangelwirtschaft einigermaßen effektiv arbeiten zu können: Gemeinsam mit seiner Verbündeten, Oberbürgermeisterin Hanke, gelingt es ihm, die Schlösserverwaltung aus der Zuständigkeit des DDR-Kulturministeriums herauszulösen und der Stadt Potsdam zu unterstellen. Das Geld sei zwar weiterhin vom Ministerium geflossen. Entscheidend sei aber gewesen, dass die Stadt die dringend benötigten Baukapazitäten hatte und das Ministerium nicht, sagt Mückenberger.

Mit der staatlichen polnischen Denkmalpflegewerkstatt PKZ wird ein millionenschwerer Vertrag über Restaurierungsarbeiten geschlossen. Ab 1976 werden nach und nach Arbeiten an den Sanssouci-Terrassen, den Neuen Kammern, am Chinesischen Haus, an der Friedenskirche und am Neuen Palais ausgeführt. Die Beziehungen sind so eng, dass die Schlösserverwaltung in der Gregor-Mendel-Straße sogar eine eigene Unterkunft für die polnischen Restauratoren baut.

Größter Coup: das Filmmuseum

Seinen vielleicht größten Coup aber landet Mückenberger mit einem Gebäude, das seine beiden beruflichen Leidenschaften vereinen soll: die Rettung des maroden Marstalls in der Breiten Straße. Schon seit Mitte der 50er-Jahre trägt sich Mückenberger mit der Idee, ein Filmmuseum aufzubauen. Der Plan scheitert immer wieder, weil kein geeigneter Standort dafür gefunden wird. Doch mit dem Marstall wendet sich das Blatt. Das unter dem Großen Kurfürsten errichteten Gebäude ist Mitte der 70er-Jahre ein Fall für die Abrissbirne, doch Mückenberger gewinnt Regisseur Konrad Wolf, der damals Präsident der Akademie der Künste ist und Horst Sindermann, Chef des DDR-Ministerrats, als Verbündete. Gemeinsam verhindern sie den Abriss. Mückenberger kann seine Idee umsetzen und lässt den Marstall sanieren und zum ersten Filmmuseum Deutschlands umbauen. 1981 wird es eröffnet.

An der Zerstörung großer Teile der preußischen Gartenanlagen durch die DDR-Grenzanlagen aber kann auch Mückenberger nichts ändern. „Ich war nicht dumm genug, um etwas gegen die Mauer zu unternehmen“, sagt er. Einige Sünden kann er allerdings trotzdem verhindern, etwa er den geplanten Abriss des Dampfmaschinenhauses im Babelsberger Park. Diesen Park gäbe es ohne Mückenberger in seiner heutigen Form wohl überhaupt nicht mehr. „Der Babelsberger Park“, sagt er, „sollte liquidiert werden“. Die SED-Kaderschmiede „Akademie für Staat und Recht“ habe sich immer weiter ausgebreitet, später gab es Pläne, aus dem Park einen Volkspark samt Stadion für bis zu 35 000 Besucher zu machen, erzählt Mückenberger. Als Zugeständnis der Schlösserverwaltung werden einige Sportflächen im Park ausgewiesen, die komplette Umgestaltung aber bleibt aus. Und der SED-Akademie zwingt Mückenberger Pachtverträge auf – die es bis dato nicht gab – und kann so die weitere Inbeschlagnahme von Parkflächen stoppen.

Letzter Arbeitstag: Rückführung der Särge der Preußenkönige 

Der Fall der Mauer schließlich bringt die Chance, den historischen Zustand der Parkanlagen wiederherzustellen. Trotzdem ist die Wende für die Schlösserverwaltung nicht nur ein Segen – denn das Geld bleibt aus. „Die Stadt hatte nichts, der Rat des Bezirks hatte nichts“, beschreibt Mückenberger das Dilemma. Er geht auf Betteltour in die Westberliner Senatsverwaltung, auch die Kulturabteilung im Bonner Innenministerium hilft aus – bis die Schlösserverwaltung zum 1. Januar 1991 in die Hände des neuen Landes Brandenburg gelegt wird. Dessen Ministerpräsident Manfred Stolpe ist es, der die von der damaligen Potsdamer Kulturstadträtin Saskia Hüneke ausgesprochene Entlassung Mückenbergers wieder rückgängig macht. Sein letzter Arbeitstag ist der Freitag vor der Rückführung der Särge der Preußenkönige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II., die am 17. August 1991 mit großem Pomp in Potsdam bestattet werden. Mückenberger ist da allerdings bereits weg, die Zeremonie ist ihm zuwider.

Auch heute noch, 25 Jahre nach seinem Abschied, genießt Mückenberger immenses Ansehen bei der Schlösserstiftung. Es gebe nur wenige ehemalige Leiter staatlicher Einrichtungen, die noch so einen guten Ruf in ihren alten Einrichtungen haben, sagt Stiftungs-Generaldirektor Hartmut Dorgerloh. Mückenberger habe sich immer vor seine Leute gestellt, ihnen den Rücken freigehalten und sich trotz politischer Widrigkeiten für den Schutz des Kulturguts eingesetzt. Auch alte Defa-Weggefährten sind des Lobes voll. Er habe Mückenberger als „angenehmen Menschen“ in Erinnerung, der sich bemüht habe, etwas zu ändern, sagt der frühere Defa-Regisseur Hermann Zschoche, dessen Film „Karla“ 1965 verboten wurde. Und der Regisseur Günther Stahnke, den Mückenberger noch persönlich entlassen musste, findet gar lyrische Worte. Unter Mückenbergers Leitung habe die Defa einen „Reinigungsprozess durchlaufen“, der den Filmemachern abseits der aufgezwungenen Geschichten wieder eine klare Sicht auf das wahre Leben bescherte.

Mückenberger selbst hat die vier Jahre bei der Defa immer als seine beste Zeit bezeichnet. „Aber Sanssouci“, sagt er lächelnd, „ist ganz dicht dran.“

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