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Jugend im Park. Klaus Hardt lebte von 1947 bis 1961 im Marstall im Park Babelsberg.

© Klaus Hardt

Zeitgeschichte aus dem Park Babelsberg: Die Retter vom Kleinen Schloss

Klaus Hardt lebte mit seiner Familie von 1947 bis 1961 im Marstall im Park Babelsberg. Trotz aller Entbehrungen hat er viele gute Erinnerungen an die Zeit.

Potsdam - Wenn Klaus Hardt von den Jahren im Park Babelsberg erzählt, klingt es wie die Erinnerung an ein Paradies – auch wenn die Hardts unter sehr bescheidenen Umständen lebten. Sechs Familien teilten sich den Marstall oberhalb des Kleinen Schlosses. Alle hatten entweder ihre Wohnung in Potsdam verloren oder waren Flüchtlinge aus dem Osten – so wie die Hardts. Klaus Hardt war 13 Jahre alt, als er mit seiner jüngeren Schwester, der Mutter und zwei Tanten 1947 in den Marstall einzog. 

„Wir schliefen zunächst auf dem Fußboden auf Stroh. Aber wir hatten erstmals seit drei Jahren wieder ein eigenes Dach über dem Kopf“, erzählt der heute 86-Jährige. Seine Erinnerungen werfen ein Licht auf ein bislang wenig bekanntes Kapitel der Nutzungsgeschichte des Parks – den Zeitraum zwischen Kriegsende und Mauerbau. Hardt wandte sich nach dem PNN-Artikel über einen Zeitzeugenaufruf der Schlösserstiftung an die PNN.

Drei Jahre auf der Flucht gewesen

Drei Jahre waren die Hardts auf der Flucht gewesen. Im August 1944 war die Familie im ostpreußischen Insterburg auf dem heutigen Gebiet der russischen Exklave Kaliningrad in den Zug Richtung Westen gestiegen – der Vater war da noch im Krieg, stieß erst später dazu. Ihr Geschäft für Betten und Wäsche mussten die Hardts aufgeben. Einige Monate blieben sie in Stargard im heutigen Polen, von dort ging es im Februar 1945 weiter nach Zehdenick. 

Klaus Hardt lebte von 1947 bis 1961 im Marstall - hier das Wohnzimmerfenster der Familie.
Klaus Hardt lebte von 1947 bis 1961 im Marstall - hier das Wohnzimmerfenster der Familie.

© Klaus Hardt

„Wir wollten eigentlich nach Flensburg“, erzählt Hardt. Dort wohnte ein Onkel. Aber daraus wurde nichts, zu Fuß ging es zurück nach Zehdenick. In Potsdam hatte die Familie einen entfernten Verwandten, der dem Vater schließlich zu einer Arbeit als Finanzrevisor bei der damaligen Landesregierung verhalf. Die Hardts bezogen das Marstallgebäude im Park Babelsberg.

Zehn Kinder lebten damals im Marstall, erinnert sich Hardt. Im Haus gab es Hunde, Katzen, Meerschweinchen und Kaninchen. „Die Hunde gehörten allen“, sagt Klaus Hardt. Mit dem ein Jahr jüngeren Dieter freundete er sich schnell an. Gemeinsam stromerten sie durch den Park – auf der Suche nach einem unterirdischen Geheimgang zum Schloss. 

Weder im Keller des Marstalls noch am Flatowturm wurden die beiden bei ihren Grabungsaktionen fündig. Über ein Kellerfenster stiegen sie schließlich in das damals leerstehende Schloss Babelsberg ein – dort fanden sie einen Gang, der zum Küchengebäude führte. Und wurden von einem Parkwächter erwischt. „Da wir nichts beschädigt hatten, ging die Sache glimpflich aus.“

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Ein andermal, erinnert er sich, entdeckte er mit seinem Freund ein Feuer im Kleinen Schloss. Dort hatte anfangs noch die Familie von Schlieben gewohnt, später wurde es von der Defa genutzt. Als die Freunde dort an einem Sonntagvormittag Rauch sahen und vor Ort niemand war, liefen sie zum großen Schloss, das zu dem Zeitpunkt eine Richterschule beherbergte. 

Der Pförtner alarmierte die Feuerwehr. „Es stellte sich heraus, dass Glut aus einem Ofen gefallen war und schon ein Loch in den Fußboden gefressen hatte. Der Heizer war aber nach Hause gegangen“, erinnert sich Hardt. „Wir hatten das Kleine Schloss gerettet“, ist er überzeugt. Auf eine Belohnung warteten die Heranwachsenden aber vergebens.

Das Kleine Schloss im Park Babelsberg.
Das Kleine Schloss im Park Babelsberg.

