zum Hauptinhalt
Zurück in die Zukunft. Der Computer Robotron A7150 wurde auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1988 vorgestellt. Er ist sechsmal so alt wie der fünfjährige Moritz aus Potsdam.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Zentrum für Zukunftstechnologie

Die offene Zukunft des Rechenzentrums ist in Potsdam in aller Munde. Über die spannende Geschichte des Hauses hingegen ist wenig bekannt

In den kommenden Jahren wird das Rechenzentrum in der Breiten Straße der Abrissbirne weichen müssen. Viel ist über das heute als Kultur- und Kreativzentrum genutzte Gebäude geschrieben worden, vor allem über den Streit um die Garnisonkirche und die Frage, wo die Kreativen in der Stadt ihren Platz haben. Was aber ist über die Geschichte des Rechenzentrums bekannt, die Nutzung in der DDR und seine damaligen Mitarbeiter? Wenig.

Vielen sei einfach nicht bewusst, was im Rechenzentrum eigentlich passiert sei und was Computer in der DDR bedeuteten, sagt der Historiker Frank Bösch, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) bei der Veranstaltung „Computernutzung in der DDR. Das Potsdamer Rechenzentrum und die Digitalisierung in Ostdeutschland“, die am Donnerstag im Rechenzentrum stattfand. In dem von Bösch geleiteten Forschungsprojekt „Wege in die digitale Gesellschaft“ untersuchen derzeit fünf Mitarbeiter des ZZF die Geschichte der Computerisierung und Digitalisierung in Ost und West.

Ein Teil der bisherigen Ergebnisse wurden am Donnerstag vorgestellt. Rechenzentren hätten eine maßgebliche Rolle auf dem Weg in das digitale Zeitalter gespielt, erklärt Martin Schmitt. Er promoviert seit 2014 zum Thema: „Die Digitalisierung der Kreditwirtschaft. Der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie in den Sparkassen der BRD und DDR.“ In seinem Vortrag setzte er sich unter anderem mit dem ehemaligen Datenverarbeitungszentrum (DVZ) auseinander – dem heutigen Rechenzentrum.

Das Rechenzentrum sei vor allem ein Ort des Arbeitens gewesen, sagt Schmitt. „Hier wurden Daten erfasst, Lochkarten gelocht, Magnetbänder transportiert, Lochstreifen geflickt, Listen gedruckt, Software geschrieben und noch vieles mehr“, so Schmitt. Das Potsdamer Rechenzentrum sei einzuordnen in die Pläne der DDR-Regierung zur Nutzbarmachung von Rechenkraft in der DDR. Ihr Ziel war der computerbetriebene Sozialismus, die Optimierung der Planwirtschaft mithilfe der Zukunftstechnologie.

Die Rechenzentren, die seit den 1950er Jahren in der DDR aufgebaut wurden, waren über die gesamte Republik verteilt. Sie sollten lokale Behördenbetriebe, Verwaltungen und Institutionen mit Rechenkraft versorgen. Die ersten Planungen für das Rechenzentrum in Potsdam gehen zurück auf das Jahr 1964 und das „Datenverarbeitungsprogramm zur Entwicklung, Einführung und Durchsetzung der maschinellen Datenverarbeitung in der DDR“, das bis 1970 umgesetzt werden sollte. Errichtet wurde das Potsdamer Rechenzentrum dann in den Jahren 1969 bis 1971. Die Mehrere hundert Mitarbeiter erstellten Statistiken, waren für die Datenverarbeitung für Verwaltungen zuständig, für die Wartung der Rechner oder für die Lagerlogistik des Binnenhandels, wie beispielsweise für Apotheken. Außerdem wurden zukünftige Programmierer und Facharbeiter in der Datenverarbeitung ausgebildet.

Einer der ehemaligen Mitarbeiter ist der Potsdamer Randolf Kaeske. Nach seinem Mathematikstudium an der TU Dresden arbeitete er von 1976 bis 1991 im Datenverarbeitungszentrum Potsdam. Er leitete den Bereich Forschung und Projektentwicklung, eine von fünf Abteilungen im DVZ. Sein Spezialgebiet war die sogenannte Touren- und Transportoptimierung, mit der zum Beispiel der günstigste Transportweg für Holz, Stahl, Erz und andere Ressourcen berechnet werden sollte. Das Projekt war sehr erfolgreich und die Programme konnten auch an andere Unternehmen und Betriebe verkauft werden.

Einer von Kaeskes ersten Aufträgen kam jedoch vom Ernährungsinstitut in Rehbrücke. Deren Wissenschaftler hatten mathematische Modelle entwickelt, die die Auswirkung von Lebensmitteln auf die Gesundheit widerspiegeln sollten. „Wir mussten das ins Programm bringen, um es dann im Rechner darstellen zu können. Die Inhalte kamen von den Wissenschaftlern, die Programme dazu haben wir geschrieben“, so Kaeske. Ein anderer großer Auftrag kam von der Wasserwirtschaft Magdeburg, bei dem das gesamte Flussgebiet der Bode im Harz rechnerisch dargestellt werden sollte. So konnten die verschiedenen Auswirkungen von Witterungsbedingungen, wie Niederschläge oder Hochwasser, simuliert und dementsprechend reagiert werden.

Vom Know-How her mussten sich die Mitarbeiter im DVZ keineswegs hinter ihren Kollegen im Westen verstecken. „Wir waren von der Programmierung her sehr weit voran geschritten“, sagt Kaeske. Er kann sich daran erinnern, wie er und andere Kollegen sich nach der Wende mit westlichen Experten trafen und sofort eine Sprache sprachen, was die Programmierung betraf. „Wir hatten die gleichen Technologien. Wir konnten es vielleicht sogar noch etwas besser, weil wir gezwungen waren, mit der einfachen Technik zu arbeiten und dort viel mehr überlegen mussten, ob es überhaupt möglich war, die Programme zum Laufen zu kriegen.“

Erst nach der Wende verlor das Rechenzentrum seine Kernaufgaben. Neue Partner mussten gesucht werden, wie die AOK, die 1990 als Auftraggeber gewonnen werden konnte. Ein Teil der Belegschaft wurde von der AOK übernommen und arbeitet zum Teil bis heute für die später gegründete GKV Informatik, den IT-Dienstleister für die gesetzlichen Krankenkassen. Ein anderer Teil des Personals arbeitete später für den Brandenburgischen IT-Dienstleister (ZIT-BB). Der 65-jährige Kaeske ist seit Anfang der 1990er Jahre als selbstständiger Finanzkaufmann in der Versicherungsbranche tätig. Sein Traumjob nach der Wende, wie Kaeske sagt. Viele seiner ehemaligen Kollegen hätten sich aber in Richtung Westdeutschland orientiert und dort auch wenig Probleme gehabt – dank ihrer hohen Qualifizierung.

Sarah Stoffers

Zur Startseite