© Ottmar Winter PNN

Wie groß die Not in den Nachkriegsjahren war, wird deutlich, wenn Hardt erzählt, wie die Marstall-Familien den Park als Quelle für Lebensmittel nutzten. Im Wasser an der Babelsberger Enge gab es Muscheln. „Meine Mutter hatte sie gemehlt und gebraten.“ Im Herbst wurden Pilze gesammelt, Pfifferlinge, Birkenpilze und Sandpilze. „Am meisten gab es aber den Eichen-Milchling. Ein laut Pilzbuch nur bedingt essbarer Pilz, den wir aber trotzdem gegessen haben“, berichtet Hardt. 

Aus Bucheckern presste man Öl. Am Tiefen See sammelte man Sauerampfer für die Sauerampfersuppe nach ostpreußischem Rezept. Aus Brennnesseln wurde Spinat gemacht. Auch das Holz für den Feuerherd wurde im Park gesammelt. Zwar hatte der Marstall Strom – anfangs aber nur eine 110-Volt-Leitung. „Es gab kaum Geräte dafür“, erzählt Klaus Hardt: „Wenn man einen Tauchsieder angeschlossen hat, dann war alles aus.“

Garten mit Bohnen, Kartoffeln und Salat im Hof

Seine Mutter hatte auf einem Teil des Hofes die Pflastersteine entfernt und einen kleinen Garten angelegt. „Grüne Bohnen, Tomaten, Kartoffeln, Salat ergänzten unser spärliches Lebensmittelangebot. Später hatten wir auch Kirschen und Pfirsiche“, berichtet Hardt. So unbeschwert, wie das Leben den Kindern erschien, war es für die Erwachsenen nicht. Hardts Mutter starb mit nur 45 Jahren im Jahr 1949. „Sie hat sehr darunter gelitten, dass wir alles verloren haben“, sagt er.

Für Konflikte sorgten die Pferdesportler der Defa. Als die Hardts in den Marstall eingezogen waren, standen unten noch Kutschen von Kaiser Wilhelm, erinnert sich Klaus Hardt. „Überall roch es irgendwie nach ’Kaiser’.“ 

Weniger begeistert waren die Marstallianer, als eines Tages wieder Pferde in den Ställen standen. „In der Nacht schlugen die Pferde mit ihren Hufen gegen die gusseisernen Pfeiler im Stall. Ein Höllenlärm“, so Hardt. Sein Vater sei mit Gift gegen die vom Pferdemist angelockten Fliegenschwärme in der Küche vorgegangen. Die Pferdesportler hätten im Park auch Schäden verursacht, sagt Hardt. Aber Proteste der Bewohner fanden kein Gehör.

Im Hof hatten die Bewohner einen Garten angelegt, hier ist Hardts Schwester zu sehen. D
Im Hof hatten die Bewohner einen Garten angelegt, hier ist Hardts Schwester zu sehen. D

© Klaus Hardt

Klaus Hardt blieb bis November 1961 im Marstall. Er hatte nach dem Abitur im Funkwerk Köpenick Arbeit gefunden. Nach der Ausbildung zum Elektroingenieur war er später im Bereich der Unterwasserschallortung tätig, baute Geräte für die Hochseefischerei, arbeitete auch für die DDR-Volksmarine. Der tägliche Weg von Babelsberg nach Köpenick wurde nach dem Mauerbau zu umständlich. Die Außenring-Bahnverbindung nach Potsdam gab es damals noch nicht. 

Hardt musste jeden Morgen nach Saarmund – um 5 Uhr ging er los zuhause und war erst abends 21 Uhr wieder zurück. Sein Antrag auf eine Wohnung in Köpenick wurde bewilligt, im November 1961 bezog er die Neubauwohnung, in der er später mit Frau und Sohn leben wird. Die rauschenden Eichen, die er auf dem Balkon in Babelsberg hörte, sollte er in Berlin am meisten vermissen. Dafür hatte er jetzt Zentralheizung und Bad.

Letzte Familienmitglieder zogen 1969 aus

Sein Vater und eine Tante zogen als letzte Familienmitglieder 1969 aus dem Marstall aus. Ihnen sei die Zimmerdecke auf den Kopf gefallen, erzählt Hardt. „Die Holzbalken waren durchgefault, niemand hatte das bemerkt.“

Der Marstall im Babelsberger Park ist heute ein Sanierungsfall.
Der Marstall im Babelsberger Park ist heute ein Sanierungsfall.

© Andreas Klaer

Hardt selbst besuchte den Marstall 2006 das letzte Mal. Mittlerweile ist er nicht mehr gut genug zu Fuß für solche Ausflüge. „Aber ich bin immer über meine Schwester informiert“, sagt er – sie wohnt noch in Babelsberg. Dass die Wasserspiele und das Schwarze Meer restauriert wurden und das Kleine Schloss nun auf Vordermann gebracht wird, freut ihn.

Auch mit einigen anderen Marstall-Bewohner pflegt er noch Kontakt – so mit dem früheren Freund Dieter, der Seemann wurde und mittlerweile in Indonesien lebt. An die Zeit in Babelsberg denkt Klaus Hardt trotz aller Entbehrungen gern zurück: „Es ist mir immer noch in guter Erinnerung.“

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